Und hier mal wieder ein Beitrag aus der Rubrik „Videothek“. Diesmal eine griechisch-deutsche Koproduktion, die es in sich hat … im positivsten Sinne. Oder aber auch: ganz starker Tobak !
Zum Inhalt:
Sommer auf Antiparos: Auf der griechischen Insel schließt sich der ortsansässige Arzt Kostis einer Gruppe von feierwütigen jungen Leuten rund um eine bildschöne Touristin Anna. an. Als sie ihn an einem einsamen Strand verführt, verliebt er sich Hals über Kopf.
Doch Anna will ihre Freiheit behalten. Der Schönheit hoffnungslos verfallen, versucht der Mittvierziger mit dem tollkühnen und freizügigen Leben der jungen Leute mitzuhalten, was sein Leben zunehmend aus den Fugen geraten und zu einer Tragödie kommen lässt.
Zu Beginn kommt Kostis, ein Arzt Ende vierzig, auf Antiparos, einer kleinen griechischen Urlaubsinsel an, wo er seinen neuen Posten antritt. Es ist Winter. Er wird vom Bürgermeister der Insel persönlich in Empfang genommen, man duzt sich hier, so erfährt er. Wir sehen ihn bei der Ankunft in seiner Wohnung. An der Supermarktkasse, wo ihm der Verkäufer mit dem Hinweis, dass er zu viel Tiefkühlprodukte kauft, etwas Gemüse aus eigenem Anbau schenkt. In seiner Praxis, wo er in zwei Szenen zunächst eine ältere Frau, dann etwas später einen Mann ebenfalls fortgeschrittenen Alters untersucht. Beim Essen in der örtlichen Wirtschaft, wo ihn der Möchtegernfrauenaufreißer des Ortes über die Vorzüge des Sommers hier aufklärt: internationale Muschis.

Und hier liegt die Insel Antiparos
Argyris Papadimitropoulos, der mit „Suntan“ (deutscher Titel: „Nacktbaden – Manche bräunen, andere brennen“) seinen dritten Film als Regisseur vorlegt und auch das Drehbuch verfasste, kadriert seine extrabreiten Scope-Bilder (Seitenverhältnis: 2,66:1) sehr exakt, löst viele der Szenen in einer einzigen Einstellung auf, die jeweils komplett statisch und dementsprechend lang ist, denen die Langeweile auf der Insel zur off season förmlich eingeschrieben steht. Erst kurz vor der Titeleinblendung, die erst nach satten zwölf Minuten erscheint, kommt die Kamera in Bewegung, fährt von Kostis, der auf dem Bett in seiner Wohnung sitzt, zurück, so dass das Fenster ins Bild gerückt wird, durch das wir ihn nun sehen. Wir haben ihn, ohne irgendetwas über seine Biographie zu erfahren, als einen Mann kennengelernt, der so in seinem Leben eingeschlossen scheint, wie ihn die Kadrierung dieser Einstellung einschließt, die durch den Rahmen des Fensters verdoppelt wird.

Argyris Papadimitropoulos
Papadimotropoulos erzählt in einem Interview, dass er zu dem Film inspiriert wurde durch seine eigenen Aufenthalte auf Antiparos, wo auch zur Hochsaison mit echten Feiernden in der Disko und echten NudistInnen am Strand gedreht wurde, sowie durch die Lektüre Michel Houellebecqs. Wer dessen Schaffen kennt, insbesondere vielleicht seine Romane „Elementarteilchen“ und „Plattform“, weiß, dass das sexuelle Glück mittelalter Männer bei ihm selten von Dauer ist. Das gilt auch für „Suntan“, wobei der Film in einer Hinsicht noch ein Stück weiter geht als die beiden Romane, deren Protagonisten immerhin von der sexuellen Erfüllung kosten dürfen, nur um dann ganz schnell festzustellen, wie zerbrechlich ihr neugewonnenes Glück ist.
Nach dem Titel dann scheint zunächst alles anders zu sein. Die Kamera und der Plot kommen in Bewegung mit Eintritt des Sommers, der Saison, in der die Insel scharenweise Menschen auf der Suche nach hedonistischen Sinnenfreuden anzieht: Sex, Partys, Alkohol. Ins erstarrte Leben von Kostis kommt Fahrt, der sich auch in der Form, in den Bildern niederschlägt, die nun mit der Handkamera eingefangenen werden, als Anna (Elli Tringou) mitsamt ihrer internationalen Clique von jungen Feierwütigen seine Praxis eher stürmt als betritt. Die Beziehung von Kostis zu Anna, die nie ohne ihre Entourage anzutreffen ist, hält für den Mann eine sich durch den ganzen Film ziehende Reihe von Demütigungen parat.

Anna Elli Tringou
Das beginnt gleich beim Kennenlernen, wenn nicht nur Kostis Autorität als Arzt empfindlich dadurch in Frage gestellt wird, dass es der Gruppe ganz und gar nicht beliebt, seiner Aufforderung nachzukommen, vor seiner Praxis auf ihre Freundin zu warten, die sich beim Motorradfahren verletzt hat. Dann macht, während sich Kostis über Anna beugt, um die Wunde an ihrem Bein zu untersuchen, eine ihrer Freundinnen eine Bewegung, als würde sie ihn von hinten penetrieren. Seine Männlichkeit, seine phallische Kontrolle über die Situation wird dem Mann so mit einer einfachen Geste abgesprochen.
Und das setzt sich fort als Kostis, weiß wie ein Bettlaken, unbeholfen in seinen langen Klamotten über den Strand voller nackter und halbnackter, braungebrannter junger Menschen läuft, auf dem er so offensichtlich ein Fremdkörper ist. Einen vorläufigen Höhepunkt erreicht es aber mit ihm, als er, endlich am Ziel seines Begehrens angekommen, ebendieses nicht zügeln kann und beim Sex mit Anna an einem abgelegenen Strand viel zu schnell kommt. Von diesem Klimax geht es für ihn steil bergab bis zum absoluten Tiefpunkt.
Nach der erotischen Begegnung am Strand sind sie und die anderen plötzlich verschwunden. Fünf Tage lang, in denen Kostis durch das Nachtleben der Insel zieht. Zu viele Zigaretten raucht, zu viel Bier trinkt, die Feiernden um sich herum, die etwa nackt am Strand um ein Lagerfeuer tanzen, Geburtstag feiern. Mit dem misogynen Möchtegernmacho versucht, eine Frau aufzureißen, die ihm schließlich einen bläst, was auch keine echte Ablenkung von seinem Kummer bringt. Kostis ist allein, verloren, und Kamera und Inszenierung entwickeln auch hier ein sehr genaues Gespür für seine Einsamkeit, seine Verlorenheit inmitten der feiernden Massen.

Makis Papadimitriou
Dann kommt Anna zurück. Auf Mykonos war sie, so erzählt sie zunächst ausgelassen. Auf die Szene, die er ihr macht, sich beschwert, dass sie ihm nichts gesagt hat, von ihrem Ausflug, seine Eifersüchteleien, reagiert sie zunächst verständnislos, dann mehr und mehr ungehalten. Sie fordert ihn auf, zu gehen, und von da an ist nichts mehr so, wie es war. Nicht mal mit eiskaltem Bier in der Mittagshitze kann er die Gruppe noch locken, die nackt in der Sonne brütet. Sie bräunen, er brennt. Für sie.
Er hat gegen eine ungeschriebene Regel verstoßen, indem er eine Obsession entwickelte, wo es für Anna nichts als Spaß und einen Urlaubsfick gab. Er wittert eine letzte Chance, nicht nur das nachzuholen, was er vielleicht in der eigenen Jugend verpasst hat, sondern seinem verwirkten Leben doch noch eine Wendung ins Positive zu geben. Anna ist für ihn, der sich wie ein Ertrinkender fühlt, der letzte Strohhalm, an den er sich erbarmungslos klammert. Die Tragödie, die sich aus diesem Zusammenprall zweier grundverschiedener und unmöglich miteinander in Einklang zu bringender Vorstellungen des Lebens ergibt, kostet der Film wiederum gnadenlos aus. Er verliert sie, die er doch niemals besessen hatte, seinen Job, seine Hoffnung. Vor allem aber sich selbst. „Davor war’s schöner allein zu sein“, heißt es in einem Song der Fantastischen Vier, für Kostis könnte man wohl eher sagen, nicht ganz so unerträglich.
Er, den wir in der Interaktion mit Anna als Kontrollfreak kennenlernen, hat nichts unter Kontrolle. Anna nicht und noch viel weniger seine eigenen Gefühle für sie. So kommt es zu einem letzten ganz und gar verzweifelten Akt, mit dem der Mann versucht, die Kontrolle wieder an sich zu reißen, die Frau, die nicht seine sein, nicht besessen werden will, sondern jung sein, ficken, saufen, tanzen und in der Sonne liegen will, doch zu besitzen, ganz für sich alleine zu haben. Der Film entlässt uns mit einem wahrlich verstörenden letzten Bild in den Abspann.
Wie „Spring Awakening“ wurde auch „Suntan“ von Pierrot Le Fou auf DVD und Blu-ray veröffentlicht. Leider beschränken sich auch wie dort die Specials auf einen Trailer und ein Wendecover. Für jemanden wie mich, der sich im griechischen Kino absolut nicht auskennt, ist es interessant zu sehen, was für ein kraftvolles, dringliches Kino derzeit aus diesem krisengeschüttelten Land kommt. Dass man dieses, auch wenn es wie dieser Film auf vielen internationalen Festivals zu sehen ist, hier nicht im Kino erleben kann, sondern nur zuhause auf Scheibe, ist sehr schade. (Nicolai Bühnemann, filmgazette.de)
Nicht alle sind wohl berufen, diesen Film zu verstehen, vor allem diejenigen, die eine Komödie erwartet haben:
Der Film ist ja letztlich eine moderne Version des Professor Unrats … der einem blonden Engel verfällt … lange ist es her.
Und: ich bin kein Medziner von Beruf, aber der Mensch hinter dem Mediziner … er ist mir nur allzu sehr vertraut.
Von daher ist dies wohl ein Film, der auch Auskunft über meine Brüche im Leben gibt, wenngleich sich diese andererseits natürlich ganz anders dargestellt haben. Aber der Grundtenor, der ist wohl der gleiche gewesen … wenn ich ehrlich sein soll.

Es spricht nicht für den deutschen Filmverleih, diesen Film unter dem Genre „Sex“ anzupreisen
Besetzung:
Milou van Groesen (Mila)
Dimi Hart (Jason)
Hara Kotsali (Alin)
Makis Papadimitriou (Kostis)
Anna Elli Tringou (Anna)
u.a.
+
Regie: Argyris Papadimitropoulos
Drehbuch: Syllas Tzoumerkas + Argyris Papadimitropoulos
Kamera: Christos Karamanis
Napoleon Stratogiannakis Schnitt
Musik: Yannis Veslemes
Und nun folgt eine Flut von Vorschau-Bildern … so wie´s üblich ist bei meinen Beiträgen aus meiner Videothek:

Ankunft auf der Insel Antiparos

In der Praxis

Am Kranken- bzw. Totenbett

Der Sommer bringt neue Patienten … Anna z.B.

Anna bedankt sich auf ihre Art beim Inseldoktor

Das Leben wird bunter

Kostis registriert das freizügige Leben im Nudistencamp …

… mit einer gewissen Fassungslosigkeit

Und er trifft Anna wieder

Er kleidet sich neu und „jugendlicher“ ein …

… und entdeckt allmählich das Partyleben …

… das ihm eher fremd vorkommt …

… aber dennoch reizt

Und er darf mitmachen

Und auch Anna mag ihn wohl …

… und er blüht auf

Aber er hält auch inne und betrachtet das fröhliche Treiben

Er entdeckt, dass es auch gleichgeschlechtliche Erotik geben kann

Er gehört mittlerweile dazu …

… und trifft einen alten Studienkollegen

Anna verteilt ihre Küsse sehr freizügig

Küsse von einem anderen Mann hingegen …das geht gar nicht

Und wieder ein Hauch von Distanz zu dieser Szene

Mit dem alten Studienkollegen tauscht man sich über die ersten grauen Haare aus

Er spendiert kühles Bier …

… und alle „lieben“ ihn dafür

Das Partyleben geht weiter

Einen Job hat er allerdings auch noch

… aber der belastet auch

Nackte Männer gibt es in diesem Film auch

Nur zu gerne betrachtet der Anna

Sie schenkt ihm (vordergründig) liebevolle Blicke

So muss sich wohl das Paradies anfühlen …

Aber einen Job hat er bedauerlicherweise auch noch

Sie lädt ihn zu einer Strandpartie ein

Neugierig inspiziert sie seine bescheidene Wohnung

Man sucht eine ruhige Stelle

Er beobachtet ihr neckisches Treiben im Wasser

Und sie verführt ihn

Man verabschiedet sich, kusslos und der Inseldoc steht ein wenig bedröppelt da

Anna ist einfach nicht mehr da …

… und Einsamkeit macht sich breit

Verzweifelte Leere macht sich breit

Er sucht nach ihr …

… kann nicht mehr schlafen

In Träumen erscheint sie ihm

Bei „Männerwitzen“ kann er nur noch gequält lächeln

Selbst ein Blowjob kann ihn nicht mehr aufheitern

Das wilde Partyleben … ohne Anna nur schal

Da kann man schon mal kotzen

Anna ist wieder da … und er stellt sie zur Rede

Sie schickt ihn einfach mal in die Wüste …

Plumpe Bemühungen mit kühlem Bier helfen nun auch nichts mehr … die jungen Leute stellen sich schlafend

Das „Ballermann“ Leben betrachtet er nun eher mit Abscheu

Er stellt ihr nach …

Nun stellt sie ihn zur Rede

Was bleibt ist Trostlosigkeit

Er beobachtet sie beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann

Ihre Freunde machen ihm zur Schnecke

Das bunte Leben geht weiter … ohne ihn

Da hilft auch keine Dusche mehr

Der Bürgermeister schmeißt ihn von der Insel … seine Job als Arzt hat er längst sträflich vernachlässigt

Alkohol wird der beste Freund

Er sucht Streit in der Diskothek

Er sinnt auf Rache

Er bricht ein

Anna derweil ihr zügelloses Partyleben fortsetzt …

… bis er sie versucht zu entführen … diese Umarmung geschieht nicht mehr freiwillig

Er versorgt jene Wunden, die er ihr selbst beigebracht hat …