Hier ein Paradebeispiel für die Entwicklungsstufen in der deutschen Rockmusik:
Die Royal Servants, Vorläufer von Eulenspygel, kamen 1965 in Reichenbach in Schwaben zusammen.
Vom Beat fanden sie über den Bluesrock schließlich zum progressiven Artrock.
Diese Entwicklung läßt sich auf ihrer einzigen LP gut erkennen. Während besonders ihre frühen Stücke die sechziger Jahre deutlich anklingen lassen, ist etwa das lange „Latin underground“ entspannte Psychedelic vom Allerfeinsten.
1971 stiegen die Royal Servants als eine der ersten Gruppen überhaupt auf Deutschsprachiges um und benannten sich folgerichtig noch im gleichen Jahr in Eulenspygel um. (Pressetext)
Royal Servants, die Vorläufer der bekannteren Eulenspygel, wurden von ein paar Schülern aus dem schwäbischen Reichenbach gegründet. Seit 1964 spielten sie unter dem Namen Sounders zusammen und änderten 1965 ihren Namen in Royal Servants. In den Anfangsjahren spielten sie wie alle anderen auch. Die eigentlichen Gründer waren Matthias „James“ Thurow (25.8.1949, Tübingen) an der Gitarre und Gerhard Schlotz (3.8.1948, gestorben 1997) am Bass. Mit Helmut Bescherer (25.9.1948) am Schlagzeug und Klaus Schwagerick an der Rhythmusgitarre ist die Besetzung komplett. Als erstes mussten die nötigen Instrumente und eine PA gekauft werden. Also mussten sie in den Sommerferien arbeiten, um das nötige Geld zu verdienen. Glücklicherweise hatten die Jungs fast von Anfang an einen guten Proberaum im Haus der Eltern von Gerhard Schlotz, die ihnen auch mit etwas Geld aushalfen. Kein Wunder, dass sich unter diesen günstigen Bedingungen und mit wachsender Begeisterung die ersten kleinen Erfolge einstellten. Zunächst wurden sie zu kleineren Veranstaltungen eingeladen, dann zu den bekannten Mittwochsveranstaltungen der Tanzschule Ake Armbrust in Esslingen. Aber sie organisierten auch immer mehr Veranstaltungen selbst, sogar ein Fanclub wurde gegründet. Mit einer Mitgliedskarte kosteten die Gigs nur die Hälfte. Besonders herausragend waren die Beatpartys in der Reichenbacher Radhalle und im Kronensaal in Hochdorf. Die Band trat aber auch im gesamten Raum zwischen Göppingen und Stuttgart auf. Die meisten ihrer Songs waren Coverversionen von Songs der Beatles, Rolling Stones, Kinks, Searchers und Beach Boys. Songs von The Move waren zu schwierig, schließlich waren sie noch Anfänger. In den folgenden Jahren gab es einige Umbesetzungen, die kurz vor der endgültigen Besetzung standen.
1967 kaufte die Band eine elektronische Orgel, Gerhard Schlotz wechselte das Instrument und sein Schulfreund Ronald „Ronny“ Libal (5.4.1948, Plochingen) ersetzte ihn am Bass. Letzterer kam von den Ambassadors, einer Band aus einer Nachbarstadt, die seit 1965 ebenfalls Beat spielte und sich nun auflöste. Gerhard Schlotz war 1967 für kurze Zeit ihr Gastmusiker gewesen. Als Gerhard Schlotz, Klaus Schwagerick und Helmut Bescherer 1968 die Royal Servants verließen, kamen der Schlagzeuger Wolfgang Zimmermann (16.2.1948) von den Buttons und später im selben Jahr der Sänger Manfred Maier von den Swallows sowie der Rhythmusgitarrist und Organist Michael Scheibner, ebenfalls Ex-Buttons, hinzu. Als Wolfgang Zimmermann Anfang 1969 ausstieg, übernahm Alex Alecke das Schlagzeug. In dieser Besetzung nahmen sie im Mai 1969 im Meilhaus-Studio in München die Single ‚Burning Region’/’Help Me Please‘ (Juke Box JB1) auf. Der Text wurde von Ronald Libal geschrieben, die Musik von Matthias Thurow. Die Auflage betrug 1.000 Exemplare.
Das Cover zeigt im Vordergrund sitzend Michael Scheibner und hinten von links nach rechts Alex Alecke, Matthias Thurow, Ronald Libal und Manfred Maier. Einige Zeit später lösten sich die Hardships, eine Band aus Hochdorf und Stuttgart, auf. Ihre einzige Single ‚The Work’/’Follow Me‘, die 1969 als Privatpressung in einer Auflage von 100 Exemplaren veröffentlicht wurde, findet sich auf dem Sampler „Psychedelic Gems 4“ (PGCD 04), wo sie ein wenig aus dem Rahmen fällt. Zwei Mitglieder der Hardships, Detlev Nottrodt (1.6.1946, Stuttgart) an Gitarre und Orgel und Günther Klinger, ein talentierter Schlagzeuger, der 1983 an Leukämie starb, traten den Royal Servants bei und ersetzten Michael Scheibner und Alex Alecke. Damit waren die besten Musiker aus zwei Bands in einer vereint. Ihre Manager waren zunächst Heinz Herold, dann zwischenzeitlich Albert Kahle und schließlich Fritz Hennefarth. Für die Beschallung war Jobst von Weyenberg zuständig, der Anfang 1970 von Hans Miller abgelöst wurde. Am 4.4.1970 nahmen sie ihre Single ‚Still I Belong’/’The Blues Comin‘ My Way‘ (Royal Corporation RC1003) in einem ausgezeichneten Studio in Stuttgart auf, das dem berühmten Orchesterleiter Horst Jankowski gehörte, der 1997 verstarb.
Diesmal wurden wahrscheinlich über tausend Exemplare gepresst, aber die genaue Zahl lässt sich nicht mehr feststellen. Der Besitzer des Labels war Heinz Herold, der es nach den Royal Servants, seiner damals wichtigsten Band, benannte. Diesmal wurden beide Seiten von Detlev Nottrodt, einem talentierten Songwriter und Musiker, geschrieben. Was das Cover anbelangt, so wurde versucht, dem Beispiel von „Electric Ladyland“ von Jimi Hendrix Experience zu folgen. Auf der Rückseite sieht man von links nach rechts Ronald Libal, Manfred Maier und Günther Klinger, unten links Detlev Nottrodt, unten rechts Matthias Thurow. Doch sie teilten das Schicksal derer, die sie imitieren wollten: Nachdem sie wegen der nackten Dame auf dem Cover in Schwierigkeiten geraten waren, fürchteten sie sich vor ihrer eigenen Kontroverse. Nachdem sie nur wenige Exemplare verkauft hatten, zogen sie das Cover zurück und ersetzten es durch ein neues.
Es zeigt Günther Klinger, Manfred Maier, Ronald Libal und Matthias Thurow hinten von links nach rechts und Detlev Nottrodt vorne. Was heute als nichts Ungewöhnliches erscheint, wurde damals als unangemessen und etwas zu gewagt empfunden. Doch dank zahlreicher Fanbriefe schaffte es die Platte schließlich in die Charts von Radio SWF3, wo sie sich sechs Wochen lang hielt und sogar auf Platz 3 landete. Diese Charts wurden übrigens nicht aufgrund von Verkaufszahlen ermittelt, sondern aufgrund von Hörerbriefen! Noch im selben Jahr erschien mit ‚Work Part II’/’Someone To Be With Me‘ (Royal Corporation RC1004) die dritte Single, die wieder von Detlev Nottrodt geschrieben und im Jankowski-Studio aufgenommen wurde. Es erreichte sogar Platz 2 bei Radio SWF3. Das Cover zeigt, oben von links nach rechts, Matthias Thurow, Günther Klinger und Manfred Maier, unten links Detlev Nottrodt und rechts Ronald Libal. Work Part II“ ist eine unterirdische Neubearbeitung des Hardships-Songs „The Work“. Diesmal passierte allerdings ein Missgeschick im Presswerk, bei dem die Etiketten der A- und B-Seite verwechselt wurden. Kleine gelbe Aufkleber halfen, den Fehler zu korrigieren.
Die Band spielte nun fleißig Gigs in der Gegend und ging sogar auf Österreich-Tournee. Im Sommer 1970 beschloss man, eine LP zu veröffentlichen und gewann den Keyboarder Reinhard Hetzinger von den Speeders als Gastmusiker. Mitten in den Aufnahmen verkündete Sänger Manfred Maier, dass er die Band aus „beruflichen“ Gründen verlassen müsse. Der neue Sänger Rainer „Mulo“ Maulbetsch, der vorher bei Mulo & The Misfits und den Hardships war, konnte sich nicht so schnell in seine neue Aufgabe einarbeiten, und so sang Detlev Nottrodt die meisten Songs. Immerhin war er es, der sie geschrieben hatte und sie daher am besten kannte. Inzwischen hatte sich die Band fast vollständig vom Beat auf lange, musikalisch anspruchsvolle Stücke mit kritischen Texten verlagert. Es besteht ein deutlicher und seltsam klingender Kontrast zwischen diesen Stücken und den viel einfacheren Stücken, z.B. auf ihren Singles. Für das Vibraphon (eine Art verstärktes metallisches Xylophon) engagierten sie den besten Musiker im Stuttgarter Raum, Peter Mayer, der zuvor schon mehrfach mit Detlev Nottrodt gespielt hatte. Die Titel wurden im Oktober 1970, wiederum im bewährten Jankowski-Studio, aufgenommen und kurz darauf abgemischt. Die LP erschien unter dem Titel „We“ (Elite Special PLPS 30130) in einer Auflage von vielleicht ein- oder zweitausend Exemplaren und ist inzwischen ein recht begehrtes Sammlerstück geworden. Sie enthält die beiden Titel der dritten Single.
#Das Cover zeigt unten von links nach rechts: Ronald Libal, Detlev Nottrodt und Matthias Thurow, oben links auf dem Auto sitzt Manfred Maier und rechts Günther Klinger. Auf der Rückseite steht: „Der verspielte Name Royal Servants beweist, dass die Gründung dieser Band – von Beatboys aus Schwaben – schon vor längerer Zeit stattgefunden hat. Mit Talent und Ausdauer machten sie sich aus eigener Kraft weit über Süddeutschland hinaus einen Namen. Ihre im Radio gespielten Singles „Still I Belong“ und „Work Part II“ ließen nicht nur die Fans aufhorchen, sondern auch namhafte Plattenfirmen. Auf dieser ersten LP, bei der sie alle Freiheiten hatten, die sie sich wünschten, bieten sie keine sterile Perfektion, sondern spontane Improvisationen und Sounds, sozusagen „Studio live“. Die arrangierten Tracks sowie alle Texte erreichen eine Qualität, die man einer Amateur-Popband einfach nicht zugetraut hätte. Da die Musik der Servants (alle Songs stammen aus der Feder von Detlev Nottrodt) so abwechslungsreich ist, wird ihnen diese Mischung aus progressiv und melodiös sicherlich eine Menge neuer Fans bescheren. Hier konnten sie, unterstützt von guten Freunden, beweisen, welch breites Spektrum an musikalischem Ausdruck sie beherrschen. Selbst wer sie schon auf der Bühne gesehen hat, wird hier ganz neue Aspekte entdecken. Genug der lästigen Beschönigungen. Jetzt gibt es nur noch eines: Auflegen – anhören!“ (Text aus dem Begleitheft; übersetzt mit Hilfe von DeepL.com)
In der Tat … eine Band, die mit einem Bein noch in den 60er Jahren steckte, mit dem anderen Bein aber schon längst in jenen Sphären, die man dann bei uns Prog-Rock oder gar Kraut-Rock nannte … ein spannender musikalischer Spagat.
Besetzung:
Reinhard Hetzinger (organ)
Günther Klinger (drums, percussion)
Ronald „Ronny“ Libal (bass)
Manfred Maier (vocals)
Detlev Nottrodt (vocals, leadguitar)
James (Matthias „James“ Thurow (guitar)
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Alex Alecke (drums, bei 08, + 09.)
Cornelius Hauptmann (flute bei 01. – 07.)
Peter Mayer (keyboards bei 01. – 07.)
Michael Scheibner (guitar bei 08. + 09.)
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unbekannter Saxophonist
Titel:
01. Work Part II (Nottrodt) 5.24
02. We (Nottrodt) 9.19
03. Someone To Be With Me (Nottrodt) 2.51
04. Latin Underground (Nottrodt) 12.50
05. Here’s Where I’m Gonna Stay (Nottrodt) 2.58
06. Private Man (Nottrodt) 3.47
07. Doomsday Up To Date (Nottrodt) 2.02
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08. Burnin‘ Region (Single 1969, A-Seite) (Thurow/Libal) 3.52
09. Help Me Please (Single 1969, B-Seite) (Thurow/Libal) 4.16
10. Still I Belong (Single 1970, A-Seite) (Nottrodt) 3.54
11. The Blues ‚Comin‘ My Way (Nottrodt) 4.56
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Und er ist heute noch musikalisch aktiv, der Detlev Nottrodt: