Gerhard Seyfried (* 15. März 1948 in München) ist ein deutscher Comiczeichner, Karikaturist und Schriftsteller.
Gerhard Seyfried absolvierte zunächst von 1963 bis 1967 eine Lehre als Industriekaufmann, der sich eine weitere Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker in München anschloss. 1967 begann er ein Studium der Malerei und Grafik an der Münchner Akademie für das Graphische Gewerbe. Ende 1969 erfolgte sein erzwungener Austritt aus der Akademie wegen Streiks gegen die Notstandsgesetze und er war ab 1970 selbstständiger Grafiker und Karikaturist für Werbeagenturen, lokale Firmen und das Münchner Stadtmagazin Blatt.
Seit 1971 bezeichnet sich Gerhard Seyfried als freischaffender Karikaturist und seit 1976 lebt er in West-Berlin, das seither den Hintergrund seiner Comics und Cartoons bildet. Die Geschichten sind in der linksalternativen Hausbesetzerszene angesiedelt, die Seyfried satirisch aufs Korn nimmt. Von 1978 an verbrachte er mehrere Studienaufenthalte in den Vereinigten Staaten. 1990 lernte er die Berliner Autorin und Zeichnerin Ziska kennen, mit der er vier Comic-Alben veröffentlichte. Insgesamt veröffentlichte er elf Comic-Alben.
1996 schrieb er mit Mathias Bröckers Hanf im Glück. Nach einem Arbeitsaufenthalt in Solothurn (Schweiz) kehrte er 2004 nach Berlin zurück.
Seyfried zeichnete u. a. ein satirisches „Conspiracy Diagramm“ für das 9/11-Buch von Mathias Bröckers, das 2002 zweimal wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen beschlagnahmt wurde.
Gerhard Seyfried arbeitete gelegentlich auch als Grafiker, Übersetzer, Modellbauer, Fotograf und Journalist. Berühmt, aber nicht öffentlich, ist seine internationale Polizeistern-Sammlung.
Seyfrieds dritter historischer Roman 2008 schildert abermals einen Aufstand von Unterdrückten, diesmal den sogenannten Boxeraufstand 1900 in Peking.
2013 unterstützte Seyfried Die Linke im Wahlkampf. (Quelle: wikipedia)
„Nun hat es auch den Zeichner der „Szien“, den Lieblings-Cartoonisten von WGs, von Hausbesetzern und Schwarzfahrern, erwischt: Gerhard Seyfried, 33, ist endgültig zum Bestseller-Comicer avanciert.
War schon sein erstes Buch „Wo soll das alles enden“ (SPIEGEL 48/1978) mit inzwischen 130 000 verkauften Exemplaren ein Renner, so sprengt der neue Seyfried selbst die optimistischen Umsatzerwartungen, die man beim Berliner Rotbuch-Verlag hatte.
Innerhalb von sechs Wochen wurde „Invasion aus dem Alltag“ 57 000mal verkauft, 40 000 weitere Exemplare sind gerade nachgedruckt worden.
Seyfried gehört nicht zu jenen Linken, die gleich ein schlechtes Gewissen kriegen, wenn sie Erfolg haben und mit ihren Fähigkeiten auch gutes Geld verdienen.
Nein, er ist „nicht unglücklich darüber“, daß er jetzt freier arbeiten kann und nicht mehr, wie bei seinem ersten, eigens ein Buch machen muß, um sich S.127 eine Reise ins Heimatland der Comics zu finanzieren.
Was ihn an seinem Erfolg lediglich stört, ist die Tatsache, daß er in der Berliner Szene ins Gerede kommt, daß da nun Leute herumspekulieren, „wie reich oder nicht reich ich bin“, und ihn gar „mit Investitionsvorschlägen“ behelligen.
In Seyfrieds Buch freilich ist von Schwierigkeiten oder Identitätsstörungen eines Bestseller-Freaks, der in einem vor zwei Jahren besetzten Haus in Kreuzberg lebt, nichts zu merken.
So hat Seyfried, ohne sich vom eigenen Aufstieg einschüchtern zu lassen, mit besonderer Sorgfalt gerade auch die Aufsteiger unter den Aussteigern, die „Freak-Aristokratie“ karikiert.
Cool und gelangweilt sitzen da zwei Angehörige der „linken Oberschicht“ im Garten vom „Cafe EinStein“: Er im teuren „la Rinascente“-Hemd, dazu rote Jeans und Turnschuhe, im Gesicht die Sonnenbrille für 75 Mark vom Flohmarkt, am Arm die ultra-elektronische Uhr, die am Stuhlbein lehnende Mappe, „1939, Erbstück mit Messingbeschlag“, enthält „diverse politische und moderne Bücher, Flugplan, Terminkalender (roter), Scheckheft“; sie posiert im rosa Hemd, einem „Ex-Unterrock (1940)“, erstanden für ganze 3 Pfund auf dem Londoner Fleamarket, dazu die sündhaft teuren Cowboy Boots von Bloomingdale“s zeigen die ganze Schärfe, mit der die Freak-Aristokratie den Klassenkampf am eigenen Leib austrägt.
Obwohl Seyfried in seinen Zeichnungen die Moden, die Lebens- und Ausdrucksformen der buntscheckigen Szien verspottet, sind seine Arbeiten doch allemal Liebesgrüße ans eigene Milieu.
Wenn er etwa ins alternative Bücherregal als Parodie auf die Alles-selbermachen-Wut auch ein Selbsthilfewerk mit dem Titel „Selber atmen“ hineinmogelt oder wenn er sich in einer Kleinanzeige — „Wer hilft uns bei der Müsli-Ernte? Barbara Bescheid sagen“ — über Bio-Dogmatiker belustigt, dann fügt seine Ironie der Szene eben etwas hinzu statt ihr durch denunziatorischen Witz etwas wegzunehmen.
Während die „offiziellen“ Medien über Hausbesetzer, Punker oder Stadtindianer mit besorgter Verständnislosigkeit für Lebensgewohnheiten ohne Krawattenzwang berichten und die Szene im Verdächtigungs-Stil von sachdienlichen Hinweisen auf Latzhose, Müsli, Softie reduzieren, schildern Seyfrieds autobiographische Comic-Reportagen die Normalität des freaklichen Lebens.
Seine Figuren legen Tarot, trinken Milch, reichen ein „Frustschutzmittel“, sprich: einen Joint herum, sie tragen den Müll runter, sehen vor Langeweile fern, sind Mitglieder der „Vishy-Vashy“-Sekte oder suchen gerade das Teesieb.
Ihre Haare sind gelb oder kurz, rot oder lang, man sieht sie in Jeans, Latzhose oder Frack, sie gehen zu Fuß, fahren Auto oder Skateboard.
Als „Alternativling“ oder sonst etwas Bestimmtes vermag Seyfried denn auch weder sich selbst noch seine in den Comics verewigten Freunde zu begreifen: „Wir essen sowohl Müsli als auch Knackwurst, wir gehen demonstrieren und bleiben auch zu Hause.“
Das tägliche Leben, und nicht nur das der Freaks, von eindeutigen Bestimmungen und steckbrieflichen Ordnungsmustern zu befreien, geregelte Realitäten penibel in Unordnung zu bringen, von der Lust am Unglaublichen leben Seyfrieds Zeichnungen.
Diese Lust äußert sich mal in absurden Details, wenn etwa im Bodensee, dem konspirativen Standort eines untergetauchten RAF-Kämpfers, neben anderen Fischen auch Fischstäbchen herumschwimmen.
Mal bringt sie lupenreinen Nonsens hervor, in Gestalt eines eigens angebrachten verkehrsamtlichen Warnschildes beispielsweise, auf dem zu lesen ist: „Vorsicht Schild“.
Und wer, wie Seyfried, vor der Enge verordneter Realität lieber das Weite sucht, der zieht es natürlich auch vor, sich die Welt mal etwas anders vorzustellen, als sie zu sein scheint.
So malt er in der karnev+alistischen Bildergeschichte „Invasion aus dem All“, die das Zentrum des Buches bildet, eine wünschenswert verkehrte Welt aus, in der die Menschen „absolut unregierbar“ geworden sind und „Gehorsam S.130 und Angst“ sich in „Hohn und Spott“ verwandelt haben.
Der solchermaßen das Bewußtsein revolutionierende Wirkstoff, enthalten in einer Bombe, ist das Gastgeschenk von Ufos, ein Dank an die Freaks, die als einzige den hohen Freundschafts-Besuch in Berlin höflich empfangen, während die zuständigen Politiker in Panik aus dem Schöneberger Rathaus getürmt sind und dabei ein Chaos zurücklassen, daß ein Chaot nur staunen kann: „So sieht also der Senat aus. Genauso schlampig wie wir.“
Die Szien und die Ufos schließen einen interstellaren Freundschaftsvertrag, die Bombe mit dem Anarchie-Stoff wird übergeben, nicht ohne die ausdrückliche Auflage, sie nur als Druckmittel zu benutzen. Weil aber in Seyfrieds Zeichnungen immer irgendwas auf dem Boden herumliegt, stolpert der Freak, der die Bombe gerade in Sicherheit bringen will, über eine Flasche: Das Ding fällt zu Boden und geht hoch, der Planet ist ab sofort unregierbar.
In Amerika kauert nun der Präsident zitternd auf der Straße und fürchtet sich vor dem Mann von seiner Body Guard, der dann aber doch seiner Wege geht und mit verächtlichem Daumen auf die zurückbleibende Jammergestalt weist: „Irgendwie finde ich Präsidenten plötzlich überflüssig.“
Der Chefpilot im Flugzeug erntet auf den wiederholten Befehl „Ich hab“ gesagt: Fahrwerke raus“ von seinem Ko-Piloten nur ein ungerührtes „Du siehst doch, daß ich lese“. Und als er, die Bruchlandung vor Augen, den zweiten Mann im Cockpit anherrscht „du mußt“, vertieft der sich noch mehr in seine Lektüre: „Dann sag “bitte“.“
Klar, daß in dieser von Herrschaft und Vorgesetzten befreiten Welt auch die Soldaten den Appell zum Antreten überhaupt nicht verstehen und allenfalls, ohne von der Zeitung aufzublicken, mit einem „Gar net ignorieren“ beantworten.
Am nachhaltigsten aber wirkt der Stoff in Berlin. Da sehen sich Motorrad-Rocker unversehens von Greisen mit Rauschebart und Krückstock umzingelt, die „den Ofen da“ — „Her damit, Alter“ — mal ausgeliehen haben wollen. Eine Oma erkundigt sich bei einem bunthaarigen Punker mit hochgedrehten Zöpfen: „Sag mal Kindchen, wie macht man so “ne Frisur?“ Eine Schere hat sie gleich mitgebracht.
Auch die Polizei ist wie umgewandelt. Statt Demonstranten schleppen uniformierte Beamte nun Plündergut in ihre Bullis, höflich und bürgernah geben sie Auskunft auf die Frage, „wo man hier noch was plündern kann“. Und dienstlich wie ehedem reagieren die Freunde und Helfer jetzt nur, wenn etwa Freaks zur Besetzung eines Hauses anrücken, das ihre Kollegen schon besetzt haben.
Doch die Invasion aus dem All mit ihren Folgen im Alltag war leider nur der Traum einer WG, die über dem Fernsehprogramm eingeschlafen war und die am Ende der Geschichte bei den Spätnachrichten wieder aufwacht.
Da verliest der Sprecher gerade mit schadenfroher Miene die Meldung, daß es sich bei den seltsamen Himmelserscheinungen über der Bundesrepublik „lediglich um völlig harmlose Nachtübungen der Bundesluftwaffe“ gehandelt habe — eine Nachricht, die Seyfried mit dem Stilleben eines dampfend dahingeschiedenen, von einer Axt bis tief ins Gekröse getroffenen Fernsehers quittiert.
Ein Bild, das sich TV-Moderatoren, Politiker und wer sonst den telegenen Dialog mit der Jugend sucht, genau ansehen sollten.“ (Christian Schultz-Gerstein)
