Henrike Leonhardt – Biete Violine, suche Heizplatte – Kleinanzeigen in den ersten Süddeutschen Zeitungen 1945 (Hörpiel) (2015)

FrontCover1Früher hieß das wohl Hörspiel, oder meinetwegen Radio Feature, nun heißt das Podacast:

Henrike Leonhardt hat die Kleinanzeigen in den ersten Ausgaben der „Süddeutschen Zeitung“ studiert, die im Herbst 1945 erschienen sind. Entstanden ist ein Puzzle des Überlebensalltags in der Trümmerzeit nach dem 2. Weltkrieg.

Nach dem Krieg. Der Frieden war da, – war sichtbar, seit die Verdunkelung aufgehoben wurde. Auch das Erscheinen einer von Deutschen für Deutsche edierten relativ unabhängigen Zeitung war ein Friedenszeichen. Die Nummer 1 der mit amerikanischer Lizenz herausgegebenen Süddeutschen Zeitung gab es am 6. Oktober 1945. „München leuchtete“ zwar noch nicht wieder, aber es wurde erleuchtet. SZ Nr 1, Lokalseite:

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„Linker Kinderschuh verloren.“ Oder: „Verloren am 3.12. vormittags zwischen Dietlinden- und Karl-Barerstraße (Lin. 6) grüner Wollhandschuh“ – im ersten Nachkriegswinter fast unersetzbare Verluste. Und Weihnachten stand vor der Tür: „Im Miesbacher Omnibus Rucksack verloren. Bitte wenigstens die Stricksachen und die Schuhe zurückgeben, da es sich um Weihnachtsgeschenke handelt.“ Die alltäglichen Dinge waren rar, Tauschen war leichter als Kaufen – wenn man etwas zum Tauschen besaß.

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In der Nachkriegszeit konnte sich jeder glücklich schätzen, der eine Nähmaschine besaß.

„Totalfliegergeschädigte Schneidermeisterin sucht Nähmaschine zu kaufen oder zu tauschen gegen Silberbesteck.“ Nähmaschinenbesitz war Überlebensgarantie. „Gediegene Anfertigung von Kleidern, Mänteln, Anzügen, Kostümen aus mitgebrachten Materialien.“ Neue Kleidung brauchte jeder – hergestellt aus NS-Fahnen und eingefärbten Uniformstoffen. Aus Alt mach Neu! Grafiker wurden gesucht für die Gestaltung hakenkreuzfreier Briefköpfe, entnazifizierter Vordrucke. Auch Orthopädie-Bandagisten für die Kriegsversehrten. Hautärzte, Dolmetscher, Bauunternehmer priesen ihre Dienste an. Was den Wiederaufbau der weithin zerstörten Städte betraf – „Backsteinputzgeräte“ waren gefragt und entsprechende Fachleute, man krempelte die Ärmel auf: „30-40 Maurer, 15-20 Zimmerer u. 20 Betonfacharbeiter für dringende Bauvorhaben gesucht.“ Auch wer um seinen alten oder neuen Besitzstand fürchtete, fand mit Hilfe einer Anzeige das, was er suchte: „Guter Wachhund, auf den Mann dressiert.“ Es waren ja nicht wenige solcher Hunde gerade erst arbeitslos geworden …

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Hat „man“ die SZ (20 Pfennig) damals wegen der Berichte über den Nürnberger Prozess gekauft? Oder wegen der Kleinanzeigen auf der letzten Seite? Die Anzeigen spiegeln den Überlebensalltag. – Henrike Leonhardt zeichnet ein Nachkriegsbild. (Pressetext)

Die Erstausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ (6.10.1945):
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Wer mich kennt, weiß, dass mich solche zeitgeschichtlichen Dokumente aus dem Alltagsleben brennend interessieren … von daher eine einerseits wirklich interessante Radiosendung.

Was mich freilich immer wieder gestört hat, war dieser „amüsierte feuilletonistische Plauderton“ der Sprecher/innen … denn: amüsant war diese Zeit nun wirklich nicht.

Radiosendung vom 31.10.2015 (Bayerischer Rundfunk)

In das vom Krieg stark zerstörte Gebäude (Färbergasse) zog die SZ nach der Lizenzerteilung ein:
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Besetzung:
Leider unbekannt

Aus der BR-Programmzeitschrift des Bayerischen Rundfunks, 2015:
BR Programmzeitchrift2015

Titel:
01. Biete Violine, suche Heizplatte – Kleinanzeigen in den ersten Süddeutschen Zeitungen 52.12

Text: Henrike Leonhardt

Die Kleinanzeigen in der SZ Erstausgabe:
SZ07A

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SZ Artikel 28_01_2023

Und eigentlich habe ich ja eine Faksimilie-Ausgabe der Erstausgabe der Süddeutschen Zeitung“
… ähm … im Keller … ähm … aber wo bloß?