Bert Loska „Sex“-tett – Bonifatius Kiesewetter 2 (Ende der 60er Jahre/Anfang der 70er Jahre)

FrontCover1Und jetzt wag´ ich mal einen tiefen Griff in die deutschen Sittengeschichte …

Bonifazius Kiesewetter (auch Bonifacius) ist eine fiktive Gestalt in zotigen Unsinnsgedichten, die zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs entstanden. Sie ist das Alter Ego ihres Schöpfers Waldemar Dyhrenfurth. Die „Figur“ dient vermutlich noch heute als Vorlage ähnlicher Verse.
Vergleichbar sind der Sanitätsgefreite Neumann und Frau Wirtin.
Ähnlich wie Witz oder Unsinnserzählung bedienen die Bonifazius-Kiesewetter-Verse das Verlangen nach gelegentlicher Flucht aus dem „Comment“ oder sonst geltenden Anstandsregeln. Die regelmäßig angehängte „Moral“ verspottet ähnliche Sprüche, die lehrhaft angeblich bewährte Lebensregeln verkünden.
Ein Bericht in gepflegter Sprache über möglichst vornehme Personen scheint zunächst einen Hintergrund gängiger Korrektheit auszubreiten. Dieser geht aber schnell in eine derbe Karikatur über, die im selben Tonfall obszöne Wörter und Verhaltensweisen darstellt.

Am Ende steht unter der Überschrift „Moral“ oder „Moral und christliche Nutzanwendung“ ein Zweizeiler, von dem der Hörer eine moralische Zurechtrückung des soeben Gehörten erwartet. Doch die Erwartung wird böse enttäuscht: Meist folgt ein zynischer Kommentar zur dargestellten Situation oder sogar noch ein weiterer obszöner Aspekt der Geschichte.
Waldemar Dyhrenfurth

Waldemar Dyhrenfurth um 1870

Bonifazius verstößt gegen die grundlegenden Umgangsformen seiner Zeit und Gesellschaftsschicht. Er lebt seine Sexualität durch Geschlechtsverkehr mit Mensch, Tier und Gegenstand sowie durch Onanie aus und dies auch völlig unverschämt in aller Öffentlichkeit. Er hantiert mit Fäkalien sorglos und schadenfroh auch zum Nachteil seiner selbst oder anderer Menschen. Er hat keinerlei Bedenken und nimmt auch keine Rücksicht auf eventuelle eigene Nachteile gesellschaftlicher oder physischer Natur. Sein Verhalten wirkt wie die Trotzreaktion eines eingeengten Geistes auf die strengen Moral- und Etikette-Vorschriften der wilhelminischen Kultur.

In der wilhelminischen Zeit waren die Verse vor allem in akademischen Kreisen sehr populär. Ihre Ausstrahlung bezogen sie aus dem Kontrast zwischen dem gesellschaftlichen Renommee der handelnden Personen und der unverschämten Obszönität ihrer angeblichen Verhaltensweisen: Umgang mit Fäkalien und Sexualität abseits aller Konvention. Bonifazius tritt als Repräsentant des Establishments im deutschen Kaiserreich in verschiedenen Rollen auf: als Corpsstudent, Jurist, Beamter und Offizier. Er verkehrt in Adelskreisen. Als Sexualpartnerin wird öfter eine Baronin oder Gräfin Ziegler genannt.

Als Erfinder und Hauptautor der bekannten Form gilt der preußische Staatsanwalt Waldemar Dyhrenfurth. Zu Beginn seines Jurastudiums trat er 1868 dem Corps Borussia Breslau bei, einer schlagenden Studentenverbindung, die innerhalb des als äußerst vornehm erachteten Dachverbandes Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV) zum grünen Kreis gehörte. Diese Corps rekrutierten sich oft aus dem Landadel und gaben sich gern rustikal. Dyhrenfurth schloss sich noch zwei anderen („blauen“) Corps an.

Buchtitel

Das Buch kam in den 60er Jahren auf den Index

Einige der Kiesewetter-Strophen beziehen sich konkret und sachkundig auf das Corpsstudententum.

Waldemar Dyhrenfurth soll Mitglied der Literarischen Gesellschaft „Der Osten“, die Dritte Schlesische Dichterschule gewesen sein, einer Breslauer Vereinigung von (Hobby-)Autoren, die sich auf die großen Zeiten der schlesischen Dichtkunst beriefen (siehe auch: Schlesische Dichterschule, Zweite Schlesische Schule). Die Gesellschaft wurde 1859 gegründet und musste im Jahre 1934 unter dem Gleichschaltungsdruck der nationalsozialistischen Herrschaft ihre Aktivitäten aufgeben.
Die später wie Volksliedstrophen den Originalversen hinzugedichteten Texte kann man zunächst am ehesten den Studentenliedern und der Unsinnspoesie zuordnen. Heutzutage wird man nicht wenige Rezitatoren samt nicht öffentlicher Hörergemeinde auch unter Soldaten (vermutlich aller Ränge), bei Handwerkern, Fuhrleuten und anderen Männergruppen finden.
Anfangs wurden die Verse nur mündlich überliefert, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es auch Buchveröffentlichungen. Im Jahre 1968 wurde in deutsch-italienischer Kooperation ein Erotikfilm mit der Titelfigur produziert, der die Bordellbesuche eines Bonner Medizinstudenten zum Thema hatte. (Wikipedia)

Wie es dann dazu kam, dass Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre das Bert Loska Sextett frivole Texte musikalisch darboten, weiss ich auch nicht so genau. Eventuell hat es mit dem 1969 erschienen Film „Donnerwetter, Donnerwetter, Bonifazius Kiesewetter“ zu tun.
Der Bert Loska hieß ja eigentlich Heribert Thusek und war von Beruf Jazzmusiker … Vibraphonist war er … Aber er hat eben auch viele solcher eher platten Alben eingespielt …
Bert Loska

Bert Loska

Jedenfalls kann ich hier die Folge 2 präsentieren (das lässt mich vermuten, dass Folge 1 ausreichend erfolgreich war)

Man erwarte sich nun bitte keine Texte aus dem Bereich der Hocherotik … nein … wenn denn einer meint, die Texte seien eher dümmlich (Kategorie: zotig-platte Verse) … ich würde nicht widersprechen.

Noch rätselhafter ist die Frage, warum diese LP ausgerechnet beim legendären deutschem Jazzlabel MPS Records erschien (die hatte, so habe ich eben entdeckt, dann auch einen LP mit dem Titel „Liebes-Horoskop“ (mit „Frau Sibylle, Dr. Med. Ossy Knolle & Bert Loska mit Seinem Sternen-Sex-Tett“) im Programm !

Aber immerhin: Heribert Thusek alis Bert Loska hat auch auf seriösen MPS Alben mitgewirkt (z.B. Art van Damme und Joe Pass Aufnahmen).

Ins grübeln kommt man bei dieser LP dann aber schon … dass es eben schon von jeher diese Art von „Herrenwitze“ gab …. nix dagegen … aber „Damenwitze“ sucht man wohl vergeblich … Rührt das daher, dass Damen … die körperliche Liebe eben nicht auch als Vergnügen, sondern als ne ganz ernsthafte Angelegenheit sehen …

Wobei … aufgrund meiner Lehr- und Wanderjahre zu diesem Thema … da hat sich in den letzten Jahren doch so einiges geändert … Da schweigt jedoch des Sängers Höflichkeit …

Plakat

Filmplakat

Besetzung:
Bert Loska Sextett
+
Ein besserer Herr (vocals)
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Titel:
01. Prolog: Wie überall in jedem Falle… (Loska/Laube) 0.57
02. Boni lag im Krankenhaus (Loska/Laube) 1.18
03. Schon als Kind hat Bonifatius… (Loska/Laube) 1.27
04. Bonifatius muß verreisen (Loska/Laube) 0.57
05. Bonifatius Kiesewetter, als er Oberfähnrich war (Loska/Laube) 1.16
06. Bonifatius Kiesewetter war auch einmal Referendar (Loska/Laube) 1.21
07. Als ein Varietéeensemble (Loska/Laube) 1.07
08. Frau Baronin schickt die Tochter (Laube/Bennet) 1.11
09. Bonifatius ging ins Schwimmbad (Loska/Laube) 1.19
10. Gräfin Ziegler hat Geburtstag (Laube/Bennet) 0.56
11. Neulich trifft ihn Gräfin Ziegler (Loska/Laube) 1.03
12. Weil er es sehr eilig hatte (Loska/Laube) 1.09
13. Bonifatius und die Gräfin wollten nachts nach Hause geh’n (Loska/Laube) 1.36
14. Frau Baronin weilt im Bade (Loska/Laube) 1.24
15. Bei dem letzten Bundesschleßen (Loska/Laube) 1.05
16. Frau Baronin hatte Fieber (Loska/Laube) 1.13
17. Bonifatius Kiesewetter stellte Antrag auf UK (Loska/Laube) 1.18
18. Frau Baronin strickte Höschen (Loska/Laube) 1.00
19. Einstmals eilte Bonifatius (Laube/Bennet) 1.32
20. Bonifatius, dieser Schwein’hund (Loska/Laube) 1.05
21. Bonifatius Kiesewetter zog ins Krankenhaus (Loska/Laube) 1.14
22. Elsa hieß das junge Mädchen (Loska/Laube) 1.37
23. Gräfin Ziegler machte Urlaub (Loska/Laube) 0.48
24. Bonifatius Kiesewetter beim Manöver (Laube/Bennet) 0.54
25. Frau Baronin Ziegler feierte Geburtstag (Loska/Laube) 1.12
26. Bonifaz, total betrunken… (Loska/Laube) 1.23
27. Finale: Liebe Bonifazgemeinde (Loska/Laube) 0.35

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Filmbild

Aushangfoto des Films „Donnerwetter, Donnerwetter, Bonifatius Kiesewetter“ (demnächst in der Videothek