Kluster – Klopfzeichen (1971)

FrontCover1Ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Album ! Zeigt es doch zum einen, welche Innovationskraft in der deutschen Musik Ender der 60er/Anfang der 70er Jahre steckte.

Rückblick:

„Klopfzeichen“, das kompromißlose Debütwerk des Avantgarde-Trios Kluster, öffnet ein Zeitfenster in die experimentfreudige Ära, in der beispielsweise musikinteressierte Aktionskünstler wie Joseph Beuys‘ Student Conrad Schnitzler (hier zusammen mit Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius) musique concrete-Einflüsse von Edgar Varese und K.Stockhausen um eine neue, aggressiv-industrielle, elektrisch-krautrockige Komponente ungestraft erweitern konnten.

Dieses Album, dessen Inhalt damals von einem „Die Welt“-Schreiberling schon mal als „Lärmsäge“ beschrieben wurde, wäre ohne einen ebenso toleranten, wie idealistischen Kirchenorganisten namens Oskar Gottlieb Blarr kaum zustandegekommen. Blarr hat dem Trio den Einlaß ins Kölner Rhenus Studio gewährt, das damals einem kirchlichen Verlag gehörte. So erklärt sich auch der missionarische Eifer, mit dem Christa Runge die konsumkritischen, politisch links ausgerichteten, bisweilen auch religiös eingefärbten dichterischen Werke von Liselotte Rauner, Rudolf Otto Wiener, Dorothee Sölle, Wilhelm Wilms, Eva Zellar und Uwe Seidel im ersten Teil von „Klopfzeichen“ rezitiert.

Kluster1Diese Texte passten sicherlich zu den studentischen Revolten Ende der 60-er. Heute, über 30 Jahre später, wirken die etwas befremdlich. Schnitzler und Moebius sind inzwischen auch der Ansicht, dass das Stück besser klingt, wenn man der deutschen Sprache nicht mächtig ist.

Im Teil 2 von „Klopfzeichen“ bleibt der Hörer, wie gesagt, von solchen (und anderen) Texten verschont. Und so kann man sich verstärkt auf die geheimnisvollen Geräuschquellen konzentrieren, die hier, etwas aggressiver als im ersten Teil, zum erzeugen von düster lärmender, avantgardistischer, manchmal auch „kosmisch“ eingefärbter Industrial-Musik benutzt werden. Echolastige Gitarren-Feedbacks, verfremdete Stimmen und Pauken, nur schwer erkennbare Orgel und Piano – das alles gelegentlich um Flötensolos angereichert – verschmelzen zu einer Improvisation, die in ihrer Radikalität als pionierhaft und einflußreich gilt. Es wurden hier auch – wenn man den Berichten glauben darf – einige „zweckentfremdete“ Gegenstände zur Klangerzeugung verwendet, wie z.B. eine Autobatterie.

Im besagten Kölner Studio traffen die drei Musiker zum ersten Mal auf den inzwischen legendären Studiotechniker Conrad „Conny“ Plank, der später u.a. zusammen mit Roedelius und Moebius (und auch Brian Eno) an vielen innovativen Alben beteiligt war. Plank wird auch derjenige gewesen sein, der die von dem Kluster-Trio perkussiv-atonal, absolut melodiefrei behandelten Gitarren- und Cellosaiten (um nur zwei Beispiele zu nennen) um zahlreiche Studioeffekte bereichert hatte. (Babyblaue Seiten)

Zumindest was den Text “Mea Culpa” von Liselotte Rauner betrifft, möchte ich meinem Vorredner auf das heftigste widersprechen. Zum besseren Verständnis hier der Text:

Mea Culpa

Ich bekenne mich schuldig
der Erregung öffentlichen Ärgernisses
durch freie Meinungsäußerung

ich bekenne mich schuldig
der Konspiration mit meinem Gewissen

ich bekenne mich schuldig
des Verstoßes gegen die öffentliche Unordnung

ich bekenne mich schuldig
der Begünstigung des Fortschritts

ich bekenne mich schuldig
der Verführung Abhängiger zum Denken

ich bekenne mich schuldig
des Attentats auf die Gleichgültigkeit

ich bekenne mich schuldig
der Beihilfe zum Mord an geheiligten Tabus

ich bekenne mich schuldig
des Aufruhrs gegen die Ungerechtigkeit

ich bekenne mich schuldig
der Anstiftung zum Frieden

ich bekenne mich schuldig
des Fluchtversuchs aus dem Mittelalter

Klar, der damalige Zeitgeist weht durch diese Zeilen, aber, wenn das der damalige Zeitgeist war, dann war das schon eine sehr wichtige Zeit, denn aus diesen Zeilen spricht jener Drang nach Emanzipation des kleinbürgerliches Miefes, der in den 60er Jahren und darüber hinaus durch unsere deutschen Landen wehte.

Diese Zeilen dann auch noch mit einer ganz speziellen Dringlichkeit gesprochen, sind ganz sicher einer der Höhepunkte dieses Albums, basta ! Und auch die anderen Texte sind wahrlich nicht von schlechten Eltern !

Die zuweilen sehr metallisch klingende Musik hat immer wieder Phasen von hypnotischer Magie … ungewohnt und zugleich faszinierend …

Teil 2 ist dann rein „instrumental“ mit diversen Soundkaskaden, man muss sowas nicht mögen, aber dennoch: Diese LP ist ein Zeichen des künstlerischen Aufbruchs jener Zeit.

Ach ja, nach dem Weggang von Hans-Joachim Roedelius im Jahr 1971 nannte man sich fortan „Cluster“, aber das ist dann ne andere Geschichte, die es hier zu erzählen gilt.

Aufgenommen, in den Rhenus Studios, Gordorf bei Köln, 21. Dezember 1970 (andere Quellen sprechen von 1969, glaub ich aber nicht)

Alternative FrontCover

Besetzung:
Dieter Moebius (alle nur erdenklichen Instrumente)
Hans-Joachim Roedelius (alle nur erdenklichen Instrumente)
Conrad Schnitzler (alle nur erdenklichen Instrumente)
+
Christa Runge (Sprechgesang)

BackCover

Titel:
01. Part I 23.31
02. Part II 21.36

Musik: Conrad Schnitzler, Dieter Moebius, Hans-Joachim Roedelius

Texte: Dorothy Solle, Eva Zeller, Liselotte Rauner, Rudolf Otto Wiemer, Uwe Seidel, Wolhelm Wilms

LabelB1

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