Christian Petzold – Die innere Sicherheit (DVD rip) (2000)

InnrereStille70Ein durch und durch intensives Filmereigniss:

Die innere Sicherheit ist ein deutscher Spielfilm von Christian Petzold aus dem Jahr 2000. Er zeigt ein im Untergrund lebendes Paar mit linksterroristischer Vergangenheit, dessen 15-jährige Tochter sich dem Regelwerk ihrer streng isolierten Existenz zu entziehen beginnt. Die Hauptrollen wurden mit Julia Hummer, Barbara Auer und Richy Müller besetzt. Filmpremiere war am 1. September 2000 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Venedig, der deutsche Kinostart am 25. Januar 2001. Den ursprünglich geplanten Titel „Gespenster“ verwendete Petzold dann für einen späteren Film. Zusammen mit Yella bilden die drei seine sogenannte „Gespenster-Trilogie“.

Hans und Clara, die als ehemalige Terroristen seit Langem außer Landes auf der Flucht im Untergrund leben, sind im Begriff, sich von Portugal aus nach Brasilien abzusetzen in der Hoffnung, dort „neu anfangen“ zu können. Besonders wichtig scheint das für ihre 15-jährige Tochter Jeanne, die sich nach einem Leben in Normalität sehnt, verstärkt Kontakte zu Gleichaltrigen sucht, dabei der elterlichen Kontrolle entgleitet und zu einem Sicherheitsrisiko für das Paar wird. Die Konfrontation mit der Polizei nach einem Einbruch in ihr Hotelzimmer, bei dem ihr Geld gestohlen wird, zwingt die Familie jedoch erneut zu einer Flucht und zur zeitweiligen Rückkehr nach Deutschland. Unterschlupf finden sie in einer leerstehenden Villa in Hamburg, von der Jeanne erfahren hat, als sie in Portugal den deutschen Wellenreiter Heinrich kennenlernte. Beide treffen sich unweit der Villa zuerst zufällig, dann heimlich wieder.

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Währenddessen versuchen die Eltern, das Geld für einen erneuten Fluchtversuch zu beschaffen. Nachdem mehrere Versuche fehlgeschlagen sind, Hilfe von alten Weggefährten zu erhalten, überfallen Hans und Clara eine Bank, wobei Hans verletzt wird und Clara einen Mann tötet. Die letzte Nacht vor der geplanten erneuten Flucht verbringt Jeanne wieder mit Heinrich, dem sie schließlich auch die Wahrheit gesteht. Er verständigt daraufhin die Polizei. Am nächsten Tag wird der Fluchtwagen der Familie auf offener Landstraße von einem zivilen Einsatzkommando eingeholt und von der Straße gedrängt, so dass er sich überschlägt. Jeanne wird hinausgeschleudert und steht nach einer Weile benommen auf, während von den Eltern kein Lebenszeichen zu sehen ist.

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Eine der Filmrezensionen vergleicht Die innere Sicherheit mit Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuss und konstatiert als wichtigsten Unterschied, dass Petzold sich ganz auf den Jetztzustand der Figuren konzentriere und den historischen Kontext der Vorgeschichte außen vor lasse. Tatsächlich bleiben Hans’ und Claras Herkunft, Werdegang und persönliche Motive völlig offen. Auch wird nicht erwähnt, was genau dazu führte, dass sie polizeilich gesucht werden. Ihre Verortung in der linksterroristischen Szene der RAF ist allerdings durch mehrere Verweise eindeutig belegbar. Zwei davon sind die Figur des „Hans Benz“ und der Roman Moby Dick. Hans Benz ist das Pseudonym einer realen Person: Es handelte sich um einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der als Kontaktmann zu untergetauchten Terroristen fungierte und versuchte, sie zum Ausstieg aus der RAF zu bewegen. Dies ist auch die (nicht strafbefreiende) Alternative, die Hans und Clara offensteht (und die sie ablehnen), als einer ihrer ehemaligen Mitstreiter Benz’ Namen erwähnt. Bei Moby Dick wiederum, den Jeanne beim konspirativen Treff mit einem anderen Weggefährten als Code und Erkennungszeichen nutzt, handelt es sich um ein Buch mit hoher Symbolkraft für das Selbstverständnis der RAF, und mit praktischem Nutzwert für die Mitglieder der „Ersten Generation“ zudem, entliehen sie doch ihre Decknamen von den Figuren des Romans (Andreas Baader, ihr Anführer, beispielsweise den von Kapitän Ahab).

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Ursprünglich sollte der Film Gespenster heißen. Dieser Titel, den Petzold dann für einen späteren Film verwendete, wirkt auch für Die innere Sicherheit schlüssig. Die Familie lebt kein wirklich menschliches Leben, sondern das von „Gespenstern“. Die sprichwörtlichen „Gespenster der Vergangenheit“ lassen sie nicht los, und wenn sie nach Jahrzehnten der Abwesenheit plötzlich bei alten Weggefährten auftauchen, wirken sie selbst wie solche. Nicht zuletzt kommt es auch fast täglich dazu, dass sie „Gespenster sehen“, meist aus nichtigem Anlass. Das wird nirgends so deutlich wie in der Szene, als Hans während einer verlängerten Ampelphase die zufällige Häufung dunkel lackierter Fahrzeuge im Bereich der Kreuzung als Bedrohungsszenario wahrnimmt, das ihm so real erscheint, dass er aussteigt und die Hände hebt, um sich dem vermeintlichen SEK-Kommando zu ergeben.

Der letztlich gewählte Titel Die innere Sicherheit ist nicht weniger beziehungsreich. Naheliegend ist es, dabei an die einzelnen Figuren, an die Familie und an den Staat zu denken. Am Fehlen der eigenen inneren Sicherheit leidet Jeanne anders als ihre Eltern

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Christian Petzold

und existenzieller, denn sie ist in dem Alter, in dem sie wissen will, wer sie ist – wogegen die Rolle, in die sie gedrängt wird, sie zur Selbstverleugnung zwingt und einmal auch zum Diebstahl verführt, womit sie die Sicherheit der Familie natürlich noch viel mehr gefährdet. Zum widerspruchsvollen Verhältnis zwischen dieser besonderen Kleinfamilie und dem Staat, dessen innere Sicherheit durch sie verletzt wurde und der sie deshalb verfolgt, wird in den Begleitmaterialien zum Film Folgendes festgehalten: „Durch ihre [Jeannes] Geburt hat sich die aus Hans und Clara bestehende terroristische Zelle in eine ‚Familienzelle‘ verwandelt, so Petzold. Obwohl Jeannes Eltern die Institution Familie früher als kleinste Zelle der von ihnen bekämpften Gesellschaft verachteten, stellt sie mittlerweile ihre einzige Zuflucht dar. Allerdings taucht die verabscheute ‚Makropolitik‘ des Staates in der Familie nun als ‚Mikropolitik‘ wieder auf: Um die innere Sicherheit der Familie zu wahren, wendet Jeannes Vater regelrechte Verhörmethoden bei seiner Tochter an.“

Der Film wurde vom 3. April 2000 bis zum 28. Mai 2000 an der Algarve und in Hamburg gedreht.

„Hervorragend gespielter und inszenierter Film, der ein Thema jüngster Geschichtsbewältigung sehr persönlich aufgreift und Menschen zeigt, die sich in der Ausweglosigkeit eingerichtet haben, nun aber plötzlich mit der Angst vor dem Scheitern konfrontiert werden. Eine beeindruckende Studie, die mannigfaltige Rückschlüsse auf Mentalitäten zulässt.“ (Lexikon des internationalen Films)

„Wo in Schlöndorffs Film Die Stille nach dem Schuss die Figuren fast zu schwer gerieten unter der historischen Last, wirklich zu erscheinen, mehr zu sein als ein Puzzle aus Aussagen, Selbstzeugnissen und Analysen, die es von und über die RAF gegeben hat, sieht man bei Petzold das andere Extrem: Seine Figuren sind fast zu leicht, zu unfertig und oberflächlich gestaltet.“ (Barbara Schweizerhof, der Freitag)

Der Film erhielt überwiegend gute bis hervorragende Kritiken, stellvertretend hier ein Text aus dem „Spiegel“:

„Wie wird man Mensch als Terroristentochter? Christian Petzolds Regie-Debüt „Die innere Sicherheit“ zeigt ein Mädchen zwischen Lebenslügen, verblichenen Idealen, Verrat und erster Liebe.

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Das Begleitheft

Einst wollten sie mit Gewalt die Welt verbessern, nun frisst Angst ihre Seele auf: Clara und Hans gehörten zur RAF und flüchten seit Jahren durch die deutschen Touristenburgen Portugals. Eine perfekte Tarnung ist alles, die unauffälligen Grautöne. Doch „How to hang on to a dream“? Fragend säuselt Tim Hardins Lied aus einer Musikbox und wird zum Motto eines intensiven, stillen Films über anachronistische Ideale und die grenzenlose Verlorenheit eines Teenagers.

 

„Die Innere Sicherheit“ heißt das Kinodebüt des 40-jährigen Christian Petzold und passt wunderbar zur gegenwärtigen Gesinnungsschnüffelei unter führenden Politikern. Ausgerechnet eine Terroristentochter hat sie losgetreten, die Tochter von Ulrike Meinhof. Was treibt Bettina Röhl zu ihrer verqueren Revanche? Verratene Ideale? Zu wenig Liebe? Eine geopferte Jugend? Daran denkt man, während Christian Petzold seine Geschichte erzählt, ohne sich um Biographien zu kümmern oder um Stimmungsbilder einer bleiernen Zeit.

Seine Filmheldin ist 15, heißt Jeanne und ist von Schuldzuweisungen noch meilenweit entfernt. Blass und verloren nippt sie an ihrer Cola auf einer zugigen Terrasse im winterlichen Süden, als sich plötzlich Heinrich zu ihr setzt, ein Wellenreiter aus reichem Haus. Jeannes Unsicherheit beim Small Talk, seine wachsende Neugier an dem seltsamen Mädchen – schon fliegen die Funken der ersten Liebe, da naht Hans, der misstrauische Vater, um alles zu unterbinden, was außer Kontrolle gerät.

Ein folgenschwerer Zufall treibt die Familie zur Flucht in ein verändertes Deutschland, zu ehemaligen Genossen, die sich längst mit dem System arrangierten. Sie sind vermögend geworden oder Alkoholiker. Die alten Ideale haben ihren Wert verloren wie die Geldscheine, die noch in einigen Verstecken modern. Clara und Hans sind Störenfriede, deren 68er-Vokabular keiner mehr spricht – Geister einer verblichenen Zeit. Nur in ihrer selbstgerechten Weltverbesserungspose sind die beiden wirklich stark. Sie wollen nach Brasilien und endlich Sicherheit. Aber wie, ohne Geld? Angst wächst sich zur Paranoia aus: Wenn Hans vor der roten Ampel an einer menschenleeren Kreuzung hält, sich dunkle Wagen bedrohlich nähern und der Film in Hans Kopf realer wird, als die Wirklichkeit. Momente einer enormen Spannung, die beredter sind als alle Phrasen vom Klassenkampf.

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Aus dem Drehbuch

Und Jeanne? Sie liebt ihre Eltern, niemand sonst wohnt in ihrer engen Welt. Stoisch erträgt sie elende Klamotten, fügt sich ins strikte Reglement, das Kontakte und Freunde verbietet und jede Art von Kommunikation. Leider sehen Clara und Hans Jeannes Opfer nicht. Sie vermögen nicht in den Blicken ihrer Tochter zu lesen, die vom Leiden sprechen an der unverdienten Isolation, an den Lebensentwürfen, die nicht die ihren sind. Und vom Verzicht auf all den wichtigen Teenagerkram, der das Erwachsenwerden so angenehm versüßt.

Die Wucht der Gefühle: Heinrich (Bilge Bingül, r.) verändert Jeannes Leben
Doch Jeanne will endlich sichtbar werden, sie will eine eigene Identität, und jetzt bekommt sie die Chance dazu. Stolz präsentiert sie einen sicheren Unterschlupf, den ihr der Surfer verriet. Sie übernimmt die Besorgungen und spioniert sogar Banken für den geplanten Überfall aus. Und sie trifft Heinrich wieder, der in Wirklichkeit Heizungen montiert. Mit ihm kehrt die Wucht der Gefühle wieder, die Jeanne ersticken muss, will sie die Eltern nicht gefährden. Aber die Sehnsucht nach Liebe ist stärker und führt unausweichlich zur Katastrophe.

Der blutige Banküberfall, Flucht, Unfall und Tod – am Ende steht Jeanne alleine da. Stumm blutend – aber nicht neugeboren. In ihrer Rolle hat das Nachwuchstalent Julia Hummer Großartiges geleistet. Sie zeigt ohne viele Worte den ganzen Ansturm sich widersprechender Gefühle. Barbara Auer und Richy Müller hingegen sind durchdrungen vom Eifer derer, die besessen auf die Fast-Forward-Taste der Geschichte drücken und nur sich selber leben. Ein beeindruckendes Ensemble in einem großartigen Roadmovie mit leisen, sensiblen Bildern“. (Cristina Moles Kaupp)

Mit einer gewissen Bitterkeit erlebt man mit einer erschreckenden Eindringlichkeit was aus Menschen wird, die den zynischen, menschenverachtenden Weg des Terrorismus gegangen sind.

Ich lege dieser Präsentation noch ein Heft mit Begleitmaterialien bei. Veröffentlicht wurde dieses Heft (16 Seiten) vom Museum für Film und Fernsehen, Berlin.

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Und so lebt ein ehemaliger Weggefährte, der mittlerweile ein erfolgreicher Rechtsanwalt ist

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Und so wohnt dessen Tochter

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Dieses Bild könnte glatt von Edward Hopper sein

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Fast eine ganz normale Familie

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Stets auf der Hut

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Ein ehemaliger Verleger, heute ein Säufer

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Clara begrüsst ihn herzlich und liebevoll …

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… Hans bleibt distanziert

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Ein Bankübrtfall wird geplant

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Die Nerven liegen blank

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Die Eltern, mittlerweile völlig ratlos …

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Der Banküberfall gerät aus den Fugen …

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Trotz all der Beute … Verzweiflung pur

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Ein Anruf mit Folgen …

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Auf der Flucht …

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Die Blendgranate im Einsatz

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Sie hat überlebt

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