Der Gründer der legendären Satirezeitschrift „pardon“ ist nun verstorben.
Und weil diese Zeitschrift mich nicht nur viele, viele Jahre begleitet hat, sondern eben auch beprägt und beeinflusst hat, hier eine erste Annäherung an den Menschen Hans. A. Nikel. Es kann und wird nicht die letzte Annäherungen an diese so facettenreiche Person sein.
Und zum Einstieg zum Abschied, eine wahrlich mehr als sehenswerte Dokumentation (Radio Bremen/ARTE) aus dem Jahr 2008:
Wie Hans A. Nikel mit ̧ ̧Pardon“ die Republik aufmischte:
Der eine suchte Redaktionsräume für die Zeitung, der andere wollte nicht länger
Immobilienmakler sein, sondern lieber Redakteur: So begannen unmittelbar nach
1945 Karrieren, so begann die Karriere des Hans A. Nikel. Damals, im zerbombten
Frankfurt, vermittelte er der Süddeutschen Zeitung Bürofläche und durfte im
Gegenzug dort schreiben. Der Neu-Journalist war bald wieder weg und brachte es
schließlich 1962 zum Verleger einer Satirezeitschrift, die der verspießten Republik
ziemlich zusetzte: Pardon. Das Blatt mit dem Teufelchen im Logo, das eine Melone hebt, habe dem „trägen Körper“ Bundesrepublik doch etwas Sauerstoff eingehaucht, merkt der Gründer selbst in einem alten TV-Beitrag an.
An die Sauerstoffzufuhr à la Nikel, erinnert nun eine Dokumentation von Anja
Krug-Metzinger auf Arte, die den damaligen Pardon-Macher einerseits zusammen
mit seinem Mitkämpen Gerhard Kromschröder über alte Fotos sinnieren lässt und
den 79-Jährigen andererseits in seinem heutigen Leben als Künstler und Mystik-
Experten im hessischen Bad Homburg zeigt – weit vor den Toren der Stadt
Frankfurt/Main, dem Zentrum des Pardon-Aktionsjournalismus. Die Truppe brachte
im Anti-Atom-Kampf Eierbriketts als Brennstäbe unter die Bürger, marschierte
verkleidet als Bild-Verkäufergruppe mit einem Steckbrief des Chefredakteurs Peter
Boenisch („Der Menschenjäger“) ins Springer-Haus oder präsentierte auf der
Buchmesse einen Fake-Führer als „Adolf Hitler Superstar“.
Das sind alte Geschichten, doch die Sache mit dem Sauerstoff lässt die Frage
aufkommen, wie eingefahren derzeitige Verhältnisse sind. Der Verleger von einst
jedenfalls wirkt immer noch schelmisch, wenn er von einer vorgetäuschten „LSD-Party“ erzählt, über welche die Frankfurter Rundschau (FR) empört berichtete:
Dabei hatte die Zeitung selbst ein ähnliches Fest machen und jedem Gast 300 Mark
für LSD zur Verfügung stellen wollen, wie der ehemalige FR-Redakteur Nikel erfuhr.
Solche Enttarnung machte dem Blattmacher Spaß.
Der Rahmen einer Fernsehbiografie ist zu klein, um das Leben einen Getriebenen
wie „Mister Pardon“ zu greifen. Das frühe Ende der Jugend im schlesischen Bielitz,
das Glück, dem Feuerinferno von Dresden knapp entronnen zu sein, die Abkehr vom
DDR-Drill in Erfurt, das Studium bei Adorno, die Gründung der Deutschen
Verbrauchervereinigung, der Start des eigenen Verlags, die Organisation der
Kriegsdienstverweigerer. Nikel meinte es immer politisch.
Höhepunkt war Pardon, die Zeitschrift, mit der es sich satirisch gegen Aufrüstung,
Kernkraft und die Verdrängung der NS-Zeit kämpfen ließ. In Spitzenzeiten verkaufte
sie mehr als 300 000 Hefte und genoss den Stress mit der Justiz. 1980 nahm Nikel
wieder seine Studien auf, promovierte 1983 in Philosophie über Meister Eckart und
fertigte mehr als 100 Bronzeskulpturen. Die liebste ist ihm „Der Andere“, weil es in
Gesellschaften ja immer jemanden gebe, der ausgeschlossen werden soll. (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 2009)
Oder aber auch:
Hans A. Nikel (geb. 1930) ist einer der ersten Deutschen, die den folgenreichen Aufbruch aus der Adenauer-Republik anbahnten. 1962 gründete und leitete er Europas größte literarische Satirezeitschrift und ließ das deutsche Wirtschaftswunder mit subversiver Satire aufeinanderprallen. Nikel erfand eine völlig neue Art von politischer Publizistik: Die „pardon-Aktionen“ sorgten regelmäßig für Aufregung in der Bundesrepublik, Veränderungen wurden bis in den Bundestag hinein angestoßen.
Seine Bekanntheit nutzte der couragierte Publizist, um der Öffentlichkeit vorzuleben, was lebendige Demokratie bedeutet. Wie kaum jemandem gelang es ihm, Massenbewegungen zu mobilisieren. Nikel ist Initiator und Mitbegründer der Kriegsdienstverweigerung in der Bundesrepublik Deutschland sowie der Deutschen Verbrauchervereinigung – aus der dann später die Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest hervorgingen. Als erste größere Zeitschrift Europas löste pardon eine bundesweite Kernkraftdiskussion aus. Durch viele pardon-Aktionen begann sich eine „grüne“ Bewegung zu konstituieren. Diese von Nikel mitinitiierten neuen sozialen Bewegungen bahnten den Weg für Bürgerinitiativen und die Studentenbewegung. Bereits in den 50er und 60er Jahren hatte Nikel viele provozierende Bücher herausgebracht: Zahlreiche Autoren wurden durch ihn entdeckt und berühmt. Loriot war einer von ihnen Schließlich folgten viele erfolgreiche Erstveröffentlichungen durch zuvor unpublizierter Autoren wie Robert Gernhardt, Walter Hanel, Chlodwig Poth, Felix Rexhausen, Hans Traxler, F. K. Waechter. Nach 18 Jahren beendete Hans A. Nikel seine Herausgebertätigkeit und verkaufte „Pardon“. In der vorerst letzten Phase seiner Entwicklung begann Nikel eine intensive Arbeit als Künstler und Bildhauer und fand so eine weitere Sprache für seine Anliegen. „Teuflische Jahre“ zeichnet das Portrait eines Menschen, der den kritischen Zeitgeist der Republik entscheidend mitgeprägt hat. Ein deutscher Demokrat der ersten Stunde zieht Bilanz. (Quelle: ard.de)
Ich habe damals die Zeitschrift „pardon“ geliebt … und als sich Nikel dann der Spiritualität zuwandte, hae ich nur verständnislos mit dem Kopf geschüttelt. Diese Dokumentation macht für mich heute vieles – auch aus dieser Lebensphase – begreiflich.
Und natürlich: Der Nikel war auch ein begnadeter Selbstdarsteller … und selten wie noch nie zuvor, war mir ein derartiger Selbstdarsteller so was von sympathisch.
Und wie gesagt: Dies ist erst der Anfang … In meinem Keller lagern diverse Jahrgänge von „pardon“ … 2019 wird es ein paar dieser Ausgaben gelingen … hier nochmals aufzutauchen …
Produktion, Buch und Regie:
Anja Krug – Metzinger
1962 gründete Hans A. Nikel in Frankfurt Europas größte literarische Satirezeitschrift „pardon“ und kommentierte fortan das deutsche Wirtschaftswunder mit subversivem Humor. Nikel, der das Blatt 18 Jahre leitete, erfand eine völlig neue Art von politischer Publizistik: die „pardon“-Aktionen sorgten regelmässig für Aufregung (und Prozesse) in der Bundesrepublik. Seine satirische „Guerilla“-Taktik setzte auf die mediale Öffentlichkeit um Massenbewegungen zu mobilisieren. Die von Nikel mitinitiierten neuen sozialen Bewegungen bahnten den Weg für Bürgerinitiativen und die Studentenbewegung.
Das Portrait eines Mannes, der den kritischen Geist der Republik entscheidend mitgeprägt hat. Ein deutscher Demokrat der ersten Stunde zieht Bilanz.