Bernt Engelmann – Trotz alledem – Deutsche Radikale 1777 – 1977 (1977)

Und jetzt wird es mal wieder höchste Zeit eine Lanze zu brechen, diesmal für Bernt TitelEngelmann:

Bernt Engelmann (* 20. Januar 1921 in Berlin; † 14. April 1994 in München), ein Urenkel Leopold Ullsteins, war ein deutscher Schriftsteller und Journalist.
Engelmann 1987 (rechts), zusammen mit Hermann Kant

Engelmann schloss sich gegen Ende der Diktatur des Nationalsozialismus einer Widerstandsgruppe an, wurde zweimal von der Gestapo verhaftet und 1944/45 wegen „Judenbegünstigung“ in den Konzentrationslagern Flossenbürg und Dachau inhaftiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er ein Journalismus-Studium. Während dieser Zeit schrieb er für Gewerkschaftszeitungen. Danach war er als Reporter und Redakteur zunächst beim Spiegel, später beim NDR-Magazin Panorama tätig. In der Zeit von 1966 bis 1967 publizierte er, gemeinsam mit Gert von Paczensky, die Zeitschrift Deutsches Panorama.

Ab 1962 arbeitete Engelmann als freier Schriftsteller. Er verfasste hauptsächlich Sachbücher. In seinen „Anti-Geschichtsbüchern“ verwendete er ein Geschichtsbild „von unten“; nicht die Herrschenden standen im Fokus seiner Geschichte(n), sondern die Beherrschten. Daneben schrieb Engelmann auch zwei Romane mit realem Hintergrund: In Großes Bundesverdienstkreuz beschäftigte er sich mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Industriellen Fritz Ries und dessen Einfluss auf ranghohe Politiker. In seinem Buch Hotel Bilderberg beschrieb er die Entstehung der westlichen Nachkriegseliten am Beispiel der Bilderberg-Konferenz, organisiert von Bernhard zur Lippe-Biesterfeld (der „Prinz der Niederlande“). Insgesamt verfasste er rund 50 Bücher mit einer Gesamtauflage von über 15 Millionen Exemplaren weltweit.

Das SPD-Mitglied Engelmann war von 1977 bis November 1983[1] Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller (VS). 50 Schriftsteller, darunter Heinrich Böll, Günter Grass, Sarah Kirsch und Siegfried Lenz unterzeichneten Ende 1983 eine Erklärung, in der sie seinen Rücktritt forderten. Anlass war ein Telegramm, das Engelmann als Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller gemeinsam mit dem westdeutschen P.E.N.-Club an den polnischen General Wojciech Jaruzelski geschickt hatte. Darin hatte er gegen die Auflösung des polnischen Schriftstellerverbandes protestiert und „die umgehende Zulassung“ eines Verbandes gefordert, „der die Interessen der Autoren“ vertritt. Diese Forderung wurde später von Günter Grass als die Aufforderung gegeißelt, „einen Verband von Quislingen“ (Kollaborateuren) „ins Leben zu rufen“. Außerdem wurde Engelmann vorgeworfen, zu nachgiebig gegenüber der polnischen Diktatur gewesen zu sein. Nach Hubertus Knabe war der Kernsatz: „Bernt Engelmann hat von uns kein Mandat, als Vorsitzender des VS Kollegen Zensuren zu erteilen und Denkverbote auszuteilen.“ Von 1972 bis 1984 gehörte Engelmann dem Präsidium des westdeutschen PEN-Zentrums an, daneben war er langjähriges Mitglied der IG Metall. Er setzte sich für die soziale Absicherung freier Journalisten und Schriftsteller ein. Mit auf seine Initiative geht die Künstlersozialversicherung zurück.

Bernt Engelmann 1987 (rechts), zusammen mit Hermann Kant:

Bert Engelmann 1987 (rechts), zusammen mit Hermann Kant

1984 wurde er mit dem Heinrich-Heine-Preis des Ministeriums für Kultur der DDR ausgezeichnet. Wegen seiner Kontakte als VS-Funktionär zum Schriftstellerverband der DDR war er z. T. umstritten.

Als der von Engelmann vertretene Presseausschuß Demokratische Initiative 1978 in einer Broschüre auf die Tatsache verwies, Franz Josef Strauß sei während des Dritten Reiches Nationalsozialistischer Führungsoffizier gewesen, reagierte Strauß mit der Äußerung, er führe „gegen Ratten und Schmeißfliegen“ keine Prozesse, die insbesondere vor der Bundestagswahl 1980 für politische Kontroversen sorgte. Edmund Stoiber wiederholte den Vergleich 1980 als „ausschließlich“ gegen Engelmann gerichtet und seine „seit Jahrzehnte[n] geführten ‚Verleumdungs- und Denunziationskampagnen‘ gegen die CSU und ihren Vorsitzenden“. Gert Heidenreich verfasste 1981 eine Dokumentation unter dem Titel Die ungeliebten Dichter. Die Ratten-und-Schmeißfliegen-Affäre, zu der Engelmann das Nachwort beisteuerte.

Anfang der 90 Jahre stand er in der Kritik, da er aus der DDR vom Ministerium für Staatssicherheit zugespieltes Material für seine Bücher verwendet hatte. In der Diskussion wurde die Herkunft des Materials kritisiert und teilweise seine Richtigkeit in Frage gestellt. Die Welt berichtete am 19. Juni 2004 mit Dokumentenzitaten, dass er seit 1982 beim Ministerium für Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter „Albers“ auf einem Statistikbogen der Rosenholz-Dateien registriert gewesen sei, und nach Günter Bohnsack von DDR-Drehbuchautor Karl Egel angeworben sein soll.

Engelmanns Grab befindet sich auf dem Friedhof in Rottach-Egern, wo er auch zuletzt lebte. (Quelle: wikipedia)

Reisepass

Nun aber zu diesem Buch, das zwar nicht so eingeschlagen hat, wie seine beiden „Anti-Geschichtsbücher“, dennoch aber ebenfalls seinen ganz speziellen Blick auf Gesichte mehr als eindrucksvoll demonstriert:

Trotz alledem. Deutsche Radikale 1777-1977 1977 ist ein Buch über jene, die durch ihre demokratische und freiheitliche Haltung von den Herrschenden als »Staatsfeinde« geächtet und verfolgt wurden – von dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte bis zum Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky.

„Die Geschichte der deutschen „Radikalen“ ist von auffallenden Widersprüchen gekennzeichnet: Während man die einen verschwieg und vergaß, setzte man den anderen – unter Ignorierung ihrer Radikalität – später Denkmäler. Gemein ist ihnen lediglich, daß man sie zu Lebzeiten verfolgte, unterdrückte, einkerkerte oder zumindest „maßregelte“. So wurde der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubert 1777 auf Befehl des Herzogs von Württemberg entführt und anschließend zehn Jahre auf der Festung Hohenasperg gefangen gehalten. Immanuel Kant legte die preußische Obrigkeit Zurückhaltung nahe – „widrigenfalls Ihr Euch bei fortgesetzter Renitenz unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen habt“. Und Johann Gottlieb Fichte hatte vorsorglich auf das Titelblatt einer Veröffentlichung schreiben lassen: „Eine Schrift , die man erst zu lesen bittet, ehe man sie confiszirt“.

Im 19. Jahrhundert verfuhr man nicht zimperlicher mit denen, die demokratische Freiheiten und soziale Gerechtigkeit forderten: Georg Büchner mußte ins Ausland fliehen, Robert Blum wurde erschossen, die bevorzugte Strafe für andere Liberale und Linke war die Festungshaft . „Für einen Witz: ein Jahr Gefängnis, für ’ne Erzählung: dritthalb Jahr’ – so trüb stand niemals dein Verhängnis, so hoch flog, Deutschland, nie dein Aar“, dichtete der Dramatiker Oskar Panizza. In unserem Jahrhundert eskalierte dann vollends die Gewalt gegen den Geist: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Gustav Landauer und Erich Mühsam wurden ermordet, Carl von Ossietzky zu Tode gequält und 1933 schließlich, was Rang und Namen in der deutschen Literatur und Kunst hatte, ins Exil getrieben. Indem Bernt Engelmann die Geschichte jener Männer und Frauen erzählt, die in den letzten 200 Jahren wegen ihrer freiheitlichen Gesinnung verfolgt wurden, zeigt er nicht nur die Geistlosigkeit, Intoleranz und Überheblichkeit der jeweiligen Obrigkeiten, er macht auch deutlich, wie vergeblich deren Anstrengungen letztlich waren. Denn – wie Goethe 1831 sagte – es geht „am Ende doch nur vorwärts“. (Quelle: Vorwort des Buches)

Es mag ja sein, dass Historiker über Engelmann´s Werke die Nase rümpften ob seiner „Partilichkeit“ … mich hat seine Sicht der Dinge „damals“ mehr als geprägt und bis heute bleibe ich dabei: Wertfreie Geschichtsdarstellung ist ein Ding der Unmöglichkeit … und von daher ist Bert Engelmann diesbezüglich einer meiner wichtigsten Prägungen diesbezüglich (ich habe allerdings keine Ahnung, ob er sich für den wilden Beat der 60er Jahre begeistern konnte *ggg). Und von daher will und werde ich seine Werke hier immer wieder mal würdigen und den Lesern dieses blogs dringend ans Herz legen. Beispiuelhaft nicht nur seine Haltung, sondern auch seine Akribie, mit der er Geschichte aufarbeitete.

Hier ein paar Illustrationen aus dem Buch:

Umschlagseite von J. G. Fichtes 1799 in der Cottaischen Buchhandlung erschienenen Schrift »Appellation gegen die Anklage des Atheismus«.

Umschlagseite von J. G. Fichtes 1799 in der Cottaischen Buchhandlung erschienen Schrift
»Appellation gegen die Anklage des Atheismus«.

»An meinen König« von Hoff mann von Fallersleben in der Handschrift des Dichters. (Umschrift im Anhang) (Kann heute auch keiner mehr lesen)

»An meinen König« von Hoff mann von Fallersleben in
der Handschrift des Dichters. (Umschrift im Anhang) (Kann heute auch keiner mehr lesen)

Heinrich Heine (Stich von E. Mandel nach einer Zeichnung)

Heinrich Heine (Stich von E. Mandel nach einer Zeichnung)

Auszug aus dem »Sozialistengesetz« vom 21. Oktober 1878

Auszug aus dem »Sozialistengesetz« vom 21. Oktober 1878

Faksimile einer Ansichtskarte von Karl Liebknecht aus der Festung Glatz

Faksimile einer Ansichtskarte von Karl Liebknecht aus der Festung Glatz

Kurt Tucholsky. (Lithographie von E. Stumpp, 1930)

Kurt Tucholsky. (Lithographie von E. Stumpp, 1930)

Karikatur von George Grosz: »Vertreter der herrschenden Klasse«

Karikatur von George Grosz: »Vertreter der herrschenden Klasse«

Interessant auch die damalige Rezeption dieses Buches:

"Spiegel - Besprechung" aus dem Jahr 1977 (Asuzug; der gesamte Artikel sowie ein Beitrag aus der "Zeit", ebenfalls 1977, liegt der Präsentation bei)

„Spiegel – Besprechung“ aus dem Jahr 1977 (Auszug; der gesamte Artikel sowie ein Beitrag aus der „Zeit“, ebenfalls 1977, liegt der Präsentation bei)

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