Karussell – Das einzige Leben (1980)

FrontCover1Also, diese DDR-Band habe ich erst neulich für mich entdeckt und diese Entdeckung hat sich nun wirklich gelohnt:

Karussell ist eine deutsche Rockband aus Leipzig. Sie zählt neben Karat, City, Puhdys, Silly und Electra zu den bedeutendsten und populärsten Gruppen der DDR. Am bekanntesten ist die Band mit ihren Titeln Wer die Rose ehrt, Ehrlich will ich bleiben, Autostop und vor allem mit Als ich fortging geworden – der auch heute noch von einigen Radiostationen gespielt wird und zu den populärsten Hits aus der DDR-Zeit gezählt wird.

Die Band entstand im April 1976 durch eine Umbildung der Leipziger Amateurgruppe Fusion mit ehemaligen Mitgliedern der kurz zuvor verbotenen Leipziger Band Renft – maßgeblich initiiert durch den Keyboarder Wolf-Rüdiger Raschke. Neben ihm gehörten bei der Gründung zur Band: Peter Cäsar Gläser (Gesang und Gitarre), Jochen Hohl (Schlagzeug), Reinhard Oschek Huth (Gitarre), Lutz Kirsten (Gesang und Gitarre), Claus Winter (E-Bass) und Bernd Schumacher (Saxophon und Querflöte).

Musikalisch trat Karussell für viele das Erbe von Renft an. Dafür standen nicht nur die früheren Renft-Mitglieder Jochen Hohl und Peter Gläser, sondern auch die im Renft-Stil gehaltenen Lieder Whisky, Lebe und Welt im Sand, die zunächst in den Rundfunkstudios produziert wurden, sowie die Neuinterpretation des Renft-Klassikers Wer die Rose ehrt für die zweite Langspielplatte der Band. Auch Texter und Liedermacher Kurt Demmler begleitete Renft und Karussell – er schrieb die meisten der von Karussell interpretierten Texte.

Karussell01

Dank eines Fördervertrages mit dem Zentralrat der FDJ und der Konzert- und Gastspieldirektion Berlin (KGD) wandelte sich die Gruppe 1978 zur Berufsformation um, was ihr einen neuen Aufschwung bescherte und einen Auftritt beim „Rhythmus ’78“-Festival. Im gleichen Jahr erschien auch ihre erste Amiga-Single, Der Gitarrist.

Bereits damals zeigte sich, dass der Bandname Karussell in Bezug auf ihre Mitglieder auch Programm war. Im Laufe ihrer Geschichte drehte sich das Mitgliederkarussell häufig und immer schneller, und viele Musiker verließen nicht nur die Band, sondern auch die DDR. Den ersten Umbau gab es bereits 1978, als Bernd Dünnebeil (Gitarre) Lutz Kirsten ersetzte. Auch hatte Karussell seit dem Weggang von Bernd Schumacher keinen Saxophonisten und Flötisten mehr. Verschiedene Gäste sowie Bernd Dünnebeil übernahmen für Studio-Aufnahmen oder Konzerte fortan dieses Instrument. In dieser Besetzung spielten sie 1979 ihre erste LP, Entweder oder, ein. Bald darauf, 1980, folgte ihre zweite LP Das einzige Leben.

Single01

Die Single zur LP

Bei den Aufnahmen zu ihrer dritten LP, Schlaraffenberg (1982), war Bernd Dünnebeil nicht mehr dabei. Für ihn kam Tom Leonhardt, der ehemalige Gitarrist der Bands ZOE und Schwarzer Pfeffer. 1983 verließ Peter Cäsar Gläser – bis dahin die prägende Stimme – die Band, um sich ganz seinem Soloprojekt mit eigener Gruppe zu widmen. Lutz Salzwedel, ehemals Sänger der Gruppe Passion, wurde als neuer Frontmann in die Gruppe aufgenommen. Der Rest der Gruppe Passion fungierte übrigens einige Zeit später als Begleitformation von Peter Gläser. Allerdings verließen Leonhardt und Salzwedel Karussell kurze Zeit später. Während sich die Band in der damaligen Bundesrepublik Deutschland auf einer Tournee mit ihrem neuen Album Was kann ich tun (1984) befand, setzten sie sich ab.

Karussell03Mit diesem Weggang Richtung Westen und vor allem mit dem erneuten Wegfall ihres Frontmannes stand die Band 1985 kurz vor ihrer Auflösung. Nur dank des Bemühens von Wolf-Rüdiger Raschke, der auch schon zuvor die Band immer wieder zusammengehalten hatte, und der Integration des jungen Sängers und Komponisten Dirk Michaelis als neuem Frontmann schaffte sie ein Comeback. Mit Jürgen Hofmeister kam auch ein neuer Gitarrist in die Gruppe.

1987 meldete Karussell sich mit ihrer LP Café Anonym und dem Hit Als ich fortging (Text: Gisela Steineckert) zurück. Mit Michael Sellin hatte die Gruppe auch einen neuen Texter. Allerdings verließ in der Folgezeit Claus Winter die Band. Er wurde durch Jan Kirsten (Bassgitarre) ersetzt. 1990 erschien ihre vorerst letzte LP, Solche wie du. Wie viele andere Gruppen der DDR löste sie sich in der unmittelbaren Nachwendezeit 1991 auf. Wolf-Rüdiger Raschke wurde Hotelmanager. Der langjährige Schlagzeuger Jochen Hohl beendete seine Musikerlaufbahn und lebt heute in Lübeck. Jan Kirsten wurde Bassist bei der Gruppe Takayo. Dirk Michaelis startete eine Sololaufbahn.

1994 versuchten Wolf-Rüdiger Raschke und Jan Kirsten mit dem neuen Sänger Larry B., dem Prinzen-Schlagzeuger Ali Zieme und der Integration von Takayo einen Neubeginn und brachten unter dem Namen Karussell die CD Sonnenfeuer heraus. Allerdings akzeptierten die Fans den erneuten Umbau – anders als alle anderen zuvor – nicht, so dass der Erfolg ausblieb.

Im Januar 2006 verstarb der langjährige Bassist Claus Winter, was von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Reinhard Huth sang von 1987 bis 2007 bei der Leipziger Band Beat-Club. Peter Cäsar Gläser starb 2008 an Krebs.

Karussell04

2007 formierte sich Karussell nach mehr als zehnjähriger Spielpause auf Initiative von Reinhard Huth neu. Ihr Comeback startete die Band mit einem ersten Konzert im September 2007 in der Besetzung Wolf-Rüdiger Raschke (Keyboard, Gesang, Bandleader), Joey – später „Joe“ – Raschke (Gesang, Keyboard, Bluesharp), Reinhard Huth (Gesang, Gitarre), Jan Kirsten (E-Bass, Gesang), Frank Endrik Moll (Schlagzeug) und Hans Graf (Gitarre). Die neue Konzerttournee unter dem Titel „Wiedersehen im Traum“ begann Anfang 2008 und dauerte bis 2009. Das Schlagzeug spielt seit 2008 Benno Jähnert, der früher Mitglied der Bands Logo und Zebra war.

Am 17. Juni 2011 erschien nach fast 17-jähriger Pause das Album loslassen.

Unabhängig von der hohen Fluktuation ihrer Mitglieder feierte Karussell in fast allen ihren Besetzungen große Erfolge und konnte sich auf eine treue Fangemeinde stützen. Kennzeichen dieses musikalischen Schaffens war ihr „erdiger“ Rhythm & Blues und die klare, unmissverständliche Interpretation der von Kurt Demmler und später Michael Sellin stammenden, oft kritischen Texte. Mit ihren „Welthits, die keine werden durften, weil sich ihr Land von der Welt abgeriegelt hat“ (Olaf Leitner), zeichneten sie den sozialistischen Alltag genauso deutlich nach (Autostop, Ehrlich will ich bleiben), wie sie sich mit existenziellen Fragen der Zeit auseinandersetzten (Das einzige Leben). Auch wenn von Kritikern die mit humanistischem Pathos gefüllten Balladen Was kann ich tun für dich (Komposition: Tom Leonhardt) und Sterne der Nacht (Komposition: Jochen Hohl) und viele andere ihrer Lieder als Meilensteine der DDR-Rockgeschichte angesehen werden, wurde Als ich fortging (Komposition: Dirk Michaelis) ihr größter Erfolg. (Quelle: Wikipedia)

 

Karussell02.jpg

Karussell, 2016

 

Und hier nun ihr fulminantes zweites Album und da ist einer ganz begeistert:

Auch „Das einzige Leben“ von Karussell müßte im Grunde in einem Atemzug mit den besten Alben von Puhdys, Karat, City & Co. genannt werden, denn es steht ihnen in nichts nach. Mehr noch: Es ist auf ihre Art eine einzigartige Platte voller wunderbarer Ideen, großartiger Momente und manifestierten Sternstunden der Rockmusik aus der DDR.

Dabei hatten die Musiker um Wolf-Rüdiger Raschke bei ihrem zweiten Album gar nicht so viel anders gemacht als beim Vorgänger „Entweder-oder“, der Grundstock oder die Basis blieb gleich. Man musizierte weiter linientreu in den Fußstapfen der Klaus-Renft-Combo, trieb es aber diesmal noch besser auf die Spitze. Es ist eine wahre Freude, zu hören, wie verschiedenste Stilarten miteinander verwoben und homogen ausbalanciert wurden, ohne dabei jedoch den Identifikationsfaktor außer acht zu lassen. Letzterer liegt zu einem großen Teil an Cäsar Peter Gläsers Handschrift, die den Songs den notwendigen Wiedererkennungswert verleiht (seine Gitarre ist einfach nicht zu überhören), aber auch an den schon gewohnten Stimmen Cäsars und Reinhard Huths, die – gleichberechtigt in der Anzahl – die einmal mehr hochinteressanten und beschäftigungslohnenden Demmler-Texte zu Gehör brachten.

Karussell05.jpg

Demmler, wie Gläser und Jochen Hohl mit Renft-Vergangenheit, übertraf sich selber in Form und Verklausulierung der Themen, legte klug den Zeigefinger auf Dinge, die jeder nachvollziehen und denen jeder auch zustimmen konnte – egal von welcher Seite aus. Und im Prinzip ist das auch das „Geheimnis“ von Karussell (in der Erstbesetzung wohlgemerkt) im Allgemeinen und „Das einzige Leben“ im Besonderen: Jeder, der sich für Musik aus der DDR interessiert, wird hier etwas für sich finden. Und wenn es auch erst der letzte Titel der Platte, die Neueinspielung von „Wer die Rose ehrt“, sei … Kurz gesagt: Wer unsere Seiten regelmäßig aufsucht und dieses Album nicht kennt, sollte sich bewußt sein, einen der wichtigsten Teile des Ostrocks bisher übersehen zu haben und das Versäumnis schnellstens nachholen zu müssen! Alle anderen: Vielleicht geht es euch wie uns und ihr seid lange nicht mehr dazugekommen, „Das einzige Leben“ mal wieder in den Player zu schieben. Nutzt die Gelegenheit einfach und tut es jetzt – man ist sofort auf’s Neue von den majestätischen Strukturen überwältigt. Ganz sicher! Amen … (kf)

Und ja … ich teile diese Begeisterung … eine großartige Entdeckung … musikalisch abwechslungsreich mit feinen Ergänzungen (z.B die Mundharmonika bei „Halte durch“ und die Texte … vermutlich stets an der Grenze zur Zensur, die das Aufbegehren gegen beengte Lebensverhältnisse wird mehr als einmal subversiv thematisiert.

Na, jedenfalls haben Karussell ein neuen Fan gewonnen.

Karussell06.jpg

Besetzung:
Bernd Dünnebeil (guitar, steel-guitar)
Peter Gläser (vocals, guitar)
Jochen Hohl (drums)
Reinhard Huth (vocals, guitar)
Wolf Rüdiger Raschke (keyboards)
Claus Winter (bass)
+
Bernd Kleinow (harmonica bei 06.)
Thomas Kurzhals (Synthesizer bei 08.)

BackCover1
Titel:
01. Jungs (Hohl/Demmler) 4.35
02. Wiedersehen im Traum  3.20
03. Ein Leben lang (Hohl/Demmler) 5.59
04. Doch wenn die Hähne krähn (Winter/Demmler) 3.33
05. Lieb ein Mädchen (Winter/Demmler) 3.45
06. Halte durch (Huth/Demmler) 3.51
07. Nämlich bin ich glücklich (Gläser/Demmler) 4.
08. Das einzige Leben (Dünnebeil/Demmler) 4.34
09. Und der Wind endet nicht (Gläser/Huth/Demmler) 4.19
10. Wer die Rose ehrt (Gläser/Demmler) 3.02

LabelB1
*
**

Der Text von „Jungs“ könnte glatt von mir handeln … damals:

Sie sind erwachsen nicht und sind nicht mehr klein
und haben Träume, die sind nicht mehr ganz rein.
Und übern Bett hängt Che Guevara neben einer nackten Frau.

Gehn noch zur Schule oder schon`n Betrieb.
Und tun, als hätt` sie überhaupt niemand lieb.
Und finden ihrer Leute leben viel zu eintönig und grau.

Es ist die Zeit in der man schreit:
Lasst uns, wir sind nicht wie ihr.
Die Welt ist groß, die Welt ist weit.
Und wir werden sein nicht so mühsam und klein,
wie Mama und Papa und alle hier.

Sie diskutieren über Gott und die Welt,
laufen in Blue Jeans rum und pfeifen auf Geld.
Und was sie haben geht für Platten drauf und Eintritt zu den Bands.

Denn bei den Bands, da komm`n die Typen zusammen
und die Musik ist wie ein geheimes Programm.
Dazu den Schlüsseln haben manchmal nur die ganz besonderen Fans.

Es ist die Zeit in der man schreit:
Lasst uns, wir sind nicht wie ihr.
Die Welt ist groß, die Welt ist weit.
Und wir werden sein nicht so mühsam und klein,
wie Mama und Papa und alle hier.

Es ist die Zeit in der man schreit:
Lasst uns, wir sind nicht wie ihr.
Die Welt ist groß, die Welt ist weit.
Und wir werden sein nicht so mühsam und klein,
wie Mama und Papa und alle hier.
Sie sind ohne Frage auch dazu in der Lage,
laut Mama, laut Papa und allen hier