Lützel Jeman, F.K.Waechter, F.W.Bernstein – Im Wunderland der Triebe (1967)

FrontCover1Ziemlich schräg, ziemlich einmal, ziemlich gut, diese „Pardon Platte Nr. 2“ Schallplatte aus dem Jahr 1967.

Es lohnt ein kleiner Rückblick:

„Es war im glorreichen Jahr 1967, dem nicht nur politische Umwälzungen folgen sollten, sondern ganz besonders solche der neu erwachenden Erotik, der sexuellen Revolution und ihrer Praktiken, als drei damals noch junge Herren der Neuen Frankfurter Schule beschlossen, die unvollständig informierte Welt schonungslos mit den nackten Wahrheiten aus deutschen Schlafzimmern zu konfrontieren. Auf der seinerzeit von Oswald Kolle losgetretenen Aufklärungslawine, die uns völlig neue Erkenntnisse über den Mann und die Frau als jeweils unbekannte Wesen, über den Orgasmus, in der Folge über Schulmädchen, Krankenschwestern, unser aller Helga und den Sanitätsgefreiten Neumann bescherte, surften sie frohgemut mit: der unvergessene F.K. Waecher, Robert Gernhardt, der sich damals noch Lützel Jemann nannte und F.W. Bernstein, heute unter seinem bürgerlichen Namen Fritz Weigle Kunstprofessor in Berlin und immer noch der geniale Spaßmacher von damals: nebenan übrigens als Laudator für Eugen Egner zu sehen, der nicht mehr aufs Bild gepaßt hat.

Und weil die drei Herren beim Verlag Bärmeier & Nikel und dessen frechem Satire-Magazin „pardon“ in Lohn und Brot standen, konnte  aus dem versammelten Jux zum Sex eine Schallplatte werden, die legendäre PARDON-Platte Nr. 2. An der Realisierung der köstlichen Parodie auf die verschwiemelte Pseudo- Aufklärung dieser Zeit haben sich damals als Sprecher bekannte Größen wie u.a. Hans Timerding, Uwe Dallmeier (1923-1985) und die süße Andrea Rau (die Sünde in Person) beteiligt. Rau damals und später das Lieblings- Titelmädchen von „pardon“, erfüllte in den Jahren danach mit Filmen wie „Quartett im Bett“, „Liebe durch die Hintertür“, „Komm nach Wien, ich zeig dir was“, und „Frau Wirtin bläst auch gern Trompete“, sowie mit ihren ansehnlichen Rundungen und Schmollmund das Vermächtnis der schonungslosen sexuellen Aufklärung.

AndreaRau

Andrea Rau

2006 wurde dann diese Scheibe erstmalig als CD wiederveröffentlicht: Und siehe da: nichts von der Komik der damaligen Texte ist verloren gegangen. F.W. Bernstein sei hier mit den Worten Robert Gernhardts aus dem Booklet zitiert: „Wir waren die ersten! 1968 bereits (es war aber 1967, Anm.) beschrieben wir Erektion und Befruchtung in einer derart handfesten Art, daß Woody Allen dem nichts hinzuzufügen wusste, als er 1972 Was sie schon immer über Sex wissen wolltenmachte.“ In der Tat, da hat der gute Woody heftig abgekupfert! Nochmal mir F.W. Bernstein gesprochen: „Es war alles sehr gut. Besonders wenn Anita P. das Chanson „Madeleine Madeleine“ (in Nr. 9) vorträgt „…denn frivoler geht´s nicht mehr…“, und Conny Jackls Trompete Zwischenbemerkungen macht, dann trägt´s uns auch heute noch leicht aus der Kurve. “

Ein besonderes Schmankerl ist der Schlußgesang der drei Dichter mit den besten erotischen Tiergedichten zur Melodie „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Also anhören und amüsieren.“

So isses … auch wenn natürlich sich für manchen jene damaligen Zeit heute nicht mehr erschließen und von daher der humoristische Nährwert dieser köstlichen Aufnahmen nicht mehr spürbar ist.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass es bei der Wiederveröffentlichung auch eher skeptische Besprechungen gab:

„Es war das Jahr 1968, man(n) stand und wartete. Die politische Umwälzung hielt Händchen mit der sexuellen Revolution und wollte doch so viel mehr.

Da kamen die drei von humoristischer Potenz nur so strotzenden Pardon- Redakteure Robert Gernhardt, F. K. Waechter und F. W. Bernstein – weder zu früh noch zu spät – und „beömmelten“ sich hörbar „über die bürgerliche Hoppelmoral“, wie es im Booklet heißt. Mit der Pardon-Schallplatte Nr. 2 „Im Wunderland der Triebe“ ritten sie auf der Aufklärungswelle der Zeit mit und erzählten ihren lustleidenden Hörern „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ – Jahre vor Woody Allen und auch noch bevor Regisseur und Autor Oswalt Kolle in Deutschland Liebe zum Gesellschaftsspiel erklärte. So verkündet der „spiritus erector“ des Projekts, Robert Gernhardt, stolz im Booklet der Hör-CD: „Wir aber dürfen sagen, wir waren die ersten! 1968 bereits beschrieben wir Erektion und Befruchtung“.

RobertGernhardt

Robert Gernhardt im Jahr 2006

Die Pardon-Schallplatte der drei damals noch jungen Herren der „Neuen Frankfurter Schule“ als Hör-CD neu aufzulegen, entspricht dem Trend, die vor nicht allzu langer Zeit verstorbenen Gernhardt und Waechter zu ehren – und ist absolut angebracht. Aber auch wenn viele Seiten ihres Schaffens heute noch so witzig sind wie damals, ist nicht all ihr einstiger Humor zeitlos.

„Im Wunderland der Triebe“ ist ein Zeugnis und Kind seiner Zeit. So wird in der Einführung der CD darauf verwiesen, dass diese nur für Ehepaare bestimmt ist und Minderjährige den Raum zu verlassen haben. Als Running-Gag dringt aber immer wieder ein Jugendlicher ein und will mithören. Das ist für heutige Humorgewohnheiten platt und erwartbar. Bei dem darauf folgenden Pseudo-Lauschen an den Schlafzimmertüren anderer Kulturen und den gestellten Straßeninterviews über das Sexualwissen der Deutschen wird die Lust auf überraschenden Humor leider auch nicht befriedigt. Die Einblicke in die körperlichen Vorgänge des Sexualvorgangs erinnern den Hörer an die Biologiezeichentricksendung „Es war einmal das Leben“ aus den Neunzigern und stehen deswegen heute in einem völlig anderen Kontext. Da hilft es auch nicht, dass die Spermatozoen Dialekt sprechen – „Im Wunderland der Triebe“ klingt für den Jetztzeit-Hörer einfach nur putzig, aber nicht mehr lustig.

Da befriedigt es auch nicht, wenn der flotte Autoren-Dreier als Höhepunkt der Platte „erotische“ Tiergedichte zu der Melodie von „Das Wandern ist des Müllers Lust“ singt.

So erregt die Hörspiel-Dokufiktion „Im Wunderland der Triebe“ leider nur Nostalgiker und Pardon-Fans. (Jule D. Körber)

Und unfreiwillig komisch ist folgender Kommentar eines Amazon-Kundens:
„Laßt Euch nicht vom Titel der CD täuschen. Das alles ist u.a ein Aufguss von Otto Waalkes „Auge an Großhirn…“. Nichts, was man nicht schon irgendwo gehört oder gelesen hätte. Habe mich maßlos über jeden Cent geärgert, den ich hierfür ausgegeben habe.“

Solche Einschätzungen entstehen, wenn man die Geschichte der deutschen Satire so gar nicht begriffen hat …

ZweitausendEinsAusgabe

Nachdruck für Zweitausendeins

Sprecher:
Joachim Böse, Uwe Dallmeier, Karl Friedrich, Margret Gute, Heide Joram, Hans Joachim Krietsch, Andrea Rau, Peter Schmitz, Hans Timerding
+
Anita P. (vocals)
Peter Grzeschik (guitar)
Conny Jackl (trumpet)

BackCover1

Titel:
01. Seite 1 21.13
02. Seite 2 26.47

Alle Texte: F.K. Waechter – Lützel Jeman (= Robert Gernhardt) – F.W. Bernstein
Regie: Volker Kühn

LabelA1

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