Vorweg: Hier darf ich ein ganz und gar außergewöhnliches Album präsentieren:
„Lebendige Stimme“ nannte Regina selbst ihre Musik. Es war innig und warmherzig und oft magisch, wenn sie sang. Meist auf Bayerisch oder auch klangmalerisch in einer, wie sie es nannte, „Ursprache“. Ihre poetischen Texte und Kompositionen sind unverwechselbar. Sie war zutiefst in der bayerisch-alpenländischen Kultur verwurzelt und doch experimentierfreudig der ganzen Welt zugewandt. Regina Lindinger war ausgebildete Musikerin, hatte am Konservatorium studiert, war auf der Gitarre und dem Klavier gleichermaßen zu Hause. Sie war Profi durch und durch – wusste immer, ob auf der Bühne oder im Studio, genau was sie wollte. Regina war mit ihren Liedern im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs, in den Siebzigern auf allen wichtigen Festivals, Folkklub- und Kleinkunstbühnen. Auch nach Brasilien, Russland und in die Ukraine wurde sie eingeladen. Sie veröffentlichte hochkarätige Tonträger. Ihr letztes Album Jetzt is jetzt erschien 2009. In zahlreichen Kursen und Workshops gab Regina ihr Wissen um die befreiende Kraft des Singens weiter. Am 5. Januar 2018 erlag Regina Lindinger einem Krebsleiden. Kaum jemand wusste von ihrer Krankheit. Die „lebendige Stimme“ verstummte. Am 12. Januar haben sich Reginas Kinder und Enkel, ihre Freunde und zahlreiche Kolleginnen und Kollegen bei einer Trauerfeier in München von ihr verabschiedet. Danach führte Reginas letzte Reise in ihr Heimatstädtchen Moosburg. (Manfred Pohlmann)
Und zum Einstieg in diese wunderbare Welt der Ausnahmekünstlerin ihr Album „Aufbruch“ (Lieder, Stimmspiele & Tancegesänge von bairisch bis sprachlos) aus dem Jahr 2000:
„… Jan Garbarek würde die Frau als Sängerin verpflichten. Mari Boine würde freiwillig im Vorprogramm spielen, direkt nach den Biermösl Blosn. Mal klingen ihre Stücke nach Lieder-macher, mal nach Jazzimprovisationen, mal nach Kirchen-, mal nach Volksmusik. Die Frau verwendet ihre Stimme als Instrument, aber anders als andere Vokalkünstler gibt sie sich weder mit der Imitation herkömmlicher Instrumente zufrieden noch benutzt sie ihre Stimme lediglich zur Erzeugung erstaunlicher Klangfarben. Das sind Nebenerscheinungen, die wohlwollend in Kauf genommen werden. Nein, Regina Lindinger benutzt ihre Stimme exakt so, wie sie es für das einzelne Stück für er-forderlich hält. Das kann mal freie Improvisation sein, mal Soundcollage, und manchmal singt sie auch einfach nur. „Aufbruch“ enthält auch reichlich von der Musik, die ich erwartet habe, meditative, schamanistische Musik.
Doch statt der körperlichen Übelkeit, die mich sonst bei dieser Art von Musik befällt, spüre ich die Faszination dieser Frau und höre ihre Musik wieder und wieder. Also: schnellstmöglich diese CD kaufen, von der ich seit langer Zeit mal wieder sagen darf: „So etwas gibt es kein zweites Mal.“ (Folker Nr. 4, Juli/August 2000 – Christian Splitt-Kretzschmar)
Regina Lindinger entführt uns hier in ihre ureigene Klang- und Stimmwelt. Ihre Ausdrucksform ist tief und kraftvoll, ihre Sprache universell. Auf diesem Album sind neben einigen Liedern auch mehrere sprachlose GESÄNGE und meditative TRANCESTÜCKE zu hören. Oft sind sie direkt aus der Intuition des Augenblicks
Michael Haack
entstanden und vermitteln eine große innere Ruhe und Kraft. Die Musik erinnert in Ihrer Ursprünglichkeit an die Klänge archaischer Kulturen – eine Magie, der man sich kaum entziehen kann.
Die Seele beginnt zu fliegen … Arrangements mit Klavier, Gitarre, Percussion, Saxophon und Didgeridoo. (bscmusic.com)
Und hier muss noch dringend ergänzt werden, dass ihr musikalischer Partner, der Michael Haack einen ganz entscheidenden Anteil an diesem rundum stimmigen Album hat.
Und neben all diesen sphärischen und ungemein dichten Klangvariationen, gibt es dann noch ein eher traditionelles Lied … es hat mich tief bewegt, tief berührt, denn dieses Lied handelte auch von mir, nach all den Jahren meines Berufslebens:
„Ich bin so müd vor lauter Kampf
mir langts vom gwinna und verliern
bin so kaputt vom gefährlich spuien
aus Angst mit könnt´ was passieren
Ich bin so müd´ vor lauter Kampf
mir langts vom groß und wichtig sein
bin so kaputt vom kalten Frieden
und friss meinen Hunger schon so lang in mi nei
Ich hab´soviel Kraft verbraucht
beim raufa: du oder i
I spür mein Herz so stark
und woaß scho nie mehr recht wohin
Was fürcht´ich denn?
brauch ich an Panzer ?
Warum hab´ ich so wenig Vertrauen
I bin scho blind vor lauter rumschlagn
kann nicht mehr richtig schauen
Mag ned bloss überleben
Da musss doch noch was anders sei
I spür mein Herz so stark
Ich mach mach mich auf, i lass mi wieder ein“
Also, da hat ich eine mir bis dato unbekannte Sängerin so direkt in mein Herz gesungen.
Zu schade, dass sie sich schon von uns verabschiedet hat.
Besetzung:
Michael Haack (saxophon, didgeridoo, percussion, synthesizer)
Regina Lindinger (guitar, vocals, piano, steeldrum, percussion)
+
Georg Kolb (bass bei 08.)
Titel:
01. Yalla Ele 4.33
02. Steppenflug 4.36
03. I bin net du 3.32
04. Vor lauter Kampf Intro 2.59
05. Vor lauter Kampf 5.09
06. Voices 5.59
07. Lemuria 6.12
08. Seerosn 4.52
09. Am Mond vorbei 4.03
10. Silver Song 5.48
11. Aufbruch 5.05
12. Improviso 14.10
Musik und Texte: Regina Lindinger
Regina Lindinger (30.7.1946, Moosburg an der Isar, bis 5.1.2018, München)
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