Hier nun eine historische Rarität:
Die Dreigroschenoper ist ein Theaterstück von Bertolt Brecht mit Musik von Kurt Weill. Die Uraufführung fand am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin statt. Das „Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern“ wurde die erfolgreichste deutsche Theateraufführung bis 1933, einige Musiknummern wie die Moritat von Mackie Messer wurden Welthits.
Die Handlung kreist um den Konkurrenz- und Existenzkampf zwischen zwei „Geschäftsleuten“, dem Kopf der Londoner Bettelmafia (Peachum), der Bettler erpresst und sie so ausstattet, dass sie das Mitleid der Passanten erregen, und einem Verbrecher (Macheath), der gute Beziehungen zum Polizeichef (Brown) von London hat.
Ort und Zeit der Handlung: Das Stück ist in Soho, einem Londoner Stadtteil, der zum Zeitpunkt der Handlung von zwielichtigen Gestalten beherrscht wird, während des 18. Jahrhunderts angesiedelt. Eine Zeitangabe ist im Stück selbst nicht angegeben. Üblicherweise wird als Zeit 1728 – das Entstehungsjahr der Vorlage – angenommen, oder aber die Entstehungszeit der Dreigroschenoper selbst, also die 1920er Jahre.
„Sie werden jetzt eine Oper hören. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie ‚Die Dreigroschenoper‘“. (Einleitender Text von Brecht zur Schallplatten-Aufnahme)
Verlagseinband des Erstdruckes (1928)
Die „Dreigroschenoper“ ist eine Bearbeitung der Beggar’s Opera von John Gay (Text) und Johann Christoph Pepusch (Musik) aus dem Jahr 1728. Vorlage war die deutsche Übersetzung dieser Oper von Elisabeth Hauptmann, von der sich Brecht im Laufe der Arbeit allerdings immer weiter entfernte. Ursprünglich lautete die Bezeichnung: „Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel mit 9 Bildern nach dem Englischen des John Gay. Übersetzung: Elisabeth Hauptmann. Bearbeitung: Bertolt Brecht. Musik Von Kurt Weill“.Die Handlung des Stückes hat im weiteren Sinne einen historischen Hintergrund. Im 18. Jahrhundert gab es in London eine gut organisierte Verbrecherbande, deren Anführer Jonathan Wild war. Diese Bande hatte mehrere Abteilungen, die einerseits Diebstahl und Raub betrieben, andererseits den Opfern die Beute zum Wiederkauf anboten. Zum dritten wurden enge Beziehungen zur Polizei unterhalten und missliebige Komplizen ausgeliefert. Wild wurde 1725 in London hingerichtet. Diese Konstellation griff John Gay für seine Beggar’s Opera auf, Jonathan Peachum trägt in der Oper Züge des Jonathan Wild.
Die Dreigroschenoper ist – trotz des Namens, der an die Vorlage angelehnt ist – keine durchkomponierte Oper im engeren Sinn, sondern ein politisch engagiertes Theaterstück mit 22 abgeschlossenen Gesangsnummern, für die keine Opernsänger benötigt werden, sondern singende Schauspieler.
Die Idee zur Aufführung der „Dreigroschenoper“ entstand im Frühjahr 1928 im Zusammenhang mit der geplanten Wiedereröffnung des Berliner Schiffbauerdamm-Theaters (heute Spielort des Berliner Ensembles), für die Brecht dem neuen Direktor des Theaters, Ernst Joseph Aufricht ein halbfertiges Manuskript als erste Premiere für sein renoviertes Haus anbot. Aufricht, der von dem Stoff sofort angetan war, nahm ihn an – gar nicht wissend, dass er damit auch den jungen Komponisten Kurt Weill, den Brecht von Anfang an für die Vertonung der Texte vorgesehen hatte, mitverpflichtete. Aufricht zweifelte anfänglich, ob der für seine Atonalität bekannte Weill der richtige Mann für die Musik war. Brecht und Weill wollten gemeinsam eine neue Form des Musiktheaters entwickeln. Gemäß Brechts Idee vom „epischen Theater“ sollte das Geschehen auf der Bühne die Zuschauer nicht in eine illusionäre Welt hineinziehen, sondern sie vielmehr zur kritischen Reflexion anregen.
Die Dreigroschenoper konnte nur geschrieben werden, weil Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann 1926 Presseberichte über den anhaltenden Theatererfolg der wiederentdeckten Beggar’s Opera von John Gay gelesen hatte, die seit 1920 in London und anderen englischen Städten wiederaufgeführt wurde, und ihre Übersetzung Brecht vorlegte. Die im Bettlermilieu spielende Satire war bei ihrer Erstaufführung 1728 in London Stadtgespräch und brach bei ihrer Neuaufführung im Jahr 1920 mit fast 1500 Aufführungen alle Rekorde. Von März bis Mai 1928, erarbeiteten Brecht und Hauptmann gemeinsam eine erste Textfassung, einen großen Teil des Theaterstücks schrieb Hauptmann dann selbst, wurde aber später im Zuge der weltweiten Erfolgsgeschichte nie entsprechend genannt oder gewürdigt (das Programmheft der Uraufführung nennt noch: Die Dreigroschenoper von John Gay, übersetzt von Elisabeth Hauptmann in der Bearbeitung von Bert Brecht)
Besetzungszettel der Uraufführung. Die Angabe von Lotte Lenya als Jenny fehlt.
Brecht geriet wegen der bevorstehenden Eröffnung des Theaters in Zeitdruck und beschloss, mit Weill zum Arbeiten für einige Wochen an die Riviera zu fahren. Doch vorher regelte er in einem Vertrag mit dem Verlag Felix Bloch Erben die Gewinnbeteiligung. Brecht bestand auf 62,5 Prozent. Weill erhielt 25, Elisabeth Hauptmann 12,5 Prozent. Im Juni und Juli arbeiten Brecht und Elisabeth Hauptmann dann an der französischen Riviera gemeinsam mit Weill und dessen Frau Lotte Lenya an der Endfassung.
Brecht benutzte für die Dreigroschenoper einige Lieder von François Villon, die in der Übersetzung von K. L. Ammer (Karl Anton Klammer) erschienen waren. Die Tatsache, dass er diese Quelle nicht angegeben hatte, veranlasste den Kritiker Alfred Kerr zu heftiger Kritik. Im Mai 1929 erhob er scharfe Vorwürfe gegen Brecht im Berliner Tageblatt. Brecht räumte daraufhin seine „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ ein (betroffen waren rund fünf Prozent der Verse). Laut Friedrich Torberg (Die Tante Jolesch) musste Brecht an Klammer eine nicht unbeträchtliche Abschlagssumme zahlen, wofür dieser einen Weingarten erwarb und den dort gekelterten Wein „Dreigroschenwein“ nannte. Für die Neuausgabe der K.-L.-Ammerschen Villon-Ausgabe schrieb Brecht ein Sonett, das mit den Worten endete: „Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht! Ich selber hab mir was herausgenommen …“Brecht hatte für die Oper ursprünglich den Titel Gesindel vorgesehen und sie im Juni 1928 unter dem Titel Die Ludenoper vom Verlag Felix Bloch Erben als Bühnenmanuskript vervielfältigen lassen. Erst Lion Feuchtwanger machte nach einem Probenbesuch den Vorschlag, das Stück Dreigroschenoper zu nennen.
Rudyard Kiplings Ballade Screw-Guns hatte Brecht zum Kanonen-Song angeregt. Die Quelle war: Kanonen (Rudyard Kipling) aus Balladen aus dem Biwak (übersetzt von Marx Möller); Vita Verlag, Berlin 1911.
Am 1. August 1928 war Probenbeginn am Theater am Schiffbauerdamm (Berlin) unter der Regie von Erich Engel. Die musikalische Leitung hatte Theo Mackeben; es spielte die Lewis Ruth-Band. Das Bühnenbild wurde von Caspar Neher entworfen. Besetzt waren: Harald Paulsen, Peter Lorre, Rosa Valetti, Carola Neher, Kurt Gerron, Kate Kühl, Ernst Busch und Naphtali Lehrmann. Kurt Weill trug zu Beginn seine Lieder vor und überzeugte den Regisseur Erich Engel und Direktor Aufricht, seiner Frau Lotte Lenya die Rolle der Spelunken-Jenny zu übertragen. In ihren Erinnerungen schrieb Lotte Lenya, dass die Produktion unter keinem guten Stern stand und in der Stadt Gerüchte über ein „völlig unzugängliches“ Stück, das Brecht geschrieben hätte, verbreitet wurden.
Bald begann eine Pechsträhne: Carola Nehers Mann, der Dichter Klabund, litt an Tuberkulose und musste nach einem Anfall in ein Sanatorium nach Davos. Als sich seine Lage verschlimmerte, brach Neher die Proben ab und fuhr zu ihm. Nach Klabunds Tod kam Neher am 18. August wieder nach Berlin zurück und wurde bei den Proben zweimal ohnmächtig, bis ihr ein Arzt das Auftreten untersagte. Später bekannte sie, dass sie Brechts Songs, die er teilweise von dem Französischen Dichter François Villon abgeschrieben hatte, nicht ertragen konnte, da Villon Klabunds Lieblingsdichter gewesen war. Eine Woche vor der Premiere übernahm Roma Bahn von ihr die Rolle der Polly.
Die letzten Tage vor der Premiere waren von Auseinandersetzungen zwischen dem Regisseur und dem Autor über die Songs geprägt, es wurde sogar vorgeschlagen, die Musik ganz zu streichen. Peter Lorre, der die Rolle des Jonathan Peachum spielen sollte, stieg aus, für ihn sprang kurzfristig Erich Ponto ein. Als der Regisseur Erich Engel nach einem Streit um den Schlusschoral entnervt das Handtuch warf, übernahm Brecht in letzter Minute selbst die Regie, außer ihm glaubte aber niemand mehr an eine Premiere. Harald Paulsen, der Darsteller des Mackie Messer, verlangte plötzlich eine bessere Einführung seiner Figur mit einem Lied, das auf sein Erscheinen vorbereiten sollte. Brecht schrieb einen Text und Weill vertonte ihn über Nacht: Es war die Moritat, die zum populärsten Lied des Schauspiels werden sollte. Eine weitere Panne passierte mit dem Besetzungszettel: der Name von Lotte Lenya, die die Jenny spielte, wurde versehentlich weggelassen.
Lotte Lenya + Kurt Weill
Karl Kraus, der manchmal an den Proben zur Dreigroschenoper-Uraufführung teilgenommen hatte, steuerte während der Generalprobe die zweite Strophe des „Eifersuchtsduetts“ bei, da seiner Meinung nach das Publikum von einer nicht genug haben würde.
Die Uraufführung fand am 31. August 1928 statt und war einer der größten Erfolge der Theatergeschichte, allerdings nicht sofort. Zunächst herrschte eisige Stimmung und offensichtliche Ablehnung im Zuschauerraum. Erst mit dem Kanonensong brach das Eis. Beifallsstürme erklangen, das Publikum trampelte, der Song musste sogar wiederholt werden. Von da an wurde jeder Satz beklatscht und die Dreigroschenoper wurde zum größten Theatererfolg der Weimarer Republik.
Bereits im Januar 1929 wurde sie an 19 deutschen Theatern sowie in Wien, Prag und Budapest gespielt. Die eingängigsten Songs – Die Moritat von Mackie Messer, das Lied von der Seeräuber-Jenny oder die Ballade vom angenehmen Leben − wurden in der ganzen Stadt nachgepfiffen. Die Dreigroschenoper sollte später das erfolgreichste deutsche Stück des 20. Jahrhunderts werden. Allein zum Ende der Saison 1928/29 verzeichnete man 4000 Aufführungen in 200 Inszenierungen – schon damals ein Jahrhundertrekord. Elias Canetti schrieb später: „Es war eine raffinierte Aufführung, kalt berechnet. Es war der genaueste Ausdruck dieses Berlin. Die Leute jubelten sich zu, das waren sie selbst, und sie gefielen sich. Erst kam ihr Fressen, dann kam ihre Moral, besser hätte es keiner von ihnen sagen können. das nahmen sie wörtlich.“
1933 wurde »Die Dreigroschenoper« von den Nazis verboten. Das Stück war bis dahin in 18 Sprachen übersetzt und mehr als 10.000 Mal an europäischen Bühnen aufgeführt worden. Ihre erste Wiederaufführung im Nachkriegs-Berlin erlebte sie bereits im August 1945 am Hebbel-Theater mit Hubert von Meyerinck in der Hauptrolle. 1949 spielten die Münchner Kammerspiele eine von Brecht veränderte Fassung mit Hans Albers als Macheath.
Hannah Arendt behauptet in ihrem Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft 1951, das Stück habe „das genaue Gegenteil von dem, was Brecht mit ihm gewollt hatte“ bewirkt – die Entlarvung bürgerlicher Heuchelei. Das „einzige politische Ergebnis des Stückes war, daß jedermann ermutigt wurde, die unbequeme Maske der Heuchelei fallen zu lassen und offen die Maßstäbe des Pöbels zu übernehmen.“ (Quelle: wikipedia)
Hier also die 1939 entstanden Schallplattenaufnahmen dieses Klassiker und zwar in der Uraufführungsbesetzung. Erstaunlich gut die Klangqualität. Und dies war nicht die einzige Wiederveröffentlichung.
Alternatives Front + Back Cover
Als Zugabe gibt´s dann noch Auszüge aus der französichen Filmfassung (ebenfalls 1930) sowie aus der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ mit dem legendären Klassiker „Alabama Song“ (wer erinnert sich noch an die Fassung des Songs von den „Doors“) und dann auch noch die mir bis dato unbekannte „Ballade vom Seeman Kuttel-Daddeldu“.
Eigentlich könnte und müsste man ja noch viel mehr berichten … aber … Nur noch soviel:
Lotte Lenya, die als Kind von ihrem trunksüchtigen Vater jeden Tag verprügelt worden war, brachte es auf fünf Ehen (zwei mit Kurt Weill). Nach dem Tod Weills heiratete sie den schwulen Schauspieler George Davis, 1962 (mit 64 Jahren) den 27 Jahre jüngeren Maler Detwiler. Von ihrem letzten Ehemann, der wie die beiden davor alkoholkrank war, ließ sie sich 1973 nach zwei Jahren scheiden.
Bertolt Brecht – Lotte Lenya – Kurt Weill
Besetzung:
Lewis Ruth Band – Jazzorchester unter der Leitung von Theo Mackeben
+
Kurt Gerron (Ausrufer)
+
Gesang bei 01. – 13.:
Erika Helmke – Lotte Lenja – Erich Ponto – Willy Trenk-Trebitsch (vocals)
Gesang bei 14. – 17:
Albert Préjean – Jacques Henley – Margo Lion
Gesang bei 18. + 19:
Lotte Lenja – The Three Admirals
Gesang bei 20.:
Kurt Gerron (mit Orchester)
Titel:
Die Dreigroschenoper, Auszüge (aufgenommen. 7.12.1930):
1. Akt:
01. Ouvertüre und Moritat von Mackie Messer 2.09
02. Seeräuberjenny 3.15
03. Kanonensong 1.34
04. Liebeslied 1.49
05. Barbarasong 2.08
06. Erstes Dreigroschen-Finale
2. Akt:
07. Abschied 1.27
08. Zuhälterballade 1.43
09. Ballade vom angenehmen Leben 1.21
10. Eifersuchtsduett 1.23
11. Zweites Dreigroschen-Finale 2.10
3. Akt:
12. Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens 1.36
13. Moritat und Schlusschoral 3.21
Aus der französischen Fassung des Dreigroschen-Films (aufgenommen 27.11.1930):
14. Chant des Canons (Kanonensong) 2.19
15. Chant d’amour (Liebeslied) 3.03
16. Tangoballade Zuhälterballade) 3.25
17. Ballade de la vie agréable (Ballade vom angenehmen Leben) 2.06
Aus „Mahagonny“ (aufgenommen 24.2.1930):
18. Denn wie man sich bettet so liegt man 3.02
19. Alabama Song 3.07
Die Ballade Vom Seemann Kuttel-Daddeldu (aufgenommen 5.9.1930):
20. Die Ballade Vom Seemann Kuttel-Daddeldu (Grosz/Ringelnatz) 5.58
Texte: Bertolt Brecht
Musik: Kurt Weill
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