Michaela Melián – Föhrenwald (2005)

FrontCover1Ich habe in diesem blog schon mal über die Siedlung Föhrenwald berichtet und zwar hier.

Und das ist die Geschichte der Siedlung Föhrenwald:

Das Displaced Person (DP)-Lager “Föhrenwald” bei Wolfratshausen wurde im Frühjahr 1945 von den Amerikanern in den Arbeiterheimen der ehemaligen IG-Farben Munitionsfabrik eingerichtet. Dort waren bereits kurz zuvor die wenigen Überlebenden des Dachauer Todesmarsches untergebracht worden.

In Bayern existierten kurz nach Kriegsende fast 60 solcher Auffanglager für so genannte Displaced Persons. Als DPs bezeichneten die Alliierten Menschen, die infolge des Krieges aus ihren Heimatländern verschleppt, geflüchtet oder vertrieben worden waren. Deutsche Heimatvertriebene zählten nicht dazu.

Die DPs sollten auf die Auswanderung nach Palästina oder in andere Staaten wie USA, Kanada oder Südamerika vorbereitet werden. Die Mehrheit der anfänglich sechseinhalb bis sieben Millionen DPs in Deutschland verließ diese Lager noch bis September 1945. Eine Million Flüchtlinge und Zwangsarbeiter aus Osteuropa, aber auch rund 150.000 jüdische Überlebende blieben. Diese heimatlos gewordenen Opfer des nationalsozialistischen Regimes hatten zum großen Teil ihre übrige Familie in den Konzentrationslagern verloren. Viele konnten wegen des in Polen weiterhin bestehenden Antisemitismus nicht in ihre Heimatorte zurückkehren, die auch größtenteils durch den Krieg zerstört worden waren.

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Das Lager Föhrenwald wurde von den Alliierten ausschließlich für Juden bestimmt. Anfang 1946 lebten dort bis zu 4.000 DPs, im Winter 1951/52 noch immer 2.000. Föhrenwald wurde 1957 als letztes DP-Lager in Deutschland geschlossen. Heute ist es als Ortsteil Waldram der Stadt Wolfratshausen angegliedert. (Quelle: badehauswaldram.de)

Und diese Siedlung für diese geschundenen Opfern des Nazi-Terrors war dann auch für die Künstlerin Michaela Melián Anlass genug,

Michaela Melián (* 15. Juni 1956 in München) ist eine deutsche Künstlerin und Musikerin. Sie ist Mitgründerin der Band F.S.K. und seit 2010 Professorin für zeitbezogene Medien an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg.

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Das Gelände von Föhrenwald, ca. 1956

Michaela Melián wuchs in München auf. Sie studierte Bildende Kunst und Musik (Cello) in München und London. Über die Zeitschrift Mode und Verzweiflung lernte sie Ende der 1970er Jahre Thomas Meinecke, Justin Hoffmann und Wilfried Petzi kennen, mit denen sie die Zeitschrift herausgab. 1980 gründeten die vier ihre Band F.S.K., mit der Melián als Sängerin und Bassistin durch Europa und in die USA tourte. Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitet sie als Künstlerin, Musikerin und lehrte zuvor an verschiedenen Universitäten: Akademie der Bildenden Künste, München (1998–1999), der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HfbK, 2006–2008) und an der ETH Zürich (2008–2009).

Michaela Melián 2015

Michaela Melián, 2015

Ihre Produktion, das Hörspiel Föhrenwald, das sich mit dem ehemaligen Lager Föhrenwald beschäftigt, wurde Hörspiel des Monats Juli 2005, gewann im November 2005 den Publikumspreis ARD-Online-Award der ARD-Hörspieltage und wurde mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden 2005 ausgezeichnet. Das Hörspiel wurde Hörspiel des Jahres 2008. 2009 sang sie auf dem Album „Die Entstehung der Nacht“ von der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen.

Mit ihrem Konzept Memory Loops gewann Michaela Melián 2008 den Kunstwettbewerb der Landeshauptstadt München „Opfer des Nationalsozialismus – Neue Formen des Erinnerns und Gedenkens“. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk/Hörspiel und Medienkunst verwirklicht und als Hörspiel des Jahres 2010 ausgezeichnet. 2012 erhielt Memory Loops den Grimme Online Award SPEZIAL. „Memory Loops – 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München 1933–1945“ basiert auf Transkriptionen historischer und aktueller Originaltöne von NS-Opfern und Zeitzeugen. Michaela Melián entwickelt daraus Collagen aus Stimmen und Musik, die mit der Topographie des Nationalsozialismus in München verknüpft sind. Sie können entweder einzeln mit Standortbezug gehört werden oder in einer Einheit als gestaltetes Hörspiel. Neben den deutschen Tonspuren sind auch 175 Zeitdokumente in Englisch abrufbar.

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Melián lebt mit Ehemann Thomas Meinecke in Oberbayern.

Typisch für Meliáns Arbeiten sind Verbindung von Kunstobjekten und Klang. Ähnlich wie in der Musik von F.S.K. greift sie historische Geschichten, die oft auf eine bestimmte örtliche Gegebenheit bezogen oder mit einer bestimmten musikalischen Assoziation verbunden sind, auf und verfremdet sie, so dass von der ursprünglichen Assoziation nur überlagerte Spuren übrig bleiben. (Quelle: wikipedia)

Booklet06ASo eine Hörbuch nennt man heutzutage wohl „oral history“ und viel eindringlicher geht es nicht mehr:

Es klingt wie Hohn: Eine von Nationalsozialisten Ende der 30er Jahre erbauten Musterwohnsiedlung namens „Föhrenwald“, etwa dreißig Kilometer südlich von München gelegen und für Zwangsarbeiter der nahen Munitionsfabrik gedacht, diente nach dem Zweiten Weltkrieg als exterritoriale Siedlung für „Displaced Persons“ jüdischer Abstammung. Menschen am falschen Ort – Verschleppte oder Zwangsumgesiedelte, Überlebende des Holocaust, die auch in Nachkriegsdeutschland eigentlich nicht erwünscht waren und darauf warteten, endlich in einen neu zu gründenden jüdischen Staat auswandern zu können. Sie „durften“ mit einer geringfügigen Veränderung ihres Status´ hinter genau dem Stacheldraht verbleiben, den die Zwangsarbeiter der Rüstungsindustrie während der Naziherrschaft täglich vor Augen hatten.

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In dieser Siedlung wurden die Straßen und Plätze mehrmals umbenannt. Der einstmalige „Adolf-Hitler-Platz“ hieß beispielsweise später „Roosevelt Straße“ und schließlich „Seminarplatz“. Das Camp existierte bis 1957.Die wechselhafte Realität animierte die Künstlerin und Musikerin Michaela Melián zu dem multimedialen Projekt „Föhrenwald“, dessen Hörspielpart 2005 vom Bayerischen Rundfunk produziert wurde. Melián erhielt dafür den „Online Award 2005“ der ARD-Hörspieltage. Darüber hinaus wurde es von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt im Juli 2005 als Hörspiel des Monats ausgezeichnet. Im Mai 2006 erhielt die Arbeit den „Hörspielpreis der Kriegsblinden“.Individuelle, professionelle Sprecherinnen und Sprecher erzählen vom Lagerleben: Erinnerungen von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern sowie Berichte aus der Entstehungszeit der Siedlung. Das Ganze sachlich und ohne große Emotionen. Der ständige Fluss der Musik lässt kontinuierlich die Lebenslinien einzelner namenloser Schicksale im Hintergrund vorbeiströmen. Fragmente aus den Werken von Bach, Schubert, Mendelssohn-Bartholdy und Beethoven werden kollagiert zu einem Ambient-Soundtrack, der beinahe tranceartige Stimmung erzeugt. (Klaus Hübner)

Kurz und bündig: Ein kleines und zugleich großes Meisterwerk !

Booklet04ABesetzung (Sprecher):

Philip Götz – Leonie Hofmann – Gabriel Hecker – Marion Breckwoldt – Peter Brombacher – Eva Gosciejewicz – Hans Kremer – Anna Barbara Kurek – Stefan Merki – Stefan Zinner

Musik: Michaela Melián + Carl Oesterhelt

Realisation: Michaela Melián

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Hauptgebäude Föhrenwald, ca. 1956

Titel:
01. Föhrenwald 50.40

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Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das ehemalige Zwangsarbeiterlager Föhrenwald von den Amerikanern in ein DP-Lager umgewandelt. Diejenigen, die den Holocaust überlebt hatten und zu schwach, zu krank oder zu arm waren, um Deutschland, das Land der Täter, sofort zu verlassen, fanden hier eine Unterkunft. Föhrenwald wurde erst 1957 geschlossen, es existierte länger als die anderen DP-Lager in Bayern.

Die Umbenennung von Straßen und Plätzen bei wechselnden politischen oder hierarchischen Veränderungen dient ganz vorneweg einer auch optisch favorisierten Hegemonie neuer Machtverhältnisse. Man kann das in Diktaturen genauso beobachten wie in Volksdemokratien oder adliger Herrschaftsmacht. Sehr deutlich wird diese Praxis im Hörspiel „Föhrenwald“ von Michaela Melián herausgestellt.