Ulrike Zöller – Das Trapez aus dem Morgenland – Das Hackbrett als Welt-Klassikinstrument (Radio-Mitschnitt) (2018)

FrontCover1Ein Radiomitschnitt, der mich nun wirklich sehr intressiert hat:

Das Hackbrett: Es dient nicht dem Zerkleinern von Kalbs- oder Kohlköpfen. Das etwas brutale deutsche Wort „Hackbrett“ für dieses einfühlsame Instrument ist durchaus irreführend. „Dulce Melos“ – süßer Klang wurde eines der vielen trapezförmigen Instrumente im Mittelalter passender genannt. Hackbrettinstrumente sind im europäischen Raum bereits seit dem 14. Jahrhundert bekannt und wegen ihres silbrigen Klangs bis ins 18. Jahrhundert beliebte Kammermusikinstrumente. Eigentlich aber stammt es wohl aus Persien und wird in der klassischen Musik Chinas oder Weißrusslands in ungebrochener Tradition kammermusikalisch oder orchestral eingesetzt. Dass heute in Europa, nach einer jahrhundertelangen Zeit der Vernachlässigung neben zeitgenössischen Werken Folk, Rock, Jazz, Blues oder Techno mit dem Hackbrett gespielt wird: Das trapezförmige Instrument nimmts mit Fassung und dankt für die neue Aufmerksamkeit mit Csárdás-Seele und Country-Mood, im Konzert- oder Clubstil. Oder auch ganz entspannt im Hier und Jetzt, wenn indische Ragameister ihm meditative Klänge entlocken. (Pressetext)

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Ach ja, das Hackbrett:

Das Hackbrett (auch Cymbalon, Dulcimer, Tympanon, Salterio etc. genannt) tritt in der abendländischen Musikgeschichte seit Anfang des 15. Jahrhunderts auf. So sind auf einem burgundischen Teppich aus der Zeit um 1420 eine Harfenistin und ein Hackbrettspieler zu sehen. Eine ganze Reihe späterer Darstellungen zeigt, dass dieses frühe Hackbrett recht klein dimensioniert und sein Corpus rechteckig oder trapezförmig war. Schriftliche Quellen des 15. Jahrhunderts überliefern für diese Instrumente die volkssprachliche Bezeichnung „doulcmer“ und die lateinische Bezeichnung „Dulce Melos“.

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Dieses Dulce Melos verfügte damals lediglich über einen Tonumfang von eineinhalb (diatonischen) Oktaven, die durch acht Saitenchöre und einen Quintensteg auf der linken Seite des Instruments ermöglicht wurde.
Trotz dieser recht spärlichen Ausstattung war das Dulce Melos, das durchaus auch in Verbin-­dung mit Orgel und Laute genannt wird, in höfischen Kreisen bis etwa 1520 sehr geschätzt und drang auch nach Italien (1461) und England (1474) vor.
In den Ratsbüchern von Zürich findet sich 1447 erstmals der Begriff „Hackbrett“. 1482 wird in Zürich dann berichtet, dass einem Schulmeister ein Hackbrett gestohlen worden wäre: das Dulce Melos war also, vermutlich in etwas robusterer Bauweise, jetzt auch in den einfacheren Bevölkerungsschichten angekommen.

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Der Nachlass des 1552 verstorbenen Erfurter Fiedlers und Hackbrettbauers Wolff Schmidt (vier nicht mehr fertiggestellte Hackbretter) belegt die Beliebtheit dieses Instruments bei mitteldeutschen Musikanten, die dann ja auch die osteuropäische Cymbaltradition angestoßen haben.
Nachdem das Hackbrett seit 1520 nur mehr als „Volksinstrument“ fortbestand, fehlen uns naturgemäß jegliche Angaben über eine Fortentwicklung sprich mögliche Erweiterungen des Tonumfangs für dieses Instrument. Damit bleibt uns eigentlich nichts anderes übrig, als mindestens bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts weiterhin einen sehr überschaubaren Tonvorrat für diese Instrumente anzunehmen.

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Umso größeres Erstaunen müssen unter dieser Prämisse jetzt aber die Innovationen ab dem späten 17. Jahrhundert auslösen:
Zunächst einmal wäre hier natürlich Pantaleon Hebenstreit, der berühmteste Hackbrettspieler der Geschichte zu nennen. Er konstruierte ca. 1690 ein Cymbal mit über vier Oktaven (G bis e3) Umfang plus einer diatonischen Bassreihe bis hinunter zum Kontra E.
Der Kantor Johannes Kuhnau hat dieses Instrument für die „Critica Musica“ vorgestellt und geradezu enthusiastisch gefeiert. Notenmaterial dafür hat sich in Wien erhalten, wo Hebenstreits Schüler Maximilian Hellmann zwischen 1725 und 1735 in insgesamt 16 Vokalwerken zur Begleitung von Arien herangezogen wurde.#Ein recht klein dimensioniertes Instrument war das italienische Salterio. Obwohl dieses in aller Regel gezupft wurde, entspricht es in der Einrichtung der Saitenchöre nicht dem Psalterium, sondern dem Dolce Melos, war also sozusagen ein gezupftes Hackbrett.
Dieses Salterio war in Italien spätestens seit Giacomo Cattaneo, der im Jahr 1700 „Maestro di Salterio e di Violoncello“ am „Collegio dei Nobili“ in Brescia war, in Gebrauch, seine letzte Erwähnung als noch praktiziertes Instrument ist im Jahr 1812 zu finden (Carlo Gervasoni).

Salterio
Die heute noch erhaltenen Noten für das Salterio umfassen so gut wie alle im 18. Jahrhundert gebräuchlichen musikalischen Gattungen und stammen beispielsweise von Vivaldi, Vinci, Padre Martini, Jommelli, Salulini, Sammartini, Chiesa und Carlo Monza.
Obwohl die Quantität der Kompositionen von der einzelnen Gattung aus gesehen insgesamt gering war, rangierte das Salterio in Italien in jedem Fall vor Gitarre, Harfe, Mandoline, Blockflöte und sogar auch vor der Laute als solistischem Instrument.
Das 19. Jahrhundert erlebt das Hackbrett zunächst nur mehr als Instrument von Wandermusikanten mit Schwerpunkt auf dem östlichen Europa.
1884 wurde in Budapest dann das am Klavier orientierte Konzertcymbalom erfunden, das bei diversen Komponisten bis heute Beachtung findet. In der Schweiz wurde wieder an die alte Tradition des Hackbretts angeknüpft, in Salzburg entwickelte der Volksmusikant Tobi Reiser in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ein zunächst nur auf gut zwei Oktaven eingerichtetes, aber voll chromatisiertes Hackbrett.

Hackbrett Fibel
Dieses wurde in Bayern im Verlauf der Nachkriegszeit stark ausgebaut (sog. Tenorhackbrett etc.) und am Münchner Richard Strauss Konservatorium, seit einigen Jahren sogar an der Musikhochschule München auf Grundlage historischen Notenmaterials für das Salterio wieder in den klassischen Konzertbetrieb integriert.
„Das Hackbrett ist sehr unmittelbar in der Klangerzeugung. Es gibt keine kunstvolle und trickreiche Übertragung der Bewegung des Menschen, die im Inneren des Gehäuses verborgen ist, sondern das Zusammenspiel von Mensch und Instrument ist ganz unmittelbar, der Ton geht ganz direkt, ungebremst, sozusagen „wild“ aus der körperlichen Bewegung hervor. Und dieser Vorgang des Anschlagens erzeugt hier diese sphärischen, Raum füllenden Klänge“ (die Komponistin Dorothea Hofmann). (Lorenz de Bia)

Karl-Heinz Schickhaus

In diesem Radiomitschnitt wird der großen Bogen geschlagen, angefangen über Karl-Heinz Schickhaus (der das Hackbrett hierzulande salonfähig gemacht hat, über Birgit Stolzenburg (die ebenfalls als Professorin für Hackbrett an der Hochschule für Musik und Theater München wirkt und zudem auch etliche eigene Aufnahmen mit diesem Instrument publiziert hat).

Birgit Stolzenburg

Für die Entwicklung diesen Nischeninstrumentes war natürlich der Tobi Reiser unverzichtbar. 

Und dann natürlich der schon fast legendäre Rudi Zapf … der sich schon seit geraumer Zeit über das Hackbrett und seine Verbreitung fast auf der ganzen Welt zu interessieren begann. Und so organisierte er auch vor etlichen Jahren das „Internationale Hackbrett-Festival“ … ein faszinierende Querschnitt von den unterschiedlichsten Klangvarianten dieses Instruments.

Rudi Zapf

Und nebenbei noch ein kleiner Schlenker zum Tollwood Festival, entstanden aus der Münchner Kleinkunst-Szene der 70er und 80er Jahre, bei der das Hackbrett immer beliebter wurde (natürlich im Rahmen der „neuen bayerischen Volksmusik“)

Und natürlich ist auch von der kleinen, aber feinen Zahl von Hackbrettbauern die Rede.

Und es ist schon verblüffend, dass dieses „alpenländische“ Instrument eigentlich seinen Ursprung im Orient hatte und das Instrument ist von Mexiko über China bis Indien ein Begriff.

Von daher einer jener Radiobeiträge, die mir schon jetzt ans Herz gewachsen sind … es entfaltet sich in diesem Radiomitschnit ein faszinierender musikalischer Kosmos !

Erstausstrahlung: 18. Januar 2019 (Bayerischer Rundfunk)

Ein chinesischer „Hackbrett“ Spieler:
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Besetzung:
Charles Auen (Sprecher)
Michael Haffner (Sprecher)
Frank Häffner (Sprecher)
Johannes Hitzelsberer (Sprecher)
Ulrike Zöller (Sprecherin)

Ein Hackbrett aus China:
Hackbrett China

Titel:
01. Das Trapez aus dem Morgenland – Das Hackbrett als Welt-Klassikinstrument 55.29

Text: Ulrike Zöller

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Und zu verdanken haben wir diesen wertvollen Radiobeitrag der Ulike Zöller:

Ulrike Zöller wuchs mit dem Bayerischen Rundfunk auf. Sie liebt die sprachliche, kulturelle und musikalische Vielfalt Bayerns und ist gern in der Welt unterwegs, um darüber zu berichten.

Ich bin studierte Volkskundlerin, Musikwissenschaftlerin, Amerikanistin und Historikerin. Außerdem Musikantin und ehemals Musiklehrerin für Gitarre, Volksmusik und Europäische Volkstänze.

Woher ich komme? Eine Frage, die ich immer mit der Gegenfrage: „Wie viel Zeit habt Ihr für die Antwort“ beantworte. Als Kind einer Frankfurter Mutter und eines Augsburger Vaters bin ich in Regensburg geboren, habe dann im Ruhrgebiet, am Ammersee, in München, Dublin, Freising und bei Dachau gelebt, bis ich in den Landkreis Mühldorf gezogen bin. Dass es verschiedene Dialekte, Sprachen und Musiktraditionen gibt, war sowohl in der elterlichen als auch in der Familie mit meinen zweisprachig aufgewachsenen Kindern selbstverständlich.

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Bereits als Kind habe ich mich gleichzeitig brennend für Musik aus Bayern und aus aller Welt interessiert. Das wurde dann zu meinem Arbeitsgebiet: Seit 1982 bin ich als Autorin und Moderatorin für die Alpenländische und die Musik der Welt tätig. Auf Wanderungen im Alpenland und Reisen durch mittlerweile über 50 Länder hole ich mir Anregung, Material und Tondokumente für Features und Musiksendungen, die in BR Klassik (Musik der Welt) und auf Bayern 2 (Heimatspiegel, Weitwinkel, Bayerisches Feuilleton) ausgestrahlt werden. Meine Radio-Heimat ist aber nach wie vor die Volksmusikredaktion, der ich seit 1977 angehöre, für die ich seit 1996 Volksmusiksendungen auf Bayern 1 und Bayern 2 moderiere und die meine zweite Familie geworden ist.

Der und das Radio waren von Kindheit an allgegenwärtig. Als Kind durfte ich meinen Vater (BR-Rundfunkmann von 1960 bis 1991) bei Aufnahmen und im Studio begleiten und zuhören. Die Sendungen des BR waren für mich Kindheitsbegleiter, Wissensdurstlöscher und Musikschule. Wastl Fanderl, die Schönauer Musikanten, der Passauer Viergesang und die Roaner Sängerinnen in den Volksmusiksendungen waren meine ersten Volksmusik-Lehrmeister. (Bayerischer Rundunk)

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