Dornbusch Quartett – Paul Hindemith – Minimax + 3. Streichquartett (1976)

FrontCover1Wenden wir uns nun ein wenig ausführlicher mal dem Paul Hindemith zu.

Paul Hindemith (* 16. November 1895 in Hanau; † 28. Dezember 1963 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Komponist der Moderne (Neue Musik) und Bratschist.

Paul Hindemith gehörte neben Arnold Schönberg, Béla Bartók und Igor Strawinski zu den wichtigsten Repräsentanten der ernsten Musik des 20. Jahrhunderts. Er legte Grundlagen für eine Öffnung dieser Musik nach außen, weg vom klassischen Konzertpublikum, unter anderem zum Jazz. Er plädierte für „Gebrauchsmusik“ und sah es als Pflicht des Komponisten an, sich sozialen Herausforderungen zu stellen und nicht zum reinen Selbstzweck zu komponieren. Hindemith wandte sich gegen eine Romantisierung der Musik und sah den Komponisten und Musiker mehr als Handwerker, denn als Künstler. Seine musiktheoretischen Werke zeigen eine starke Affinität zu den Naturwissenschaften. Wegen seiner sozialkritischen Musik geriet Hindemith in Konflikt mit den Nationalsozialisten, wanderte in die USA aus und gelangte zu Weltruhm.

Hindemith entstammte einer Arbeiterfamilie. Seine frühe Kindheit verbrachte er in Rodenbach bei Hanau. Vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr lebte Paul Hindemith

PaulHindemith1923

Paul Hindemith, 1923

bei seinen Großeltern Hindemith in Naumburg am Queis in Schlesien. Im Jahr 1900 zog die Familie nach Mühlheim am Main, wo Paul seine Grundschulzeit absolvierte und seinen ersten Geigenunterricht erhielt. 1905 zog er mit seiner Familie nach Frankfurt am Main; dort beendete er im Alter von 14 Jahren die Volksschule.

Die familiären Wurzeln liegen in Schlesien. Er entstammt einer alteingesessenen schlesischen Familie von Kaufleuten und Handwerkern aus den Kreisen Jauer und Lauban. Sein Vater Rudolf wurde 1870 im schlesischen Naumburg am Queis geboren. Er verließ als junger Mann seine Heimat und siedelte sich um 1890 in Hanau an, wo er als Anstreicher arbeitete. Der Vater ließ seine drei Kinder, den 1895 geborenen Paul, die 1898 geborene Schwester Antonie (Toni) und den 1900 geborenen Bruder Rudolf seit frühester Kindheit musikalisch unterrichten und sie unter dem Namen „Frankfurter Kindertrio“ auftreten. Er gab ihnen die Ausbildung, die ihm selbst trotz musikalischer Veranlagung verwehrt geblieben war. Der Sohn Rudolf Hindemith, der sehr früh als Cellist Anerkennung fand, ergriff später ebenfalls den Beruf des Dirigenten und Komponisten, stand aber im Schatten seines berühmten Bruders Paul. Der Vater meldete sich, trotz seines fortgeschrittenen Lebensalters von 44 Jahren, 1914 zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Kriegsfreiwilliger. Er fiel im September 1915 in der Herbstschlacht bei Souain-Perthes in der Champagne als Infanterist im Nahkampf.

Als Kinder waren die beiden hochmusikalischen Brüder Paul und Rudolf (1900–1974) das Aushängeschild der Familie; in ihrer Jugend begannen sie, im Amar-Quartett, einer der führenden Gruppen in der Neue Musik-Szene der Zwanziger Jahre, professionell zusammen zu musizieren. Der jüngere Rudolf (Cello) stieg bald aus, weil er sich oft hinter Paul zurückgesetzt sah, wechselte ins Genre von Blasmusik und Jazz und blieb im Gegensatz zu Paul als Dirigent in Deutschland.

Gemälde

Paul Hindemith mit Bratsche (1956), Gemälde von Rudolf Heinisch

Paul lernte seit dem neunten Lebensjahr Violine. Nach einer Empfehlung seiner Violinlehrerin Anna Hegner besuchte er ab 1908 das Hoch’sche Konservatorium. Neben der Perfektion in Violine bei Adolf Rebner erhielt er auch eine Komponisten-Ausbildung bei Arnold Mendelssohn und Bernhard Sekles. Er wurde Bratschist im Frankfurter Orchester.

Von 1915 bis 1923 hatte er die Stelle des Konzertmeisters an der Frankfurter Opernbühne inne. Hindemith wurde im Ersten Weltkrieg am 16. Januar 1918 als Militärmusiker eines Infanterie-Regiments ins Elsass verlegt. Ab April war seine Einheit in Nordfrankreich und Belgien stationiert, wo Hindemith die Gräuel des Krieges erlebte. Am 8. Dezember 1918 wurde er aus dem Militärdienst entlassen.

BriefmarkeIm 1922 gegründeten Frankfurter Amar-Quartett spielte er zunächst 2. Violine, später Bratsche. 1923 erfüllte Hindemith den Wunsch des Pianisten Paul Wittgenstein nach einem Klavierkonzert für die linke Hand. Der Pianist führte das Werk jedoch nicht auf. Erst über 80 Jahre später folgte 2004 nach der überraschenden Entdeckung der Partitur[2] 2002 die Uraufführung bei den Berliner Philharmonikern.

Zu Hindemiths Lieblingspianisten gehörte damals die Ehefrau des Frankfurter Kunsthistorikers Fried Lübbecke, Emma Lübbecke-Job, die schon 1918 mit dem Rebner-Quartett (s.o.) sein Quintett e-Moll (Opus 7) aufgeführt hatte; ihr widmete er 1924 seine Kammermusik No. 2 (Opus 36).

Im selben Jahr heiratete er die Musikerin Gertrud Rottenberg, Tochter des Kapellmeisters des Frankfurter Opernorchesters Ludwig Rottenberg und Enkelin des ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Franz Adickes.

Durch seinen Freund und Schwager, den Rundfunkpionier und damaligen Leiter des Frankfurter Senders, Hans Flesch, kam Hindemith ab 1924 mit dem neuen Medium in Berührung. Auf Initiative Fleschs entstanden in der Folge etliche Auftragswerke für den Rundfunk, unter anderem 1929 das musikalische Hörbild der Flug der Lindberghs, eine Gemeinschaftsproduktion mit Kurt Weill und Bertolt Brecht. Die Berliner Hochschule für Musik berief Hindemith 1927 zum Professor für Komposition. Ab 1929 lehrte Hindemith überdies an der 1927 gegründeten Musikschule Neukölln.
Paul Hindemith mit Bratsche (1956), Gemälde von Rudolf Heinisch

GedenktafelZum Freundeskreis des Komponisten gehörten die Frankfurter Maler Reinhold Ewald (1890-1974) und Rudolf Heinisch (1896–1956). Ewald, der in Hindemiths Kindertagen in seiner Nachbarschaft wohnte, gestaltete Titelblätter für Partituren (zum Beispiel „Sancta Susanna“). Mit Heinisch blieb Hindemith bis zu dessen Tod eng befreundet. Er war auch sein Trauzeuge, zeichnete dessen Amar-Quartett und malte Paul Hindemith in der Zeit von 1924 bis 1956 etwa 15 Mal. Sein bekanntestes Bild von Hindemith, seit 1929 im Städelschen Museum in Frankfurt, hing 1938 in der Nazi–Ausstellung „Entartete Kunst“ in der Kategorie „Technisch gekonnt, Gesinnung verjudet“ und wurde anschließend als „unbrauchbar“ zerstört.

Zwischenzeitlich wurden mehrere seiner Werke bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Als dort 1921 Hindemiths 3. Streichquartett Opus 16 durch das Amar-Quartett uraufgeführt wurde, brachte ihm das mit kaum dreißig Jahren den Ruf des einflussreichsten und geachtetsten modernen Musikers Europas ein. Die Kammermusiktage leitete er in den Jahren 1923 bis 1930 zusammen mit Heinrich Burkard und Joseph Haas künstlerisch und machte sie zu einem der wichtigsten Foren neuer Musik. Seit dieser Zeit war Hindemith einer der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Richtungsweiser zeitgenössischer Musik in Deutschland.

So klingen beispielsweise viele seiner Chorwerke und Lieder bis heute rau und ungewohnt und sind – etwa für Sängerknaben – eine interessante Herausforderung. Auch die von ihm gewählten Textvorlagen, unter denen sich neben Luther viele christliche Dichter befinden, erregten im aufsteigenden Nationalsozialismus Ablehnung. Der überwiegende Teil seiner nahezu 100 Klavierlieder blieb bis heute von den Interpreten unentdeckt.

Hindemiths eher kurzfristiges Interesse für die neuen, sich in ersten Entwicklungsstufen befindlichen elektrischen Instrumente fällt in diese Zeit. Erstmals 1926 in Donaueschingen mit Jörg Mager konfrontiert, interessierte er sich vor allem für die Entwicklung des Trautoniums und regte die Erstpräsentation 1930 in Berlin an. Sein Interesse begleitete die Entwicklung bis zu seinem 40. Geburtstag, an dem seine dritte und zugleich letzte Komposition für dieses Instrument erstmals durch Oskar Sala aufgeführt wurde.

PaulHindemith1945

Paul Hindemith, 1945

In den 1930er Jahren verlagerte Hindemith seine musikalischen Aktivitäten als Bratscher zunehmend ins europäische Ausland, Konzertreisen führten ihn auch in die USA. Von der NSDAP wurde seine Arbeit mehr und mehr behindert. NS-Anhänger bezweifelten nicht das musikalische Können von Hindemith als „großem Mann seiner Zeit“, agitierten aber gegen seine „untragbare Gesinnung“. Adolf Hitler hatte sich schon 1929 über das fünfte Bild der Oper Neues vom Tage beschwert. Teile seiner Werke wurden unter dem Verdikt des „Kulturbolschewismus“ oder als „entartete Kunst“ aus den Programmen entfernt. Bereits 1934 erhielten seine Werke ein Sendeverbot im deutschen Rundfunk. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bezeichnete ihn im selben Jahr öffentlich als „atonalen Geräuschemacher“. Wilhelm Furtwängler machte am 25. November 1934 mit seinem Artikel Der Fall Hindemith in der Deutschen Allgemeinen Zeitung publizistisch wirkungsvoll auf die Situation Hindemiths aufmerksam: Niemand von der jüngeren Generation habe für das Ansehen der deutschen Musik im Ausland so viel getan wie Hindemith. Man könne es sich nicht leisten, auf Hindemith zu verzichten. Hermann Göring und Joseph Goebbels reagierten verärgert.

Zum Zeichen seiner Solidarität mit den Verfolgten des Regimes spielte Hindemith an Heiligabend 1933 im Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit, wo zu jener Zeit unter anderem sein Schwager Hans Flesch einsaß, auf der Bratsche Stücke von Bach. Zwischen 1934 und 1935 lebte er im badischen Lenzkirch und vollendete dort Mathis der Maler.

1935 ging Hindemith unter Protest seiner Studenten im Auftrag der deutschen Reichsregierung in die Türkei, um das Konservatorium von Ankara aufzubauen. Von seiner Stelle hatte er sich beurlauben lassen. Ab 1936 wurde die Aufführung seiner Werke verboten, was ihn dazu veranlasste, seine Stellung 1937 zu kündigen. Höhepunkt der Konfrontation mit dem NS-System war 1938 die Ausstellung Entartete Musik der Nationalsozialisten. Darin wurde ausdrücklich auf die jüdische Abstammung seiner Ehefrau Gertrud verwiesen.

1938 gingen er und seine Frau ins Exil, zunächst in die Schweiz. Das Ehepaar verließ das Land 1940 wieder, um in den USA Exil zu nehmen. Sie siedelten sich in New Haven (Connecticut) an, wo Hindemith als Professor an der Universität Yale bis 1953 lehrte. 1946 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Ende der 1940er Jahre machte Hindemith Karriere als Dirigent, vorwiegend für klassische Musik. Weltweite Tourneen ließen ihn in musikalischen Zentren auftreten, wie bei den Wiener und Berliner Philharmonikern.

Bereits 1950 nahm Hindemith die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin an, außerdem wurde er Ehrenmitglied der Wiener Konzerthausgesellschaft. 1953 siedelte er wieder zurück in die Schweiz und lebte in seiner Villa La Chance in Blonay im Bezirk Vevey am Genfer See. Abwechselnd mit Yale lehrte Hindemith ab 1951 auch in Zürich, wo ein Lehrstuhl für ihn eingerichtet wurde. 1957 beendete er seine Lehrtätigkeit und ging dann seinen eigenen musikalischen Weg als Komponist und Dirigent. Er widmete sich mehr dem Dirigieren und ging auf Tourneen nach Asien und in die USA.

1951 erhielt Hindemith den Bach-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg, 1955 wurde er mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main geehrt und mit dem Wihuri-Sibelius-Preis ausgezeichnet. 1962 bekam er den Balzan-Preis für Musik.

1963 starb Paul Hindemith in einem Krankenhaus in Frankfurt am Main an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung. (Quelle: wikipeda)

Soweit, so gut: Aber nun zu den beiden Stücken.

Über „Minimax“ schreib der Spiegel:
„Als musikalischer Spaßvogel gibt sich auch Paul Hindemith in seinem „Minimax“ aus dem Jahre 1923. Das ist ein Streichquartett, das Hindemith zum einjährigen Bestehen des Amar-Quartetts, in dem er am Bratschenpult saß, geschrieben hat. Beim Donaueschinger Kammermusikfest 1923 hob er es zusammen mit seinen Quartettgenossen aus der Taufe.

Hindemith hat damals das Stück gleich in die Stimmen notiert, eine Partitur existierte niemals. Auf dem Notenmaterial hatte Hindemith ausdrücklich vermerkt: „Abschrift verboten!“ Das Original ist später verbrannt, aber der Cellist Maurits Frank hatte sich glücklicherweise ein Duplikat angefertigt. Daraus spielte er es mit Studierenden seines Seminars den Teilnehmern der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik vor.

Minimax.jpgDie sechs Sätze des „Minimax“ sind technisch glänzend gearbeitete Parodien auf die gängige Marsch- und Salonmusik nicht nur der 20er Jahre. Es gibt da eine „Ouvertüre zu Wasserdichter und Vogelbauer“ und ein „Intermezzo für zwei entfernte Trompeter“ mit dem poesievollen Titel „Ein Abend an der Donauquelle“. Das „Löwenzähnchen am Bachesrand“ wird durch einen Konzertwalzer charakterisiert, und ein anderes Charakterstück heißt „Die beiden lustigen Mistfinken“.

Das alles ist eine groteske Karikatur musikalischer Mißstände. Die melodieführende Stimme tut lächerliche Hupfer und Sprünge, der Baß bringt mit falschen Tönen die billige Harmonie in Mißkredit, und der Takt gerät immer wieder durch rhythmische Verschiebungen torkelnd aus dem Gleichgewicht.

Als „zwei entfernte Trompeter“ führen Geige und Bratsche im Nebenzimmer ein musikalisch höchst belangloses Zwiegespräch, und als „Zwei Mistfinken“ trillern die Violinen in höchsten Flageoletttönen nach Piccolo-Art miteinander um die Wette.

Höhepunkt und Hauptstück ist der abschließende „Marsch der alten Karbonaden“, ein kleines kompositorisches Bravourstück mit gleichzeitigem 3/4- und 5/4-Takt.

Diesen geistreichen musikalischen Ulk quittierte die internationale Teilnehmerschaft der Kurse mit Schmunzeln und mit Ausdrücken des Wohlgefallens in allen Sprachen. Nur die jungen Franzosen hielten sich zurück, wie immer, wenn Musik von Hindemith oder gar von Strawinsky gespielt wurde.“

Und über das Streichquartett op. 22 weiß man zu berichten:
„Unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Rebner-Quartett entsteht Ende 1921 das Streichquartett op. 22. Diese für Hindemiths stilistische Entwicklung wegweisende Komposition fällt demnach in eine Zeit, in der er in keinem Kammermusikensemble mitwirkte.“ (Kammermusik.blog)

Leider gibt es über die Ausführenden, dem Dornbusch Quartett weitaus weniger zu berichten. Dies scheint ihr 2. Album zu sein (1975 erschien auf dem gleichen Label „Da Camera Magna“ ihr Album „Streichquartett Werke“ (mit Werken von Janacek, Strawinsky, Batok und Weber). Es folgte dann noch ein Album mit Werken von Gliere Schostakowitsch.  Und 1984 führten sie in Frankfurt ein Werk von Claus Kühnel auf … Aber irgendwie verlieren sich die Spuren dieses Quartetts im Sand … Schade eigentlich …

Das ändert aber nichts daran, dass Paul Hindemith ein Glücksfall für die deutsche Klassik des 20. Jahrhunderts war !

DornbuschQuartett

Besetzung:
Paul Hartwein (violin)
Bodo Hersen (viola)
Ulf Klausenitzer (violin)
Jörg Widerhold (violoncello)

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Titel:
01. Minimax – Repertorium für Militärmusik 22.37
01 -1. No. 1. Armeemarsch 606 (Der Hohenfürstenberger)
01-2. Ouverture zu ‚Wasserdichter und Vogelbauer‘
01-3. Ein Abend an der Donauquelle (Intermezzo für 2 entfernte Trompeten)
01-4. Lowenzähnchen an Baches Rand (Konzertwalzer)
01-5. Die beiden lustigen Mistfinken (Charakterstück – Solo für 2 Piccoloflöten)
01-6. Alte Karbonaden (Marsch)

02. Streichquartett op. 22: 25.46
02-1. Fugato. Sehr langsamer Viertel – Schnell – Achtel. Sehr energisch
02-2. Ruhig Virtel. Stets fließend
02-3. Mäßig schnelle Viertel. Rondo, Gemächlich und mit Grazie

Alle Kompositionen: Paul Hindemith

LabelB1

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