Erwin Mitsch – Egon Schiele (1975)

TitelEr war damals ganz sicher eine ganz gewaltige Provokation und so lässt es sich nicht vermeiden, dass auch dieser Beitrag durchaus provokativ ist.

Egon Leo Adolf Ludwig Schiele (* 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau, Niederösterreich; † 31. Oktober 1918 in Wien) war ein österreichischer Maler des Expressionismus. Neben Gustav Klimt und Oskar Kokoschka zählt er zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der Wiener Moderne.

Schiele war das dritte Kind des Tullner Bahnhofsvorstands Adolf Eugen Schiele und dessen Gattin Marie (geborene Soukup, aus dem südböhmischen Krumau). Elvira, die älteste seiner drei Schwestern (Elvira, Melanie und Gertrude), starb bereits im Alter von zehn Jahren; die jüngste Schwester Gertrude heiratete später den Künstler und Freund Schieles Anton Peschka. Sie stand ihm in seiner Frühzeit Modell. Egon Schieles Vater verstarb am Neujahrstag 1905 an Syphilis. Daraufhin wurde Egons Taufpate Leopold Czihaczek (1842–1929) sein Vormund. Dieses Ereignis war prägend für Schieles Kunst.

Schiele besuchte die Volksschule in Tulln, anschließend das Realgymnasium in Krems und später das Gymnasium Klosterneuburg wenige Kilometer nördlich von Wien. Der Kunstlehrer Ludwig Karl Strauch und der Klosterneuburger Künstler Max Kahrer entdeckten bereits dort seine außergewöhnliche Begabung und unterstützen ihn bei seiner Bewerbung für die Wiener Akademie der bildenden Künste, in die er 1906, im Alter von 16 Jahren, aufgenommen wurde. Dort lernte Schiele in der Malklasse bei Professor Christian Griepenkerl. Anfangs begeistert, doch dann des starren Akademiealltags müde, verließ Schiele bereits nach zwei Jahren die Akademie und gründete mit einigen Kommilitonen die Wiener Neukunstgruppe.

Beispiel021907 suchte Schiele den ersten persönlichen Kontakt zu Gustav Klimt. Auch bezog er in Wien sein erstes eigenes Atelier in der Kurzbauergasse 6 in der Leopoldstadt, am Rande des Wiener Praters. 1908 beteiligte sich Schiele zum ersten Mal an einer öffentlichen Ausstellung, und zwar im Kaisersaal des Stifts Klosterneuburg.

Erste Erfolge feierte Schiele 1909 mit der Ausstellung seiner Werke, die alle sehr an Gustav Klimts Stil erinnern, im Rahmen der Neukunstgruppe in der „Großen Internationalen Kunstschau“ in Wien. Neben Künstlern wie Gustav Klimt und Oskar Kokoschka konnte Schiele sich hier beim Kunstkritiker Arthur Roessler einen Namen machen, der in der Folgezeit durch seine exzellenten Kontakte für Schieles Fortkommen eine entscheidende Rolle spielte. Durch Roesslers Vermittlung lernte Schiele die Kunstsammler Carl Reininghaus und Oskar Reichel kennen, die seinen Einstand in der Wiener Kunstszene finanziell absicherten und ihn mit zahlreichen Auftragsarbeiten versorgten. Durch die kurze Freundschaft mit Max Oppenheimer entfernte sich Schiele vom dekorativen Jugendstil und wandte sich dem Expressionismus zu.

Vom Rummel in der Hauptstadt übersättigt, zog Schiele 1911 aus Wien weg. Gemeinsam mit Wally Neuzil (Wally = Walburga), seinem wohl bekanntesten Modell, übersiedelte er nach Krumau (tschechisch Český Krumlov), dem Geburtsort seiner Mutter. Dort begann für Schiele eine künstlerisch überaus produktive Periode. Die Altstadt Krumaus wurde zu dieser Zeit zu seinem beliebtesten Motiv. Doch die Bevölkerung bezeichnete Schieles Lebensstil als anstößig; Auslöser waren wohl die wilde Ehe mit Wally Neuzil und die Besuche von Kindern in Schieles Atelier.

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Titelblatt des Egon Schiele Heftes der Zeitschrift „Die Aktion“ (1916)

Gemeinsam zogen sie daher nach Neulengbach, wo er wegen angeblicher Entführung und Schändung eines Mädchens in Untersuchungshaft genommen wurde. Der Vorwurf der Entführung erwies sich als haltlos, dennoch verurteilte ihn das Gericht wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“. Insgesamt verbrachte Schiele 24 Tage im Gefängnis, wo er einige Skizzen von seinem Aufenthalt zeichnete.

1912 kehrte er nach Wien zurück. Dank seines Gönners und väterlichen Freunds Gustav Klimt konnte er trotz seines schlechten Rufs, der ihm nach Wien vorausgeeilt war, schnell wieder Fuß fassen. Er feierte in der österreichischen Kunstszene erneut große Erfolge. Im Oktober 1912 mietete Schiele ein neues Atelier in der Hietzinger Hauptstraße 101, das er bis Juni 1918, fast bis zu seinem Tod behalten sollte.

1913 ernannte ihn der Bund Österreichischer Künstler, dessen Präsident Gustav Klimt war, zum Mitglied. Im März folgten einige Ausstellungen in Österreich und Deutschland. 1914 wurden ohne seine Genehmigung erstmals Gedichte von Schiele in der Wochenzeitschrift Die Fackel veröffentlicht. Bis 1916 reichte Schiele selbst mehrmals in Folge theoretische und literarische Texte bei der Berliner Zeitschrift Die Aktion ein. 1916 brachte diese ein eigenes Egon-Schiele-Heft heraus (Nr. 35/36).

Beispiel22Am 21. Juni 1915, also über ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde Schiele als Einjährig-Freiwilliger des k. u. k. Infanterie-Regiments Nr. 75 in den militärischen Verwaltungsdienst eingezogen. Kurz vor seiner Versetzung nach Prag heiratete Schiele am 17. Juni 1915 seine langjährige Freundin Edith Harms; sie wohnte mit ihrer Schwester Adele und ihren Eltern gegenüber seinem Atelier, an der Adresse Hietzinger Hauptstraße 114. Edith forderte von Schiele den Bruch mit Wally Neuzil, den er schweren Herzens vollzog, nachdem beide Frauen ein Dreiecksverhältnis abgelehnt hatten.

Ab Mai 1916 diente Schiele als Soldat in der Provianturkanzlei des Kriegsgefangenenlagers Mühling bei Wieselburg und malte in dieser Zeit bei Purgstall ein einziges Ölbild, Die verfallende Mühle, die er im Erlauftal vorfand und deren Eigner, zum Kriegsdienst eingezogen, sich nicht um Reparaturen nach Hochwässern kümmern konnte.

Nach seiner militärischen Grundausbildung und den damit verbundenen Versetzungen innerhalb Österreichs wurde Schiele 1917 wieder nach Wien versetzt, wo er vorerst als Schreiber (militärischer Verwaltungsangestellter) der „k.u.k. Konsum-Anstalt für die Gagisten der Armee im Felde“ beschäftigt war. Stets traf er auf wohlwollende Vorgesetzte, die ihm auch die Gelegenheit zu künstlerischem Schaffen ermöglichten – „wo immer er war, sein Dienst war mehr als leicht“. Dennoch fühlte sich Schiele fehlbesetzt und stellte an die Armeeführung folgendes Ansuchen: „Meine Beschäftigung entspricht nicht meiner künstlerischen Qualifikation. Ich glaube, dass die Möglichkeit für mich bestünde, im Rahmen meines Militärdienstes im Heeresmuseum eine angemessene Beschäftigung und Verwendung zu finden, sodass meine Kräfte als Maler und Künstler nicht brach liegen müssen und ich im dem Vaterlande mit dem, was ich wirklich kann, nützen könnte.“

Beispiel23Für die Dauer von sechs Monaten wurde er am 29. April 1918[6] zum k. u. k. Heeresmuseum abkommandiert, wo er gemeinsam mit Anton Faistauer Kriegsbilderausstellungen organisierte und seiner Malerei nachgehen konnte.[7] Der dortige Direktor, Wilhelm John, räumte Schiele, der nach den bisher vornehmlich in Schreibstuben verbrachten Dienstjahren nun „darauf brannte, Versäumtes nachzuholen“, neben seinen geringen dienstlichen Pflichten auch hier den Freiraum für dessen künstlerisches Schaffen ein.

Mit dem Tod Gustav Klimts am 6. Februar 1918 stieg Schiele in der Wiener Kunstszene auf; so war etwa die 49. Ausstellung der Wiener Secession ihm gewidmet. Dabei stellte er 19 große Gemälde und 29 Zeichnungen aus. Weitere Ausstellungen und Erfolge folgten, auch seine Vorstellungen einer Kunstschule entstanden zu dieser Zeit.

Zuletzt wohnte und arbeitete Schiele seit Juli 1918 in Alt-Hietzing, 13., Wattmanngasse 6.[9] Gegen Ende des Krieges, im Herbst 1918, überzog die katastrophale Spanische Grippe die österreichische Hauptstadt. Edith Schiele, im sechsten Monat schwanger, erlag dieser Krankheit am 28. Oktober in der Wohnung in der Wattmanngasse. Auch Egon Schiele steckte sich an und verstarb, erst 28 Jahre alt, am 31. Oktober 1918 in der Wohnung der Familie seiner Frau in Wien 13., Hietzinger Hauptstraße 114. Er wurde in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Ober-St.-Veiter Friedhof (Gruppe B, Reihe 10, Nummer 15/16) in Wien neben seiner Frau beigesetzt. 1968 wurde auch seine Schwägerin Adele Harms, 78-jährig gestorben, hier bestattet.

1930 wurde in der 1928–1932 errichteten Siedlung Lockerwiese im Bezirksteil Lainz des 13. Wiener Bezirks die Egon-Schiele-Gasse nach dem Künstler benannt.

Am 24. April 1990 erschien die Österreichische 500-Schilling-Gedenkmünze Egon Schiele in Silber, gestaltet von Thomas Pesendorfer. Auf der Vorderseite sieht man das Porträt des Künstlers mit Namensnennung in Form seiner bekannten Signatur, auf der Rückseite eine Abbildung eines seiner späteren Werke „Mutter mit zwei Kindern“.

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Schieles Werke erzielen auf internationalen Auktionen heute Höchstpreise. In Museen weltweit sind seine Bilder hochbegehrt, denn sie finden ungeachtet seiner künstlerischen Genialität durch Schieles Ruf als „Frühvollendeter“ Bewunderung. Die größten Sammlungen von Schiele-Werken befindet sich in Wiener Museen, wie dem Leopold Museum, dem Belvedere und der Albertina. Neben den zahlreichen Selbstbildnissen ist Schiele vor allem für seine Akte, die fast ausschließlich Frauen und Kinder zeigen, bekannt. Aber auch seine Landschafts- und Städtebilder erfreuen sich wachsender Beliebtheit.

1964 wurden Arbeiten von ihm auf der documenta III in Kassel in der Abteilung Handzeichnungen gezeigt. (Quelle: wikipedia)

Schieles Art, Menschen in ihrer Zeit darzustellen, drängt heute hinein in die Bilder- und Gefühlswelt unseres jungen 21. Jahrhunderts. Dieses hat noch nichts nennenswert Stärkeres entgegenzusetzen, wenn es darum geht, den eigenen Körper wenn nicht als Schlachtfeld, so doch als Spielfeld oder Tatort zu inszenieren. Diese präzise kalkulierte Selbstqual. Jede Gefühlsregung, von heftiger Verzweiflung bis zur apathischen Melancholie, wurde bei ihm Farbe, gebrochene Form oder Linie, Verfall, ausströmender Fleck auf der Fläche.

Wie wahnhaft war er auf Schenkel und Gesäß, auf weibliche wie männliche Geschlechtsteile fixiert, auf heterogene, schwule und lesbische Umarmungen. Die Geschlechter hat er gezeichnet und hernach koloriert wie überreife Früchte. Und sich stellte er dar als Heiligen, aber nackt und mit obszön erigiertem Liebeswerkzeug. Die Körper sind schmerzhaft ausgedünnt, vor zeitlos leeren Hintergründen, die zu Abgründen werden.

Um 1914 taumeln sie wie in Trance, ohne Halt und Ziel. Das liegt an der „Geometrie“, aus der Schiele die Gestalten schuf. Eine liegende Frau etwa konstruierte er aus zwei Dreiecken. Und dreieckig ist auch ihr Geschlecht. Schieles ganz aus dem Zeichnerischen kommende Mal-Inszenierungen des Obsessiven, des Abgründigen, des Morbiden, dabei aber zutiefst Menschlichen wirken heute magischer denn je. Diese fast wollüstig verdrehte und überspannte Körperkunst, durch die noch vage der Symbolismus und der Wiener Jugendstil durchscheinen, gilt heute als Identitätssuche eines Malers, der keineswegs, wie der Mythos es behauptet, ein Frühvollendeter war. Eher war Schiele wie ein sattgrünes Blatt, das der Sommerwind schon vom Ast gerissen hat.

Zu dem Trugschluss, er sei ein Frühvollendeter gewesen, trägt wohl bei, dass sein Stil sich so rasant änderte. Aber in den letzten Jahren verlangsamte sich die Stilistik. Der souveräne Naturalismus der letzten Frauen- und Selbstbilder spiegelt tatsächlich so etwas wie Notreife. In dem voluminösen Band erleben wir seinen Weg – von Freuds Lehre beeinflusst, von Rastlosigkeit gepeitscht, von Schuldgefühlen verzehrt. Das fast filmisch-sequenzhafte Vorgehen Schieles erweist sich gerade auch in Kindergestalten. Eckige Mädchen in der Pubertät, kleine verlorene Jungen, die er mitfühlend und mit ihrem „inneren Licht“, jedoch in dramatischen Posen zeigte. Dafür saß er 1912 knapp einen Monat lang in Haft – wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“. Bis sich die Anschuldigungen als haltlos erwiesen.“ (Ingeborg Ruthe)

Und hier nun eine ausführliche Würdigung des Künstlers (mit 1982 Abbildungen), verfasst von Erwin Mitsch ( * Beispiel2125.04.1931 Linz, † 17. März 1995 Wien ). Der stud, ierte Kunst und Archäologie, promovierte dann 1958 zum Dr. phil. Bereits ein Jahr später wurde er dann der Leiter der Graphischen Sammlung Albertina in Wien.

Der Schwerpunkt seiner zukünftigen Arbeiten und Forschungen war dann der österreichische Expressionismus.

Mir behagen insbesondere seine weiblichen Akten nicht sonderlich und ganz bös muss ich schauen, wenn ich an all die nackten Mädchenzeichnungen denke … denn hier hat auch die Kunst seine Grenzen …

Aber dennoch hängt bei uns ein Kunstdruck von ihm in der Wohnung:

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Haus mit trocknender Wäsche (entstanden in seinen Zeit in Krumau), 1911

 

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Tote Stadt, 1911

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Die Rückseite des Buches