»Ich glaube, daß meine Entscheidung, professionell Musik zu machen, wesentlich mit seiner [Hanns Eislers] Arbeit zu tun hat. […] Ich war fasziniert von der ganzen Bandbreite, in der Eisler diskutiert hat, über Literatur, Politik, Mathematik, Philosophie, bildende Kunst, Musik natürlich..«.. (Heiner Goebbels)
Eislermaterial ist eine Hommage des Komponisten Heiner Goebbels an Hanns Eisler, der in Goebbels‘ künstlerischer und politischer Biografie eine große Rolle gespielt hat: Schon Eisler selbst stand als Schönberg-Schüler und gleichzeitig linkspolitisch engagierter Agitprop-Komponist im scharfen Spannungsfeld zwischen bourgeoiser Kunst- und klassenkämpferisch funktionalisierter Gebrauchsmusik; in ähnlicher Weise scheint sich auch Goebbels, der nicht nur Musik, sondern auch Soziologie studiert hat, hinsichtlich seiner Entscheidung für den Musikerberuf zwischen den Extremen orientiert zu haben.
Im Zentrum des Eislermaterials stehen einige Lieder von Hanns Eisler, die Goebbels für die Ausführung durch das Ensemble Modern praktisch nur eingerichtet oder arrangiert hat. Gesungen werden sie von dem Schauspieler Josef Bierbichler, dessen Stimme keine
sängerische Ausbildung erfahren hat, worauf Goebbels im Sinne einer jeglicher sängerischen Eitelkeit entkleideten Vortragsweise besonderen Wert legt. Wandlungsfähig und teils mit einer faszinierend androgynen Stimmgebung trägt Bierbichler die Gesänge völlig unprätentiös und wohl gerade dadurch sehr eindrucksvoll vor. Verbunden sind sie durch instrumentale Abschnitte, die Goebbels teilweise aus Werken Eislers zusammenschnitt, darüber hinaus aber auch mit eigenen Ideen überlagerte. Dazwischen sorgen zwei „Hörstücke“ für noch unmittelbarere Bekanntschaft mit Eisler, denn es handelt sich hierbei um Collagen aus originalen Eisler-Interviews. Der Ton kommt dabei aus verschiedenen Richtungen bzw. im Wechsel aus beiden Kanälen des Verstärkers, so dass man mitunter den Eindruck hat, Eisler befinde sich im Dialog mit sich selbst.
Hier wie auch andernorts im Eislermaterial ergeben sich auch komische Effekte, die mit der Ernsthaftigkeit und Radikalität vieler Aussagen in den Interview- und Liedertexten kontrastieren. Dies sorgt nicht nur für ein kurzweiliges Hörerlebnis, sondern trägt auch zu Goebbels‘ Absicht bei, die Musik Eislers einerseits durchaus konkret, andererseits gleichzeitig auch mit der für heutige Rezipienten angebrachten Distanz in Erscheinung treten zu lassen. (Michael Wersin)
Wir haben es hier mit einer Aufzeichnung des SWR zu tun … live im Hebbel-Theater, Berlin (Oktober 1998).
Warum nur ist mir heute Abend nur nach dieser Musik ? Ich vermute mal, dass dies an der Zerrissenheit der Kompositionen liegt …
Oder: Denk ich an Deutschland heut´ Nacht …
Besetzung:
Josef Bierbichler (vocals)
Uwe Dierksen (trombone, helicon)
Roland Diry (clarinet)
Thomas Fichter (bass)
William Forman (trumpet)
Michael M. Kasper (violoncello)
Hermann Kretzschmar (piano, harmonium)
Catherine Milliken (oboe)
Jagdish Mistry (violin)
Franck Ollu (french horn, tuba)
Rainer Römer (percussion)
Noriko Shimada(bassoon)
Geneviève Strosser (viola)
Wolfgang Stryi (clarinet, saxophone)
Dietmar Wiesner (flute)
Ueli Wiget (piano, sampler)
Titel:
01. Anmut sparet nicht noch Mühe 7.02
02. Allegro Assai – Aus: Jleine Sinfonie / Moment Musical 4:05
03. Andante – Aus: Suite Für Septett Nr. 1 2:01
04. Und ich werde nicht mehr sehen 2.49
Vier Wiegenlieder für Arbeitermütter
05. I 1.56
06. II 1:27
07. III 1.40
08. IV 3.35
09. Hörstück I („Einen Moment, gnädige Frau …“) 4.36
10. Ballade von der haltbaren Graugans 2.53
11. Mutter Beimlein 1.56
12. Vom sprengen des Gartens 3.39
13. Ballade vom zerrissenen Rock 3.15
14. Horatios Monolog / Bericht vom 1. Mai 2.56
15. Hörstück II („Ich möchte ihnen einen Vorschlag machen …“) 3:30
16. Kleine Passacaglia – Aus: Fünf Orchesterstücke 0:53
17. Finale: Improvisation – Aus: Fünf Orchesterstücke 3:29
18. Über den Selbstmord 2.54
19 Kriegslied „Großvater Stöffel“ 1.27
20. „Die Fabriken“ – Aus: Orchestersuite Nr. 3. / Streichquartett-Fragment 5:44
21. Und endlich stirbt die Sehnsucht doch 1.24
Musik: Hanns Eisler und Heiner Goebbels
Texte: Berthold Brecht außer bei 20.: Peter Altenberg