Wann immer ich den Namen „Lucilectric“ höre, sehe ich meine ekstatisch hopsenden Töchter in den 90er Jahren, die mit wackelnden Köpfen tanzend den Megahit „Weil ich ein Mädchen bin“ zelebrierten.
Lucilectric war eine deutsche Gruppe aus Berlin, Mitglieder waren die Sängerin Luci van Org und Produzent und Musiker Ralf Goldkind. Mit dem Song „Mädchen“ gelang ihnen 1994 ein einmaliger Erfolg in den deutschen Singlecharts. Nach „Hey Süßer“ im gleichen Jahr wurde es still um die Band. Die letze Veröffentlichung war das Album „Tiefer“ 1997.
Luci van Org war nach der Trennung von Lucilectric solo mit „Das Haus von Luci“ vor allem in der Wave/Gothic-Szene und als Fetisch-Diva erfolgreich. Des weiteren arbeitet sie als Schauspielerin, Moderatorin beim Jugendsender „Fritz“ des Rundfunk Berlin Brandenburg und Autorin.
Ralf Goldkind produzierte Platten, u.a. für Nina Hagen und Die Fantastischen Vier. (last.fm)
Luci und Ralf lernten sich 1993 in der Berliner S-Bahn kennen. Ralf mit seiner Ukulele auf dem Schoß fiel Luci auf, und sie sprach ihn an. Sie stiegen gemeinsam aus und sangen auf dem Bahnhof einen Song – und mußten prompt eine Geldbuße bezahlen, weil sie keine Genehmigung fürs Musizieren auf dem S-Bahnhof hatten. Luci hatte schon vorher unter anderem Namen ein paar Singles aufgenommen, die sie allerdings heute als Jugendsünden bezeichnet. Auch Ralf war kein Unbekannter in der Musikszene Berlins mehr. Aus diesem Treffen entstand die Idee zu Lucilectric.
1993 veröffentlichten die beiden die Single „Mädchen“, die in Deutschland zunächst unbeachtet blieb, in Holland aber zum Hit avancierte. Von dort aus schwappte die Erfolgswelle dann Anfang 1994 auch nach Deutschland über. „Mädchen“ verkaufte sich über 750.000 mal. Das gleichnamige Album wurde kurze Zeit später veröffentlicht. Produziert war Annette Humpe, die auch schon „Die Prinzen“ zum Erfolg gebracht hatte und zu NDW-Zeiten Anfang der achziger Jahre selber erfolgreiche Sängerin bei der Gruppe „Ideal“ war. Für dieses Album und den Hit „Mädchen“ wurde das Duo mit diversen Preisen der Plattenbranche ausgezeichnet, u. a. der Goldenen Stimmgabel 1994 (beste Newcomer), dem Echo 1994 (beste Single), und dem Bambi 1994. Im Sommer 1994 tourten Lucilectric im Vorprogramm der Prinzen durch Deutschland und bestritten auch eine eigene Tour. Die zweite Single „Hey Süßer“ wurde ebenfalls ein Hit.
Die dritte Single „Warum“ blieb allerdings in den Regalen der Plattenläden liegen – „warum“ nur?! Lucilectric zogen sich daraufhin für eine Weile aus der Öffentlichkeit zurück. Nach Lucis Hochzeit mit dem Bassisten der Live-Band gingen Lucilectric 1995 erneut ins Studio, um wieder mit Annette Humpe als Produzentin eine neue CD einzuspielen. Außerdem traten beide in der Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auf. Im selben Jahr produzierte Ralf das Album „Freud Euch“ von Nina Hagen, auf dem auch einige Mitglieder der damaligen Live-Band von Lucilectric mitwirkten. Im Dezember ließ sich Luci von Ralf ihre berühmten Dreadlocks abschneiden.
Die erste Single aus dem zweiten Album erschien Anfang 1996 und hieß „Liebe macht dumm“. Auch diese Single wurde kein großer Erfolg. In dieser Zeit zeigt Luci zum ersten mal ihre schauspielerischen Ambitionen in der Hauptrolle des Film „Liane 96“. Sie schrieb mit Nena Texte für deren Album „jamma nich“. Lucilectric steuerten in diesem Sommer je einen neuen Song zu zwei Samplern bei, auf der „CD mit der Maus“ (25 Jahre Die Sendung mit der Maus) das Lied „Maus und blauer Elefant“ und auf dem 25-Jahre-Greenpeace-Sampler „Taten statt Warten“ den Song „Heile Welt“, dessen Text von Kindern eines Greenteams stammt. Im Sommer 96 erschien die zweite Single „Fernsehen“. Das später folgende Album „Süß & Gemein“ kam im August heraus. Nach der Veröffentlichung dieses Albums und einigen Streitereien trennten sich Luci und Ralf nicht nur von ihrer Plattenfirma SingSing (BMG), sondern beendeten auch die Zusammenarbeit mit Produzentin Annette Humpe.
Nach Lucis Trennung von Ehemann Henry stürzten sich Lucilectric in die Arbeit für ihr drittes Album. Die erste Single „Bye Bye“ erschien im September. Das Album „Tiefer“ wurde produziert von and.ypsilon von den Fantastischen Vier, Lucilectric und anderen. Es beinhaltet deutlich ernstere und nachdenklichere Songs als die beiden Vorgänger und kam im Oktober 1997 bei EMI auf den Markt. Von März bis Mai 1998 waren Luci und Ralf mit ihrem dritten Album auf einer Unplugged-Tour durch die kleineren Orte und Clubs Deutschlands. Unterstützt wurden sie dabei von Mike Reynolds (Drums/Percussions) und Gerry Schmalzl (Gitarre).
Die zweite Single des Albums „Freundin“ sollte zwar Anfang des Jahres als Remix erscheinen, aber die Plattenfirma strich die Veröffentlichung mit der Begründung, es bestünde nicht genug Nachfrage. Diese nicht erschienene Single, mit der die Radiostationen schon bestückt worden waren, kam zumindest in den Hörer-Jahrescharts von Radio Fritz in Brandenburg immerhin auf Platz 27. Nach diesem Vorfall kündigten Lucilectric ihren Vertrag mit EMI und kümmerten sich seitdem jeder für sich um andere Projekte. Bei der Veröffentlichung von Lucis Solo-Single „Waterfalls“ Ende 1999 gab sie die Trennung von Lucilectric bekannt. Luci und Ralf haben sich musikalisch in verschiedene Richtungen entwickelt. (von der Website allesluci.de)
Hier also das Debütalbum mit dem Meg-Hit „Mädchen“ (in der Tat ein Ohrenwurm sonders gleichen) mit einem ziemlich frechen Text.
Hey Süßer, draußen is‘ schon richtig hell
‚N Kaffee, die Sonne is‘ so grell
Noch ’ne Stunde Zeit, um sich auszuruhen
Meins du wirklich, es ist nötig, sich das anzutun?
Dass man sich ’n Morgen, der so schön begonnen hat
Durch Aufstehen und Arbeit zur Hölle macht?
Meinst du nicht, es wäre schön
Einfach gar nicht rauszugehen?
Oh Süßer, bleib einfach hier
Wenn die anderen zur Arbeit gehen
Geh ich ins Bett mit dir
Oh Süßer, bleib einfach hier
Und mach, was du willst mit mir
Montag Morgen, wenn die Sonne scheint
Ist die schönste Zeit dafür
Lass die andern doch studieren
Wie sie das große Geld kassieren
Lass den Rest der Welt beschäftigt sein
Ich schlafe mit dir ein
Diese rotzfrechen Texte (und zuweilen auch weiblich-sexy, z.B. „Hey Süßer“) finden sich auch auf den anderen Liedern und auch wenn ich weder damals noch heute zur Zielgruppe dieses Albums gehörte … das Album hatte Pepp … und die Musik ist feiner Power-Pop (und dabei gönnte man sich immer auch Anleihen an Songstrukturen, wie sie in den 60er Jahren aufkamen.
Besetzung:
Maik Boesenberg (percussion)
Ralf „Goldkind“ Christmann (guitar, keyboards, trombone, vocals)
Andreas Herbig (guitar)
Ina Lucia „Luci van Org“ Hildebrand (vocals)
Hugo Race (guitar)
Ash Wednesday (keyboards)
Axel Wernicke (drums)
+
Herbert Böhme (background vocals)
Annette Humpe (background vocals)
Titel:
01. Mädchen 3.16
02. Warum 4.11
03. Explosiv 2.58
04. Hey Süsser 3.43
05. Dreckig 3.01
06. Umlaufbahn 3.35
07. Hey Fisch 3.49
08. Herzlichen Dank 3.49
09. Nur wer im heute lebt 3.54
10. Schande 3.30
11. Schlaflied 3.49
Musik und Texte: Ralf Christmann & Ina Lucia Hildebrand
außer bei 07.: Ralf Christman, Ina Lucia Hildebrand &
*
**
Was’n das für ’n wundervoller Hintern
Der da neben an ’nem Tresen steht
Und der Typ der da am Hintern noch mit dran ist
Hat sich grade zu mir umgedreht
Und ich lach ihm zu oh prima den nehm ich nach Hause mit
Und da lehn ich mich zurück und lass dem Mann den ersten Schritt
Mir geht’s so gut, weil ich ’n Mädchen bin, weil ich ’n Mädchen bin
Komm doch mal rüber mann und setz dich zu mir hin
Weil ich ’n Mädchen bin, weil ich ’n Mädchen bin
Keine Widerrede mann, weil ich ja sowieso gewinn, weil ich ’n Mädchen bin
Und der Hintern kauft mir viele schöne Sachen
Und dann lädt er mich zum Essen ein
Klar lass ich mich auch ganz ohne Kohle küssen
Doch wenn der meint das muss so sein sag ich nicht nein
Ich bin so froh dass ich ’n Mädchen bin, dass ich ’n Mädchen bin
Komm doch mal rüber mann und setz dich zu mir hin
Weil ich ’n Mädchen bin, weil ich ’n Mädchen bin
Keine Widerrede mann, weil ich ja sowieso gewinn, weil ich ’n Mädchen bin
Komm doch mal rüber mann und setz dich zu mir hin
Weil ich ’n Mädchen bin, weil ich ’n Mädchen bin
Keine Widerrede man, weil ich ja sowieso gewinn, weil ich ’n Mädchen bin
Und nach ‚m Essen gehen wir Kaffee bei ihm trinken
Und der Schweiß der steht ihm im Gesicht
Ob’s der Größte der’s am längsten kann von allen
Heute Nacht auch wirklich hält was er verspricht
Ich bin so froh dass ich ’n Mädchen bin, dass ich ’n Mädchen bin
Mehr von Lucilectric:
Luci van Org über ihre damalige Zeit und den „Mädchen“ Song:
„Und da lehn‘ ich mich zurück und lass dem Mann den ersten Schritt. Mir geht’s so gut, weil ich ’n Mädchen bin, weil ich ’n Mädchen bin. Komm doch mal rüber Mann und setz dich zu mir hin, weil ich ’n Mädchen bin, weil ich ’n Mädchen bin.“
Vor fast 25 Jahren veröffentlichte die Musikerin Luci van Org unter dem Namen Lucilectric ihr bekanntestes Lied: „Mädchen“. Inzwischen sieht die heute 47-Jährige das Lied allerdings auch kritisch.
Auf die Frage der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, ob der Text nicht ein antiquiertes Frauenbild transportiere, weil darin ein Mädchen von einem Mann angesprochen werden wolle und nicht selbst aktiv werde, sagte sie: „Aus heutiger Sicht ist das so.“
Allerdings würde sie es nicht wagen wollen, über dieses Stück etwas Schlechtes zu sagen, „weil es mir so viel Glück und Schönes gebracht hat“. Damals seien Text und Botschaft total weit vorn gewesen. „Es ist ein Zeitphänomen, und es ist fast ein Vierteljahrhundert her“, sagte van Org der Zeitung. „Dass eine Frau solche Sachen ausspricht, dass sie ein Recht auf ein eigenes Sexualleben hat, dass sie sich ihre Partner selbst aussucht, dass sie daran auch noch Spaß hat – das war damals eine Sensation.“
Sie selbst habe damals ihre eigene Strategie gehabt, um mit dem plötzlichen Starrummel umzugehen, als „Mädchen“ im Jahr 1994 ein Hit wurde: „Ich habe intuitiv gegengesteuert, mir die Haare abgeschnitten, mich als bisexuell geoutet, angefangen, mich danebenzubenehmen, alles, was ging“, sagt van Org der „NOZ“
Das habe funktioniert. Außerdem habe ihr Harald Schmidt damals ein paar Tipps gegeben, wie man durch den Plötzlich-Star-Dschungel kommt.
Seither sei die Gleichberechtigung jedoch kaum weitergekommen, meint van Org, die als Produzentin, Autorin und Sängerin in ihrer Heimatstadt Berlin arbeitet: „Wenn ich mit einem männlichen Kollegen einen dienstlichen Termin wahrnehme, spricht man erst mal nur mit ihm, weil alle denken, er sei mein Chef. Das macht mich unglaublich wütend.“
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Und es werde aktuell sogar eher wieder schlimmer, meint die Musikerin. „Das frustriert mich. Ich bin jetzt bald 50.“ Mittlerweile reagiere sie auf solche Situationen „mit aller Härte“, wie sie sagt: „Wenn mir heute in guter, alter Manier ein Mann ein Mischpult erklärt, erzähle ich ihm anschließend, wie viele ich von den Geräten zu Hause habe und wie viele Platten ich schon produziert habe.“ (spiegel.de, 2018)
Die ehemalige Website von Luci van Org: