Wolfgang Ecke – Heinrich Lübke … redet für Deutschland (1974)

FrontCover1Bald wird man weder Heinrich Lübke noch die satirische Monatszeitschrift „pardon“ noch kennen. Von daher ist dies wieder mal ein Beitrag explizit für die reifere Jugend (West), denn damals war das uns schon ein wichtiges Thema:

Heinrich Lübke ist ein CDU-Politiker und von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Der Vermessungs- und Kulturingenieur gerät zur Zeit des Nationalsozialismus zunächst in Konflikt mit dem Regime, arbeitet aber später in einem Architekturbüro im Auftrag des Generalbauinspektors Albert Speer. Nach 1945 tritt Lübke der CDU bei, wird 1953 Bundesernährungsminister und 1959 schließlich Bundespräsident. In seiner Amtszeit setzt Lübke sich stark für Entwicklungshilfe und die Bildung einer Großen Koalition ein. (Quelle: /www.hdg.de)

Damals, in den 60er Jahren standen zwei Themen im Zusammenhang mit Kübke ganz besonders im Vordergrund:

Hat er tatsächlich auch Baupläne für KZ-Baracken entworfen ? (Antwort: ja, zumindest gemäß den Recherchen der „Zeit„)

Und: Eignet sich ein Mann zum Bundespräsidenten, der ob seiner schlichten und teilweise tolpatischen Redebeiträge dafür sorgte, dass ganz Deutschland über ihn lachte )Neue Revue, 1967).

Neue Revue 1967„Seine politischen Akzente wurden vor allem in der zweiten Amtszeit von seinen rhetorischen Missgriffen überschattet. Wie sich später herausstellte, litt er damals bereits an rasch fortschreitender Zerebralsklerose, welche die Versprecher begünstigte. Zudem ignorierte Lübke gerne vorhandene Redemanuskripte und versuchte frei zu sprechen.
Lübke während eines Besuchs im schwäbischen Kirchheim, ca. 1965

Zu einer modernen Sage entwickelte sich „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“, womit Lübke bei einem Staatsbesuch 1962 in Liberia eine Rede begonnen haben soll, ohne dass es dafür irgendeinen Beleg gibt, wie auch „Equal goes it loose“:

„Als Englands Königin am Rhein Staatsbesuch machte, kleidete Lübke die Mitteilung an seinen Gast, das Konzert im Schloß Brühl werde sogleich beginnen (so berichtete die Bonner Fama), in den Satz: ‚Equal goes it loose‘ — eine eigene Übersetzung von: Gleich geht es los.“

Der damalige Spiegel-Mitarbeiter Hermann L. Gremliza offenbarte 2006, dass dieses Zitat, wie viele andere auch, eine Erfindung der Spiegel-Redaktion war:

„In Wahrheit ist das angebliche Lübke-Zitat ‚Equal goes it loose‘ […] eine Erfindung des Bonner Spiegel-Korrespondenten Ernst Goyke, genannt Ego […]. Auch alle anderen Beiträge zum »Lübke-Englisch« haben in der Woche nach Egos Story Redakteure des Spiegel unter falschen Absendern für die Leserbrief-Seiten des Magazins verfaßt.“

Belegt ist, dass Lübke in Tananarive, der Hauptstadt Madagaskars, den Präsidenten Philibert Tsiranana und seine Frau Justine mit den Worten „Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Tananarive“ grüßte. Ein starkes Echo fanden diese echten und vermeintlichen Fehlleistungen in der deutschen Kabarett-Szene. Aufgrund des dem Bundespräsidenten entgegenschlagenden Spotts entschied der Bayerische Rundfunk, die Vorstellungen der Münchner Lach- und Schießgesellschaft nicht weiterhin live zu übertragen.

Original-Ausgabe aus dem Jahr 1966:
OriginalFront+BackCover1966

Ausschnitte von Lübke-Reden wurden Mitte 1966 von der Zeitschrift pardon auf der außerordentlich erfolgreichen Langspielplatte Heinrich Lübke redet für Deutschland verarbeitet. Dazu gehört die Szene in Helmstedt, als Lübke die Bewohner anreden wollte und sich nicht an den Ortsnamen erinnern konnte; Zuschauer riefen ihm diesen zu.“ (Quelle: wikipedia)

Hier nun die bereits erwähnte Scheibe: ursprünglich 1966 als „pardon“ LP Nr. 1 veröffentlicht.

1974 gab es dann eine weitere Auflage, diesmal als LP des Zweitausendeins Versandhandles (die liegt mir vor) und später gab´s dann noch eine weitere Auflage als CD.

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Es ist eine wirklich gelungene, aber auch hämische Collage von etlichen Schnitzerm und Versprechern, die sich Heinrich Klübke damals geleistet hat, und ja, er war für uns eine Lachnummer … ein unfreiwilliger Komiker, der an Peinlichkeit kaum zu überbieten war.

Und was waren wir froh, dass wir dann mit Gustav Heinemann endlich einen Bundespräsidenen hatten, der doch eine ganz andere Sprache pflegte („Ich liebe nicht Deutschland, ich liebe meine Frau“)

Heutzutage muss man das Phänomen Lübke schon ein wenig anderes betrachten.

„Dem Bundespräsidenten a. D. verblieb keine Aufgabe, und neue Pflichten konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr übernehmen. Seine Absicht, von Zeit zu Zeit in Berlin zu wohnen, ließ sich nicht verwirklichen, und ebenso wenig konnte Lübke, der über eine Privatbibliothek von etwa 5.000 Büchern verfügte, seinen wissenschaftlichen Hobbys nachgehen: Vergleichende Sprachwissenschaften und Mikrobiologie.

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Seine Parteifreunde ignorierten ihn, wenn sie ihn nicht gar mieden. Sein Nachfolger im Amt des Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, hielt jedoch Kontakt zu ihm. Reisen nach Teneriffa im Herbst 1969 sowie zu Weihnachten 1970 und 1971 brachten keine Besserung seines Befindens. Eine fortschreitende Zerebralsklerose machte sich immer stärker bemerkbar, führte zu ernsthaften Sprechstörungen und zeitweise auftretendem Gedächtnisverlust. Im Nachhinein zeigte sich, dass diese Krankheit schon einige Jahre zuvor begonnen hatte und so manchen Versprecher des Bundespräsidenten in den letzten Jahren seiner Amtszeit erklärte. Im November 1971 besuchte der Altbundespräsident zum letzten Mal seinen Geburtsort Enkhausen.

Am 30. März 1972 erforderten akute Magenblutungen eine rasche Operation Lübkes. Dabei stellte sich heraus, dass er an einem weit fortgeschrittenen Magenkrebs litt, die Metastasen hatten bereits das Gehirn erreicht. Nach zwei weiteren Blutstürzen starb Heinrich Lübke am 6. April 1972 im Alter von 77 Jahren in Bonn“ (Quelle: wikipedia)

Heinrich und Wilhelmine Lübke:
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Und so sind wohl auch diese Kommentare notwendig:

Sicher kann Herr Lübke nichts dafür, dass er wie Viele im Alter geistig verwirrt ist, das ist eher tragisch und traurig, aber dass der Deutsche Bundestag einen geistig verwirrten, alten Mann, der eher ein Pflegefall war und nur noch eingeschränkt bis gar nicht mehr geschäftsfähig war, zum Bundespräsidenten wählt, ist der eigentliche Skandal, alle haben es gewusst nach seiner ersten Amtszeit, aber er wurde für eine zweite Amtszeit gewählt…. (Capote Truman)

Heinrich Lübke war, als er Bundespräsident wurde, bereits ein schwerkranker und bedauernswerter Mensch, der vom greisen Adenauer ins Amt gedrängt wurde, als dieser erkannt hatte, dass der von ihm angestrebte Posten doch nur wenig Einflussmöglichkeiten bot. Rut Brandt schreibt in ihrer Biographie, dass das Ehepaar Lübke außergewöhnlich liebenswürdig gewesen ist. Wilhelmine Lübke, über die seinerzeit viel gespottet wurde, war eine hochintelligente Dame. Bei den Verhandlungen für die Ostverträge hatte Wilhelmine Lübke für Willy Brandt gedolmetscht, ob der Brisanz der geheimen Inhalte wurde kein Dolmetscher hinzugezogen. Frau Lübke sprach u.a. perfekt russisch. Anzumerken bleibt vielleicht noch, dass die damalige Bundesrepublik, wo der Bundespräsident in der Villa Hammerschmidt residierte und der Bundeskanzler seinen Amtssitz im Palais Schaumburg hatte, etwas bescheidener, dafür wesentlich sympathischer gewesen ist, als heute, wo die Pfarrerstochter im gigantischen Kanzleramt und Hochwürden Gauck im Schloss Bellevue ihre Amtssitze haben. (Etienne Faible)

Unabhängig von dieser notwendigen Korrektur (Lübke war wohl mit diesem Amt völlig überfordert) damaliger Einschätzung, zeigt diese LP aber auch noch eins: Die Respektlosigkeit gegenüber verordneten Autoritäten und Respektspersonen nahm in den 60er Jahren erkennbar ab … und das war gut so !

Aber: Seine Prognose hinsichtlich der Wiedervereinigung war zutreffend !

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Besetzung + Mitarbeit:

Gesang:
Der Chor der Redakteure & Sekretärinnen

Texte:
Bundeszentrale Für Politische Bildung, Carlo Schmid, Heinrich Lübke, Johannes Hermanns, Rudolf Augstein, Wolf D. Rogosky

Musik:
Das Pardon Studio Sextett
(Die Nationalhymne ist eine Originalaufnahme aus Kandahar)

Lieder und Melodien von:
Max von Schenckendorf, H. F. Maßmann, Martin Rinkart, Johann Wolfgang von Goethe, Wolf D. Rogosky, Heinrich Werner, Carl Maria von Weber, Franz Schubert, Joseph Haydn, Karl Groos

Sprecher:
Christine Davism Fred C. Siebeck, Gert Keller, Heinrich Lübke, Werner Simon

Produktion und Regie:
Wolfgang Ecke

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Titel:
01. Heinrich Lübke … redet für Deutschland (Teil 1) 19.43
02. Heinrich Lübke … redet für Deutschland (Teil 2) 17.29

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Aus: „Der Spiegel“, 1967:
Spiegel 1967