Anfang der 1970er Jahre zog Müller-Westernhagen mit seiner Lebensgefährtin, der 17 Jahre älteren Schauspielerin Katrin Schaake, nach Hamburg-Pöseldorf. Häufig war er Gast in der Künstler-Wohngemeinschaft Villa Kunterbunt in Hamburg-Winterhude, in der damals unter anderem Otto Waalkes, Udo Lindenberg und Willem wohnten.[6] 1972 brachte er für die ZDF-Satiresendung Express das Lied Gebt Bayern zurück an die Bayern in Anlehnung an Paul McCartneys Give Ireland Back to the Irish auf den Markt. Nach massiven Protesten wurde die Single von der Plattenfirma wieder vom Markt genommen. In Roland Klicks Film Supermarkt synchronisierte er den Hauptdarsteller und steuerte das Stück Celebration für den Soundtrack unter dem Namen Marius West bei. Während der Arbeiten zum Film lernte er den Produzenten Peter Hesslein kennen.
1974 unterzeichnete er einen Plattenvertrag bei Warner Music. Sein Debüt-Album Das erste Mal wurde von Peter Hesslein im Oktober 1974 produziert und Anfang 1975 veröffentlicht. Es war kommerziell nicht erfolgreich. Die ARD strahlte im selben Jahr unter dem Titel Es geht mir wie dir eine Dokumentation über den jungen Sänger aus, in der Müller-Westernhagen und einige ihm nahestehende Personen, wie seine Mutter und seine Lebensgefährtin, dem Moderator Reinhard Münchenhagen Fragen über sein Leben und seine Musik beantworten.
Hier nun sein zweites Album, dass leider so nirgends recht gewürdigt wird … für mich unverständlich.
Ich bin ganz erstaunt, dass dieses in sich so stimmige und ehrliche Album oft nicht gut ankommt. Ich habe mich im Laufe der Zeit durch die meisten von Marius‘ Alben gehört, konnte aber keines entdecken, dass sowohl an die musikalische als auch an die textliche Qualität dieser Platte heranreicht. Hier findet man seine schönsten Balladen (Endspurt, Paula, Franz Stumpf), gut ausgetüftelte Big Band- und Orchesterarrangements, inhaltsreiche, oft kritische Texte und mitreißende Uptempo-Nummern (36, ich geh‘ meistens bei rot, ich hab‘ dich so schrecklich lieb). Ich mag die positive Ausstrahlung der Musik und dass sie mal ganz weit weg ist von den sonst bei Westernhagen so üblichen Blues- und Rock’n’Roll-Klischees, die ihm als Vehikel für seine mit zunehmendem Alter immer sinnärmeren und wahlloser zusammengeschusterten Textkonstrukte dienen.
Auch die vielen gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten von Marius‘ Stimme kommen hier zur vollen Entfaltung. Besonders beeindruckend finde ich, wie er in dem funkigen „Ich geh‘ meistens bei rot“ zwischen einem chansonhaften Ton, Scat-Gesang und Schreien hin- und herpendelt und sich in der Songmitte ganz lässig in ein unisono-Duett mit einem fulminanten Gitarrensolo einschwingt. Das klingt allerdings nach großer Kunst. „Bittersüß“ ist mein Tipp, wenn jemand nach der eigentlichen Essenz von Marius Müller-Westernhagens Musikalität sucht. (Karsi Kaschu)
Also, zum mitschreiben: Zum einen wird musikalisch eine durchaus griffige Rockmusik geboten, was insoweit nicht weiter verwundert, wenn man weiss, dass Lucifers Friend Gitarrist Peter Hesslein die meisten der Songs mitkomponiert hat und überhaupt: Neben Curt Cress spielen eben auch die gesamte Mannschaft von Lucifers Friend mit … und die verstanden damals ihr Handwerk !
Und textlich ist ebenfalls allerhand bemerkenswertes zu hören. Das geht schon los mit dem Kracher „36 …“ in dem er seine Beziehung zur 10 Jahre älteren Schauspielerin Katrin Schaake thematisiert.
Aber auch der Paula Song und erst recht „Einer wie er“ (eine weitere Hymne der besonderen Art) sind textlich überzeugend !
Und „Endspurt“ geht einfach nur unter die Haut …
Also: ein mehr als lohnenswertes Album aus der Frühphase des Pfefferminzprinzen.
Besetzung:
Herbert Bornhold (percussion, drums bei 03., 05. + 08.)
Curt Cress (drums)
Waldemar Erbe (trombone)
Herb Geller (saxophone)
Heinz Habermann (trumpet)
Peter Hecht (keyboards, synthesizer)
Peter Hesslein (guitar, percussion)
Dieter Horns (bass)
Bob Lanese (fluegelhorn, trumpet)
Marius Müller-Westernhagen (vocals)
Karl Hermann Lüer (flute, saxophone)
Heino Reese (trombone)
+
Background vocals:
Brigitte Blunck – Freya Wippich – Rale Oberpichler
Titel:
o1. 36 … (Hesslein/Müller-Westernhagen) 4.03
o2. Paula (Hesslein/Müller-Westernhagen) 4.49
03. Franz Stumpf (Paula ist fort) 5.54
04. Ich geh‘ meistens bei Rot (Kinderlied) (Müller-Westernhagen) 3.56
05. Armer Star (Hesslein/Müller-Westernhagen) 3.59
06. Einer wie er (Hesslein/Müller-Westernhagen) 4.12
07. Endspurt (Müller-Westernhagen) 4.02
08. Ich hab‘ dich so schrecklich lieb (Hesslein/Müller-Westernhagen) 2.55
09. Rudi Carell (Müller-Westernhagen) 3.57
Endspurt:
Karin Schmitz ist vierzig, sieht noch ganz gut aus
sie führt ´ne heile Ehe, kommt aus gutem Haus
Niemand sieht, was sie schon weiß,
der Doktor brachte es ihr bei
Karin fühlt sich schon seit fast zwei Jahren schlecht,
doch sie dachte nur, das geht schon wieder weg
Sie ging erst jetzt zum Arzt, nun ist es raus:
„in der Falle sitzt die Maus“
Karin Schmitz ist trotzig, will jetzt noch mal ran
mit bangen Augen fragt sie ihren Doktor: wann?
Wenn Sie Glück hab’n, noch ein Jahr
für diese Zeit sieht Karin klar
Denn sie weiß, das letzte Stück,
legt im Endspurt sie zurück
Karin liebt jetzt jeden Mann, den sie begehrt
sie hört nur noch Elvis, singt dazu verkehrt
Um die Welt ist sie gereist
sie liest alle Werke Kleist´s
Karin tut jetzt all das, was ihr Freude macht
sie ißt soviel sie will und tanzt die ganze Nacht
Ihr kleines Auto streicht sie rot
und sie scherzt: „Rot ist der Tod“
Denn sie weiß, das letzte Stück
legt im Endspurt sie zurück
Karin starb mit einem Lächeln auf dem Gesicht
zu ihrem Mann hat sie gesagt: vergiß zu leben nicht
Er verstand und nickt ihr zu:
mein geliebtes kleines Huhn
Denn er weiß, das letzte Stück
war für sie das letzte Glück