Friedrich Glauser – Wachtmeister Studer – Der Chinese (Hörspiel) (1989)

FrontCover1Wer sich für die Geschichte des deutschen Kriminalromans interessiert, komman riedrich Gluser nicht vorbei:

Friedrich Charles Glauser (* 4. Februar 1896 in Wien; † 8. Dezember 1938 in Nervi bei Genua) war ein Schweizer Schriftsteller. Er gilt neben August Gottlieb Meißner als einer der ersten deutschsprachigen Krimiautoren.

Friedrich Charles Glauser wurde am 4. Februar 1896 in Wien geboren als Sohn des Schweizer Lehrers Charles Pierre Glauser († 1937) und der Theresia, geborene Scubitz aus Graz. Nachdem sie 1900 gestorben war, heiratete sein Vater 1902 ein zweites Mal. Schon in der Volksschule war Friedrich kein besonders guter Schüler. Die dritte Klasse des Gymnasiums musste er repetieren. 1909 trennte sich der Vater von seiner Frau, heiratete 1911 ein drittes Mal und zog nach Mannheim, wo er als Rektor der Handelshochschule tätig war. Von da an kümmerte sich die Grossmutter um die Erziehung des Jungen. Als Glauser nach Ungarn durchbrannte, nahm ihn der Vater von der Schule und steckte ihn 1910 ins Erziehungsheim Glarisegg in Steckborn. Dort versetzte Glauser einem Lateinlehrer einen Schlag, weil ihn dieser vor die Tür gestellt hatte. Glauser machte Schulden in den umliegenden Dörfern und wurde 1913 gezwungen, die Schule zu verlassen. Sein Vater schickte ihn nach Genf ans Collège de Genève. Glauser arbeitete für eine Zeitung und schrieb eine anonyme, kritische Rezension zu einem Gedichtband eines Lehrers der Schule. Er wurde als Verfasser erkannt und sanktioniert. Daraufhin ging er freiwillig nach Zürich und machte am dortigen Minerva-Institut auf dem zweiten Bildungsweg seine Matura.

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1916 begann Glauser ein Chemiestudium, brach es aber im gleichen Jahr ab. 1917 trat er in Kontakt mit Künstlern, Dichtern und Musikern der Dada-Bewegung. 1918 wurde er entmündigt wegen „liederlichem und ausschweifendem Lebenswandel“, sprich: Drogenkonsum, Geldschulden und Konkubinat. Er wurde in der Folge immer wieder in Kliniken und Anstalten interniert, brach aus, wurde erneut gefasst, machte Entziehungskuren, wurde wieder rückfällig, unternahm Suizidversuche. 1921 floh er zu seinem Vater nach Mannheim, der ihm die Aufnahme in die Fremdenlegion vermittelte. In Marokko absolvierte er die Unteroffiziersschule, wurde in die Administration versetzt und schliesslich wegen Herzleidens im Frühling 1923 ausgemustert.

Er arbeitete darauf als Handlanger in einem Kohlebergwerk in Belgien, bis er 1925 in die Schweiz abgeschoben wurde. Dort folgten elf Jahre, die vorwiegend von seiner Krankheit und dem damit verbundenen Drehtür-Effekt geprägt waren. In den Zeiten besserer Gesundheit arbeitete er als Hilfsgärtner, absolvierte 1930/31 eine Ausbildung an der Gartenbauschule Oeschberg bei Koppigen, machte in Paris einen ersten Versuch, sich als freier Schriftsteller niederzulassen.

Friedrich Glauser in der Gartenbauschule Oeschberg, 1930/31:
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In der psychiatrischen Klinik Münsingen, wo er unter anderem von Max Müller behandelt wurde, lernte Glauser 1932 die Pflegerin Berthe Bendel kennen. Mit ihr emigrierte er 1936 in ein kleines Dorf bei Chartres; 1937 zogen sie in die Bretagne, im Mai 1938 nach Italien. Am Vorabend der Hochzeit mit ihr brach Glauser in Nervi zusammen und starb im Alter von 42 Jahren.

Dem Gedicht galt Friedrich Glausers früheste Ambition. Schriftsteller zu sein, hiess für ihn zunächst, Gedichte zu schreiben. In der lyrischen Form glaubte er, sein inneres Erleben ausdrücken zu können. Vorbilder waren für ihn Mallarmé und Trakl; der Ton entspricht dem expressionistischen Tenor der Zeit am Ende des Ersten Weltkrieges. Doch keiner dieser Texte wurde gedruckt. Für die Sammlung seiner Gedichte, die Glauser 1920 zusammenstellte, fand sich kein Verleger. Gedichte Glausers wurden erst postum veröffentlicht.

Friedrich Glauser und Berthe Bendel vor ihrem Haus in La Bernerie, Sommer 1937:
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In den letzten drei Lebensjahren schrieb Glauser fünf Kriminalromane, in deren Mittelpunkt Wachtmeister Studer steht, ein eigensinniger Kriminalpolizist mit Verständnis für die Gestrauchelten. Glausers bester Kriminalroman „Matto regiert“ spielt in einer psychiatrischen Klinik und „man merkt ihm genauso wie den anderen Romanen an, dass der Autor eigene Erlebnisse verarbeitet hat. Mit eindringlichen Milieustudien und packenden Schilderungen der sozialpolitischen Situation gelingt es ihm, den Leser in seinen Bann zu schlagen.“ Glauser ist nach der Auffassung von Erhard Jöst „einer der wichtigsten Wegbereiter des modernen Kriminalromans“. Seine Romane und drei weitere Bände mit Prosatexten wurden zwischen 1936 und 1945 veröffentlicht. Ab 1937 wurde der 1928–30 geschriebene Fremdenlegionsroman Gourrama in der linken Wochenzeitung ABC bis zu deren Einstellung 1938 abgedruckt, 1940 vom Schweizer Druck- und Verlagshaus als Buch herausgegeben.

Glausers Nachlass befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern. Nachdem Glauser in den 50er- und 60er-Jahren als „Enfant terrible“ der Schweizer Literatur verschrien war, wurde sein Werk erst ab 1969 vom Arche Verlag neu herausgegeben, ab 1992 vom Limmat Verlag. Zudem sind mehrere Wachtmeister Studer-Geschichten als Comic erschienen, illustriert von Hannes Binder. (literapedia-bern.ch)

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Hier sein dritte „Wachtmeister-Studer“ Roman Roman als Hörbuch, produziert vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF):

Der Chinese ist der dritte Wachtmeister-Studer-Roman des Schweizer Autors Friedrich Glauser. In diesem Krimi, vorwiegend geschrieben im Jahre 1937, ermittelt Studer hauptsächlich in einer Armenanstalt und einer Gartenbauschule. Eine Besonderheit in der Entstehungsgeschichte des Romans ist der Umstand, dass das Original-Typoskript kurz vor dem Wettbewerbs-Abgabetermin des Schweizerischen Schriftsteller Vereins gestohlen wurde. Innerhalb von nur zehn Tagen rekonstruierte Glauser daraufhin die Geschichte neu und erzielte mit dem Chinesen den 1. Platz.

Erste Folge von Der Chinese in der National-Zeitung vom 26. Juli 1938:
Zeitungsausgabe

Studer stellte das Gas ab, stieg ab von seinem Motorrad und wunderte sich über die plötzliche Stille, die von allen Seiten auf ihn eindrang. Aus dem Nebel, der filzig und gelb und fett war wie ungewaschene Wolle, tauchten Mauern auf, die roten Ziegel eines Hausdaches leuchteten. Dann stach durch den Dunst ein Sonnenstrahl und traf ein rundes Schild: Es glühte auf wie Gold – nein, es war kein Gold, sondern irgendein anderes, viel unedleres Metall –, zwei Augen, eine Nase, ein Mund waren auf die Platte gezeichnet; von seinem Rande gingen steife Haarsträhnen aus. Unter diesem Schild baumelte eine Inschrift: Wirtschaft zur Sonne; ausgetretene Steintreppen führten zu einer Tür, in deren Rahmen ein uraltes Mannli stand, das dem Wachtmeister bekannt vorkam.

An einem Juniabend muss Wachtmeister Studer im Weiler Pfründisberg mit seinem Motorrad einen Zwischenstopp einlegen, um Benzin zu tanken. Dabei lernt er James Fahrni kennen, einen Weltenbummler, der auf das Ende seiner Tage wieder in die bernische Heimat zurückgekehrt ist. Der Fremde, den Studer wegen seines Aussehens insgeheim «Chinese» getauft hat, prophezeit, er werde innerhalb der nächsten Monate getötet werden. Auch die in Frage kommenden Täter scheint Fahrni schon zu kennen und stellt diese dem Wachtmeister im Wirtshaus «Sonne» unauffällig vor: Vinzenz Hungerlott, Leiter der Armenanstalt, Ernst Sack-Amherd, Direktor der Gartenbauschule und Rudolf Brönnimann, der Wirt des Lokals. Studer nimmt die Befürchtungen des «Chinesen» nicht ernst und verlässt Pfründisberg wieder, nachdem er sein Motorrad aufgetankt hat. (Dieser Teil des Romans wird im Hörspiel nicht verwendet bzw. aufgegriffen !)

Exakt vier Monate später muss der Wachtmeister wieder nach Pfründisberg. Auf dem Friedhof ist die Leiche von James Fahrni entdeckt worden: Mit einem Herzschuss liegt der Tote, eine Waffe neben sich, auf dem Grab der kürzlich verstorbenen Frau von Vinzenz Hungerlott. Da die Kleider des Toten keine Schusslöcher aufweisen, schliesst Studer Selbstmord aus und beginnt zu ermitteln.

Diverse Buchausgaben:
Diverse Buchausgaben

Pfründisberg besteht, abgesehen von zwei Bauernhöfen, lediglich aus dem Gasthof «Sonne», einer Armenanstalt und einer Gartenbauschule. Sehr schnell wird Studer klar, dass die Lösung des Falles eng mit den drei «Atmosphären», wie er die Institutionen für sich nennt, verknüpft sein muss. Am ersten Tag lernt der Fahnder unter anderem auch den Neffen von James Fahrni kennen: Ludwig Fahrni, ein unehelicher Verdingbub, dem der Ermordete sehr zugetan war. Der Wachtmeister ernennt den Burschen kurzerhand zu seinem Assistenten und bezieht mit ihm das ehemalige Zimmer des «Chinesen». Danach macht sich Studer auf, um die in Frage kommenden Täter in den drei «Atmosphären» kennen zu lernen. Zuerst besucht er Vinzenz Hungerlott im Armenhaus und beginnt daran zu zweifeln, ob die kürzlich verstorbene Gattin des Armenhausvaters, Anna Hungerlott, tatsächlich an einer Darmgrippe gestorben ist. Bestärkt wird der Wachtmeister in seinem Verdacht, als er am folgenden Tag Zeuge wird, wie ein Hahn vor seinen Augen stirbt, nachdem das Tier an der Wäsche der Toten herumgepickt hat. Eine Analyse durch den Gerichtsmediziner ergibt Arsenanteile.

Glauser beim Schreiben in Nervi, Sommer 1938:
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Diese Chemikalie wird allerdings auch in der Gartenbauschule zur Schädlingsbekämpfung verwendet. Weitere Personen rücken nun in den Fokus der Verdächtigen: Zum Beispiel würde auch der Gartenbaulehrer Paul Wottli, neben Vinzenz Hungerlott und James Fahrnis Schwester, eine beträchtliche Summe des Verstorbenen erben. Am Ende des zweiten Tages wird ein weiterer Toter aufgefunden: Im Gewächshaus der Gartenbauschule liegt Ludwig Fahrnis Bruder, vergiftet durch Blausäure. Obwohl der Schlüssel von innen steckt, und es somit wiederum nach einem Selbstmord aussieht, ist für Studer klar, dass es sich um einen weiteren Mord handelt. Notar Münch, der sich wegen der Erbschaft des «Chinesen» ebenfalls in Pfründisberg aufhält, klärt Studer schließlich über das Testament von James Fahrni auf, und dem Wachtmeister wird plötzlich klar, wer hinter den Morden stecken muss.

Am vierten und letzten Tag der Ermittlungen will Studer den wahren Täter stellen. Während eine Delegation von Behörden und Politikern das Armenhaus besucht, stellt sich heraus, dass sich der Wachtmeister und Notar Münch durch die anstehende Aufklärung des Falles in Lebensgefahr begeben haben. Doch Studer hat vorgesorgt: Durch das Eingreifen von Korporal Murmann, dem Gefreiten Reinhard und dem unerwarteten Auftauchen einer Zeugin, gelingt es, die Täter zu entlarven. (wikipedia)

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In dem beigefügten Radiogespräch (mit Susanne Janson und Wolfram Höll) werden sehr fein die Stärken aber auch Schwächen dieses Hörspiels diskutiert …

Typisch Glauser: „Hier versteckt man die Armut hinter dicken Mauern“

Glausers reales Vorbild für das Armenhaus: Das Dienstbotenheim Oeschberg
(ehemaliger «Gasthof zur Sonne»):
Dienstbotenhaus

Besetzung:
René Besson (Wärter)
Paul-Felix Binz (Sack-Amherd)
Peter Brogle (Erzähler)
Heinz Bühlmann (Jakob Studer)
Willy Buser (Dr. Buff)
Uli Eichenberger (Aebi)
Peter Freiburghaus (Münch)
Walter Hess (Statthalter Ochsenbein)
Daniel Kasztura (Wottli)
Erwin Kohlund (Brönnimann)
Walo Lüönd (Hungerlott)
Markus Michel (Ernst Aebi)
Walter Morath (Grossrat)
Rudolf Ruf (Fürsorgebeamter)
Dominique Rust (Ludwig)
Denise Schütz (Huldi)
Renate Steiger (Frau Aebi)
Noemi Steuer (Dienstmädchen)
Margrit Winter (Trili-Müetti)

Regie: Martin Bopp

Die Comic Ausgabe:
Comic Ausgabe

Titel:
01. Einleitung 2.35
02. Wachtmeister Studer – Der Chinese (Hörspiel) 1.03.04
03. Radiogespräch (mit Susanne Janson und Wolfram Höll) 15.54

Gedenktafel

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Wolfram Höll, geboren 1986 in Leipzig, ist Dramatiker und Hörspielregisseur. Nach dem Studium am Schweizerischen Literaturinstitut Biel arbeitet er als Hörspielregisseur und -dramaturg beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Für seine Theaterstücke Und dann und Drei sind wir wurde er jeweils mit dem Mülheimer Dramatikerpreis (2014, 2016) ausgezeichnet. (swr.de)

Wolfram Höll

Susanne Janson (Magister Artium) begann ihre berufliche Laufbahn als Regieassistentin, später dann auch als Regisseurin und Autorin im Bereich von Schauspiel und Oper am Theater Basel (2005 bis 2011)

Seit 2001 bis heute arbeitet sie beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) mit dem Schwerpunkt Radiohörspiele.

Susanne Janson