Reinhard G. Wittmann (Hrsg.) – Hermann Hesse und München (2013)

TitelEigentlich war Hermann Hesse eher ein Landmensch. Zuweilen flirtete er aber auch mit größeren Städten: Basel, Bern, Zürich und … München. Letzteres dokumentiert nun eine Ausstellung im Literaturhaus München unter dem Titel „Einst stand ich zu Ihrer Stadt in intimer Beziehung … –Hermann Hesse und München“. Sie wird am Mittwoch, den 12. Juni 2013, um 19.30 Uhr eröffnet und wird bis 11. August gezeigt.

1904 konnte sich Hermann Hesse nach dem großen Erfolg seines Erstlingsromans „Peter Camenzind“ als Schriftsteller selbstständig machen und auch heiraten. Mit der Photografin Mia Bernoulli zog er dazu in das damals ziemlich abgelegene Dörfchen Gaienhofen am Untersee des Bodensees. Ihre Absicht war dabei, „ein ländliches, einfach aufrichtiges, natürliches, unstädtisches und unmodisches Leben zu führen“ im Sinne der damaligen Lebensreformbewegung.

Und doch zog es Hesse von Anfang an aus seinem ländlichen Refugium immer wieder in Richtung Stadt, genauer gesagt nach München, wo er Kontakte hatte zur politisch-satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“ und deren Mitarbeiter, dem Schriftsteller Ludwig Thoma und dem Karikaturisten Olaf Gulbransson, sowie dem Verleger Albert Langen, an dessen 1906 entstehender Kulturzeitschrift „März“ Hesse die Herausgabe des literarischen Teils übernahm.
Hesse genoss diese Ausflüge in die städtische Welt, wie auch ein Brief vom März 1904 an den befreundeten Basler Staatsarchivar verdeutlicht: „Ich will für 8 bis 10 Tage nach München […], um wieder mal ein flottes Stück Leben um mich brausen zu hören.“ Das Berufliche wurde hierbei mit geselligem Leben verbunden.

Reinhard G Wittmann

Reinhard G. Wittmann

Das Literaturhaus München dokumentiert dies nun mit einer von Literaturhausleiter Reinhard G. Wittmann und Hesse-Herausgeber Volker Michels kuratierten Austellung, die von Constanza Puglisi und Florian Wenz vom Gestalter-Team unodue eingerichtet wurde. (Quelle: hermann-hesse.de)
Während seiner Zeit am Bodensee unternahm Hermann Hesse immer wieder Ausflüge nach München. Teils wegen der Arbeit, teils für Wein, Weib und Gesang. Eine Ausstellung verrät letzte Geheimnisse.

Hesse rudert Olaf Gulbransson

Hermann Hesse rudert mit Olaf Gulbransson

Kleine Fluchten in die große Stadt. Immer, wenn ihm die häusliche Familienidylle am Bodensee zu viel wurde, setzte er sich in den Zug – und tankte ein paar Tage Anregungen in der bayerischen Kunstmetropole.

Doch Hermann Hesse (1877–1962) zog es nicht nur zur Kultur; er genoss seine Freiheit und „ein flottes Stück Leben“ mit „Bierbetrieb“ und Atelierfesten, er versumpfte „in Kneipereien mit Freunden und hübschen Weibern“.
Genau 15 Mal, mehr als 50 Tage, so haben die Ausstellungsmacher recherchiert, war Hesse in den Jahren um die Jahrhundertwende in München, bevor er 1913 endgültig nach Bern übersiedelte. Dabei hatte er sogar kurz überlegt, ob er mit Frau und seinen drei kleinen Söhnen vom Dorf Gaienhofen nicht nach München ziehen solle.

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Doch seine Aufenthalte galten nicht nur dem Amüsement; als Mitarbeiter des Satiremagazins „Simplicissimus“, für das er seit 1905 literarische Texte verfasste – und erstmals politisch sensibilisiert wurde, später auch als Herausgeber und Literaturkritiker der Zeitschrift „März“, verknüpfte er die notwendigen Redaktionssitzungen stets mit ein paar Tagen in der Stadt.

„Einst stand ich zu Ihrer Stadt in intimer Beziehung“ wird auch das Buch heißen, das demnächst über die Aufenthalte erscheinen wird. Zwar existieren unzählige schriftliche Zeugnisse von Hesse und seinen Freunden über diese Zeit in München, doch gibt es kein einziges Foto, das ihn persönlich bei seinen Aufenthalten in der Stadt zeigt, die er schon beim ersten Mal als „behaglich, schön, geräumig und hell“ lobte.

Trotz des Mangels an privaten Fotos des Dichters ist die Ausstellung so geschickt gestaltet, dass man nicht nur von Hesses Aktivitäten erfährt; alte Filmsequenzen liefern neben vergrößerten Stadtpanoramen ein lebendiges Bild vom pulsierenden Leben in München rund um die Jahrhundertwende.

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Da rattert die Straßenbahn über den heutigen Stachus, da fahren die ersten Droschken in der Innenstadt, da flanieren elegant gekleidete Damen, diskutieren Männer angeregt mit einem Glas in der einen, der Zigarre in der anderen Hand, ziehen Museen die Massen an.
Zu den eifrigen Besuchern zählte Hesse, dessen erster München-Besuch einer Marées-Ausstellung in Schloss Schleißheim galt. Doch er berichtete auch begeistert von der Begegnung mit seinen Lieblingsmalern Paul Cézanne und Edouard Manet in der Neuen Staatsgalerie, suchte regelmäßig den Glaspalast, die Schack-Galerie und die Alte Pinakothek auf.

Abends nahm er am unterhaltsamen kulturellen Leben teil – und das mit einer Spannweite zwischen dem Besuch des Kabaretts „Die 11 Scharfrichter“ bis zur absurden Komödie „Raubritter vor München“ in Karl Valentins Vorstadt-Brettl oder dem Genuss

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Ausstellungsplakat

einer Kammerspiel-Inszenierung des „Ödipus“.

Über all diese Ereignisse führte Hesse geradezu penibel (Tage-)Buch oder berichtete anderen Freunden und seiner Gattin in Briefen detailliert über all seine erbaulichen Bildungserlebnisse. Die waren so weit gestreut, dass er auch Faschingsfeiern und Bälle aufsuchte und sich bei trinkfesten Freunden wie Olaf Gulbransson oder Ludwig Thoma abfüllen ließ.
Auch er selbst versoff so manches Mal gleich sein Honorar, um dann „nach einer durchzechten Nacht mit Freunden durch den Englischen Garten“ zu ziehen und „beim Aumeister Kaffee“ zu trinken.
Durch die Kontakte zu Mitarbeitern von „Simplicissimus“ und „März“ befreundete er sich besonders mit zwei vollkommen konträren Typen, denen in der Ausstellung jeweils eigene Kabinette gewidmet sind: dem allen sinnlichen Genüssen zugetanen norwegischen Zeichner Olaf Gulbransson, gegen den der Vegetarier Hesse wie ein lebensfeindlicher Asket wirkte, und mit dem Schriftsteller Ludwig Thoma, den er oft in seiner Jagdhütte bei Dachau besuchte.
Ein holzvertäfelter Raum mit Hirschgeweihen, Fotos und Briefen der beiden erinnert an die enge Beziehung.

Dass er mit der geistigen Elite der Münchner Bohème und deren intellektuellem Umfeld in enger Verbindung stand, dokumentiert anschaulich die Materialfülle der Schau. So trifft man auf die Damen Ricarda Huch oder Annette Kolb, auf Thomas Mann und Stefan George oder Erich Kästner und Oskar Maria Graf – kurz alle, die wie Hesse das geistige Klima Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg prägten.
Doch der empfindliche Hermann Hesse empfand „für die Dauer so viel Reden und Redenhören und Kunst- und Bierbetrieb doch nicht gesund“ und zog sich in die brave Schweiz zurück.

Und hier das Begleitbuch zu dieser großartigen Ausstellung … und wer sich für solche Themen interessiert, wird verstehen, dass ich 3 – 4mal jährlich ins Literaturhaus München dackel … denn hier wird einem stets aufs Neue prachtvolles präsentiert …
Weitere Ausstellungskataloge des Münchner Literaturhauses werden folgen …  versteht sich fast von selbst.
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Beispiel08
Hermann Hesse an Ludwig Thoma,

Hermann Hesse an Ludwig Thomas, 26.11.1905

Beispiel10
Beispiel11

Rudolf Sieck und Albert Langen an Hermann Hesse

Beispiel12
Beispiel13
Beispiel14

Olaf Gulbransson an Hermann Hesse

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