Verschiedene Interpreten – Steinitzsingen – Lieder aus der „Bibel“ des deutschen Folkrevivals (2005)

FrontCover1Wer sich für deutschen Volkslieder mit demokratischer Tradition interessiert, kommt an dieser CD schlicht und ergreifend nicht vorbei ! Denn sie handelt von einem bedeutsamen Sammler genau dieser Lieder:

Wolfgang Steinitz (* 28. Februar 1905 in Breslau; † 21. April 1967 in Berlin) war ein deutscher Linguist und Volkskundler des 20. Jahrhunderts.

Als Wiederentdecker verschütteter sozialkritischer Volksliedtraditionen war er der wichtigste Wegbereiter des deutschen Folk-Revivals in der Bundesrepublik und der DDR. Gleichzeitig gelten seine Forschungen über Sprache und Kultur des westsibirischen Volks der Chanten als eines der wichtigsten Zeugnisse für Überlieferung und Tradition dieser bedrohten sibirischen Ethnie. Auch in anderen sprachwissenschaftlichen und sprachpädagogischen Bereichen hinterließ Steinitz ein umfangreiches Werk.

Der Sohn eines wohlhabenden jüdischen Rechtsanwaltes – beide Eltern traten kurz nach seiner Geburt aus der Jüdischen Gemeinde aus – studierte von 1923 bis 1928 finno-ugrische Sprachwissenschaften und Völkerkunde an den Universitäten von Breslau und Berlin. 1927 trat er der KPD bei. Er unternahm Reisen nach Finnland, Estland und in die Sowjetunion. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er 1933 aus der Universität Berlin entlassen. Der überzeugte Antifaschist emigrierte 1934 in die Sowjetunion und erhielt eine Stelle als Professor für finnisch-ugrische Sprachen am Leningrader Institut der Nordvölker, einer Ausbildungsstätte für Angehörige der indigenen Völker des russischen Nordens und Sibiriens. Im Zuge der Stalinschen Säuberungen wurde er 1937 entlassen und musste ausreisen – im Rückblick ein Glück für die Familie.

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Wolfgang Steinitz (ganz vorne) im Mai 1949 als Teil eine deutschen Delegation auf einer Bootstour in Moskau

Steinitz konnte nach Schweden weiter emigrieren. Ab 1943 bekam er eine Assistentenstelle an der Universität Stockholm. Er arbeitete in der Bewegung Freies Deutschland mit. Nach Kriegsende fuhr er bei der ersten Gelegenheit im Januar 1946 zurück nach Deutschland. In der DDR übernahm Steinitz viele unterschiedliche wissenschaftliche und politische Funktionen, unter anderem leitete er das finnisch-ugrische Institut der Ost-Berliner Humboldt-Universität. Zeitweilig gehörte er zu den politisch exponiertesten Wissenschaftlern der DDR: Er war 1954 bis 1958 Mitglied des Zentralkomitees der SED und 1954 bis 1963 Vizepräsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften der DDR. Steinitz starb 1967 an den Folgen eines Schlaganfalls.

WolfgangSteinitzADer Finno-Ugrist Steinitz befasste sich während seiner Leningrader Zeit besonders mit den Sprachen und Kulturen des obugrischen Volks der Chanten (Ostjaken). Seine Forschungen basieren auf einem halbjährigen Aufenthalt in einer chantischen Siedlung am mittleren Ob sowie auf Aussagen chantischer Informanten, die im Herzen-Institut studierten. Nachdem er 1938 die Sowjetunion verlassen musste, veröffentlichte Steinitz seine bis heute grundlegenden Forschungen 1939 im estnischen Tartu unter dem Titel Ostjakologische Arbeiten.

Ein anderer Schwerpunkt von Steinitz‘ Wirken war die Sammlung deutscher Volkslieder, die sich gegen Krieg, Unterdrückung und Elend richteten, von den Liedern der schlesischen Weber bis zu Soldatenliedern des Dreißigjährigen Kriegs, Bauernklagen, Liedern über Desertion oder über zeitgenössische Ereignisse wie etwa die Revolution von 1848. Er kam bereits früh mit wenig bekannten Volksliedtraditionen in Berührung, die etwa das Elend der schlesischen Weber thematisierten. Steinitz‘ Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten erschienen 1954 und 1962 in Ost-Berlin. Ihre volle Wirkung entfaltete diese Sammlung von 180 Liedern erst nach Steinitz’ überraschendem Tod im Jahre 1967.

Die wiederentdeckten „demokratischen Volkslieder“ waren das wohl einflussreichste Werk für das deutsche Folk-Revival der 70er Jahre. Interpreten wie Peter Rohland, Hein & Oss Kröher, Liederjan, Zupfgeigenhansel, Hannes Wader und viele mehr bedienten sich bevorzugt beim Großen Steinitz, wie das Werk kurz genannt wurde, um zu zeigen, Buch.jpgdass es neben dem als tendenziell rechtslastig empfundenen „volkstümlichen“ Lied auch eine verschüttete Tradition gibt, die sich gegen Krieg, Unterdrückung und Terror richtet. Auch in der DDR war Steinitz‘ Werk eine wichtige Vorlage der Folk-Bewegung. Insbesondere die antimilitaristischen Lieder (wie König von Preußen, großer Potentat/Wie sind wir deines Dienstes so überdrüssig satt) standen dort im Konflikt mit der herrschenden Parteilinie.

Zu den weiteren Hinterlassenschaften Steinitz’ gehört auch ein wegen seiner leichten Verständlichkeit sehr beliebtes Lehrbuch der russischen Sprache sowie das von ihm mitbegründete Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. In seinem Buch Russische Lautlehre begründete er die später nach ihm benannte „Steinitzsche Transkription“ des kyrillischen Alphabetes, die in der DDR bis 1990 verwendet wurde und gegenüber der heute üblichen Duden-Transkription einige Vorteile aufwies. Ab 1952 begründete Steinitz das Marx-Engels-Wörterbuch, von dem 1963 ein Probeheft erschien. (Quelle: wikipedia)

Wahrlich ein bewegtes Leben.

Und dann gibt es noch das „Folk-Roots-Weltmusik-Festival“ in Rudolstadt:

Das TFF Rudolstadt, bis 2003 Tanz&FolkFest, 2005–2006 TFF.Rudolstadt, ist das größte Folk-Roots-Weltmusik-Festival Deutschlands. Es findet jährlich im thüringischen Rudolstadt am ersten vollständigen Juli-Wochenende von Donnerstag bis Sonntag statt. Zugleich ist das TFF eines der bedeutendsten und größten Folkfestivals Europas. Durchschnittlich kommen an diesem Wochenende über 70.000 Zuschauer, um über 100 Bands bei 250 Auftritten auf mehr als 20 Bühnen zu hören. Den Besucherrekord hält das Festival 2011 mit über 90.000 Gästen. Die Bühnen sind in der Altstadt, im benachbarten Heinepark und auf dem Gelände der Heidecksburg aufgebaut, die sich über der Stadt erhebt. Seit 1992 wird auf dem Festival der Folkförderpreis Ruth verliehen.

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Programmheft 2005

1955 wurde das „1. Fest des deutschen Volkstanzes“ in Rudolstadt ausgerichtet. Zum einen sollte damit der Sozialismus eine folkloristische Grundierung erhalten. Zum zweiten wurde damit die deutsche Einheit beschworen, ein Ziel, das die Ulbricht-Regierung zumindest rhetorisch in dieser Zeit noch verfolgte. Und schließlich sollte deutsche Tradition gegen „amerikanische Unkultur“, wie Rock’n’Roll und Jazz, gestellt werden. Rudolstadt empfahl sich – wie zunächst auch Wernigerode – durch seine Lage in der Mitte Deutschlands und durch die Altstadt mit darüberliegendem Schloss, die durch den Krieg nicht beschädigt wurde. Die gesamtdeutsche Ausrichtung des „Tanzfestes“ entfiel bei den folgenden Festivals, die alle zwei Jahre stattfanden. Stattdessen kamen Gruppen aus Osteuropa. Stilistisch änderte sich bis Ende der 1980er Jahre wenig: Es blieb bei traditioneller Folkloremusik und Tanzgruppen in Trachten.
TFF nach 1990

Das erste Festival 1991 hatte eine vollkommen neue Ausrichtung bekommen.[4] Nun sollte vor allem alternative Folk-Musik dominieren. Das Tanz- und Folkfest – als Fusion des alten Tanzfestes mit Folkmusik – verwirklichte nun quasi die gesamtdeutsche Idee, freilich ohne ideologischen Überbau. Rudolstadt bot dafür neben seiner wieder zentralen Lage nun auch Organisationserfahrung. Über 90 Gruppen und Solisten aus 22 Ländern kamen zu diesem 1. TFF.

In den Folgejahren bis Mitte der 1990er Jahre wuchs das Festival unaufhörlich. In den Grab.jpgvergangenen drei Jahren lagen die Besucherzahlen je nach Wetter durchschnittlich bei über 75.000. 2013 traten vom 4. Juli bis zum 8. Juli etwa 70 Bands auf mehr als 20 Bühnen auf, des Weiteren spielten rund 60 Gruppen und Solisten (Zahlen vom 4. Mai 2013) in den Altstadtgassen. Tanzen kann man im Alten Rathaus, im Stadthaus und im Tanzzelt im Heinepark (auf der rechten Seite der Saale), wo es auch ein Kinderfest zum Zugucken, Zuhören und Mitmachen gibt; zusätzlich finden Workshops und Vorträge statt. Teile des Festivals werden mittlerweile live oder zeitversetzt übertragen durch Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk, MDR Figaro, HR2, WDR 3 und Bayern 2 sowie weiteren europäischen Radiostationen. (Quelle: wikipedia)

Und im Jahre 2005 jährte sich der 100. Geburtstag von Wolfgang Steinitz. Und dies brachte die Veranstalter dieses Festivals auf die Idee, im Rahmen des Festivals ein Symposium mit dem Titel „“Die Entdeckung des sozialkritischen Liedes“ abzuhalten. Und damit nicht genug. Zudem veröffentlichte man als „limitierte Sonderedition“ eine CD, die Lieder der aus der Seinitz Sammlung „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“ enthielt …. dargeboten von diversen Interpreten der deutsch Folk-Szene.

Und diese CD kann man nun hier nachhören … Eine beeindruckende Sammlung die mehr als eindringlich zeigt, dass Volkslieder eben nicht nur von „Liebchen“ und von Brunnen vor der Toren handeln, sondern ganz nah dran sein können, an dem was die (meist unterdrückten) Menschen wirklich bewegt. Und: Die Lieder sind allesamt ganz hervorragend instrumentiert und arrangiert !

Diese CD kann einen aber auch fassungslos machen: Was es da noch alles zu entdecken gilt … und wer Lust hat (wie ich) auf solche musikalischen Entdeckungsreisen zu machen, der hat hier dann genug zu tun !

Und wer sich ein wenig vertiefter mit dem Lebenswerk von Wolfgang Steinitz beschäftigen will … ich habe 3 Artikel zum seinem Wirken dieser Präsentation beigelegt.

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Titel:
01. Kapelle Vorwärts: Auf, auf zum Kampf (1978) 1.03
02. Jakob Veith + Hans Dinant: Mein Vater ist Bergmann (2005) 3.46
03. Alfons Obry: O, ich armer Lothringer Bur (2005) 1.14
04. Folkländer: (Ei was hat es jetzt für) Schlimme Zeiten 1979) 4.39
05. Horch: Ich bin ein freier Bauernknecht (2005) 3.16
06. Karl-Heinz Weichert: Das Blutgericht (2005) 1.07
07. Landluper: Der unerbittliche Hauptmann (2005) 3.04
08. Moin: Wir haben im Felde gestanden (1978) 6.25
09. Hermann Hähnel: Kerkerlied (Im tiefen Kerker …) (2005) 1.48
10. Tom Kannmacher + Jürgen Schöntges: Ich hatte mich einmal den Preußen verschrieben (Der Deserteur) (1975) 2.49
11. Leipziger Folk Session Band: Die Festung von Landau (1998) 2.23
12. Horst Grimm + Mani Goetz: Der Herzog Karl von Braunschweig ist auch fortgejagt (2005) 2.47
13. Singspiel: Wo soll ich mich hinwenden + Flandern in Not (1976) 9.09
14. Tonschusser: Die schöne Bernauerin 2005) 5.03
15. Folkländer + Liederjan: Die Krähwinkler Landwehr (2001) 4.24
16. Die Wahrheit: Die Gedanken sind frei (1998) 2.38

Alle Lieder: Traditionals

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