Manfred Ludwig Sextett – Jazz mit Dorothy Ellison (1965)

FrontCover1Und nun eines der spannendsten Kapitel zum Themenkreis „Jazz in der DDR“:

Nach Auflösung des Orchesters Eberhard Weise schließen sich am 1. Januar 1962 sechs Musiker zu einer Band zusammen, die bald Jazz- Geschichte schreiben sollte:

Ernst-Ludwig Luten Petrowsky (ld, as) – Heinz Becker (tp) – Manfred Catcher Schulze (bars) – Siegfried Labrod (p) – Ulrich Türkowsky (b) Werner Bimbo Gasch (dr)

Binnen Jahresfrist zählt die Band zu den ersten Jazz- Adressen in der DDR. Ab Januar 1963 ist sie Gastgeber der Neujahrs- Jam Session im Görlitzer Schuppen und Kern der Modern Jazz Bigband unter Klaus Lenz. Wolf Hudalla kommt 1963 für Manfred Schulze. Nicht nur in der DDR, auch im Ausland zählt das Manfred-Ludwig-Sextett in den folgenden Jahren zu den gefragtesten Jazz-Formationen überhaupt.

Im Programmheft der Veranstaltungsreihe JAZZ IN DER KAMMER des Deutschen Theater Berlin vom 23. Januar 1967 ist zu lesen:

„Die Geschichte des Petrowsky-Quintetts beginnt eigentlich 1957 mit der Gründung der Eberhard-Weise-Bigband. Nach der Auflösung dieses namhaften Jazz-Orchesters im Jahre 1961 blieben nahezu alle Musiker dem Jazz weiterhin verbunden; vier von ihnen bildeten den Grundstock des 1962 gegründeten Manfred-Ludwig-Sextetts (der Name leitet sich aus den Vornamen der beiden Initiatoren Ernst-Ludwig Petrowsky und Manfred Schulze ab). Obwohl die Besetzung des Sextetts mehrfach wechselte, blieb erfreulicherweise die Qualität auf unvermindert hohem Niveau erhalten, was nicht zuletzt der glücklichen Hand Petrowskys zu verdanken ist.
Stilistisch hatte die Gruppe bald ihren Sound gefunden, der ihr internationale Beachtung verschaffte. 1963 und 1964 gab das Sextett jeweils dreimonatige Gastspiele in der CSSR, verbunden mit Funk- und Fernsehaufnahmen. Funkproduktionen beim Sender Dresden und beim Berliner Rundfunk, zwei AMIGA-Schallplatten sowie Jazz-Konzerte in allen Bezirken der DDR sind weitere Fakten auf der Erfolgsliste des Manfred-Ludwig-Sextetts. Während das Sextett neben Jazz-Konzerten auch Tanzabende bestritt, gründete Petrowsky 1966 eine band within the band, die in Quintett- bzw. Quartett- Besetzung ausschließlich mit Jazzmusik an die Öffentlichkeit tritt.
MLS2Über seine Musik sagt Ernst-Ludwig Petrowsky selbst, sie bewege sich innerhalb des modernen bop, allerdings in dem, der um Dolphy, Coleman, Shepp, Henderson weiß und gelegentlich auch einmal einen Ausflug in Bereiche des Free Jazz riskiert, jedoch nicht, ohne in die Mitte zurückzufinden.“
Das Manfred-Ludwig-Sextett gehört zu den wenigen Bands, denen in der DDR die Möglichkeit gegeben wurde, eine Jazz- Platte aufzunehmen. Die Platte Jazz mit Dorothy Ellison & dem Manfred-Ludwig- Sextett dürfte zu den wenigen gehören, die nicht im Playback-Verfahren, sondern im direkten Zusammenmusizieren von Sängerin und Band entstand und daher von besonderer Authentizität ist.

Was im Programmheft von Jazz in der Kammer schon anklingt, bestätigt sich: Ernst-Ludwig-Petrowsky wendet sich mehr und mehr dem Free Jazz zu, verläßt 1970 das Manfred-Ludwig-Sextett und beginnt seine erfolgreiche Solo-Karriere.
Für das Manfred-Ludwig-Sextett bedeutet der Ausstieg eine Zäsur. Das Fehlen des spiritus rector ist quasi das Ende des Jazz für die Band.
Sie spielt allerdings weiterhin auf höchstem Niveau und zählt bis 1990, dem Zeitpunkt ihrer Auflösung zu den Spitzen-Programm- und Show-Bands der DDR, unterwegs im In- und Ausland.

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Folgende weitere Spitzenmusiker spielten neben den schon genannten im Manfred-Ludwig-Sextett:

Herbert Rößner (tp) Klaus „Bulle“ Lenz (tp) Hermann Anders (tp) Conrad Bauer (tb, g) Max Tolsdorf (g) Siegfried Groß (p) Winfried Berger (p) Armin Baptist (p) Reinhard „Lucky“ Lakomy (p) Klaus Lübke (dr) Günter „Baby“ Sommer (dr) Manfred Schmidt (dr) (Quelle: Jazz in Görlitz)

Hier also diese famosen LP bei der man nur mit den Ohren schlackrn kann, wie souverän die Musiker aufgspielen. Nur schade, dass ich auf die Schnelle keine weiteren Informationen über die nicht minder famose Sängerin Dorothy Ellison auftreiben konnte.

Aufgenommen zwischen Mai und Dezember 1964 in den Amiga Studios, Am Reichstagsufer, Berlin (01. – 16.)
Aufgenommen am 16.12.63 in den Amiga Studios, Am Reichstagsufer, Berlin (17. – 20.)

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Personnel:
Heinz Becker (trumpet)
Wolf Hudalla (saxophone)
Siegfried Labrot (piano)
Ernst-Ludwig Petrowsky (saxophone)
Ulli Türkowsky (bass)
Wolfgang Winkler (drums)
+
Dorothy Ellison (vocals)
+
Werner Gasch (drums bei 17. – 20.)
Siegfried Groß (piano bei 17. – 20.)

Tracklist:
01. Take The A Train (Strayhorn) 2.04
02. Zwecke (Nicolai) 2.17
03. I Can’t Stop Loving You (Gibson) 2.49
04. Zdena (Petrowsky) 2.11
05. Georgia (Carmichael/Gorell) 2.55
06. Condor (Schumann) 2.53
07. Mister Sandman (Ballard) 2.22
08. Ruben (Petrowsky) 2:30
09. Hit The Road Jack (Charles) 2:03
10. Gral (Petrowsky)
11. They Say, It’s Wonderful (Berlin) 2.53
12. Zwielicht (Walther) 2.47
13. Blues In The Night (Arlen/Mercer) 2.30
14. E.W. als Gruß (Petrowsky) 2.31
15. Blueberry Hill (Stock/Rose/Lewis) 2.10
16. Eine Lappalie (Walther) 2.39
+
17. Desfinado (Jobim) 3.02
18. Skandinavia (Weise) 2.45
19. Take Five (Desnond) 2.31
20. Erinnerungen an Richard (Bergmann) 1.41

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Verschiedene Interpreten – Formation 60 – Modern Jazz From Eastern Germany AMIGA 1957-69 (1998)

FrontCover1.jpgEin nicht nur rarer, sondern vor allem sehr spannender Sampler ist dieses „Formation 60“ Album. Enthält es doch exemplarische Beispiele für den DDR-Jazz der Jahre 1957 – 1969, also aus jenen Jahren, in denen es gar nicht so einfach war, in der DDR Jazz zu fabrizieren.

„Seitens der DDR-Staatsführung wurde der Jazz aufgrund seiner US-amerikanischen Wurzeln immer skeptischer gesehen. Ende 1950 erhielt Heinz Kretzschmar mit seinem Tentett ein Berufsverbot, weil ihre Musikausübung kulturfeindlich wäre und die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.Karlheinz Drechsel wurde wegen seiner Vorliebe für den Jazz 1952 als Mitarbeiter des Rundfunks der DDR entlassen und konnte erst 1958 wieder Jazzsendungen gestalten. Der Gründer des Jazzkreises Leipzig, Reginald Rudorf, hielt gut besuchte Vorträge über Jazz ab, die auch die Kultur der USA beleuchteten. Doch sie wurden durch Störaktionen der Staatssicherheit unterbunden. Auch die Dresdner Interessengemeinschaft Jazz wurde 1957 im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den vom Regime als Spion verdächtigten Rudorf verboten“ (Quelle: wikipedia)

Umso mehr kann man sich daher an an diesem Album erfeuen, denn es lässt sich einfach feststellen, dass hier wirkliche Meister ihres Fachs am Werke waren. Auch heute noch klingen die Aufnahmen und Kompositionen überraschend facettenreich, vielfältig und enorm intensiv.

TobyFischelscher

Toby Fichelscher

So gesehen ist dieser Sampler ein ahrlich echtes Apptetithäppchen, um sich intensiver mit jenem Jazz hinter dem „eisernen Vorhang“ zu beschäftigen. Ein wahrlich lohnenswertes Thema !

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Uli Turkowski, Horst Kruger – Modern Jazz Big Band 65

Titel:
01. Manfred-Ludwig Sextett: Zwielicht (Walther) 2.47
02. Toby Fichelscher & Güntar Wilk: On Chano’s Track (Fichelscher) 3.11
03. Manfred-Ludwig Sextett: Skandinavia (Weise) 2.45
04. Michael Fritzen Quartett: Rien (Fritzen) 3.04
05. Orchester Klaus Lenz: Zottos (Gleichmann) 3.19
06. Volkmar Schmidt Combo: Episode (Schmidt) 5.04
07.  Manfred-Ludwig Sextett: Gral (Petrowsky) 2:28
08. Theo Schumann Combo: Karawane (Schumann) 2.34
09. Werner Pfüller Quintett: Good Bait (Bassie) 2.42
10. Modern Jazz Big Band 65: – Kleines Lied für Eric (Lenz) 4.28

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Booklet