Östro 430 – Weiber wie wir (1983)

FrontCover1Gelegentlich kann man lesen Östro 430 seien die erste weibliche Punkband in Deutschland … das ist natürlich Quatsch … ich würde sie eher als einen durchgeknallten Ausfluss der Neue Deutschen Welle bezeichnen.

Östro 430 ist eine vierköpfige Punk-Frauenband aus Düsseldorf. Sie formierte sich 1979 und löste sich 1984 auf. Obwohl sie sich selbst als Punkband sehen, werden sie auch der Neuen Deutschen Welle zugerechnet. Seit der Neugründung 2019 in neuer Besetzung ist die Band in Hamburg beheimatet.

Die Band wurde im Dezember 1979 von Martina Weith, Bettina Flörchinger, Marita Welling und Monika Kellermann gegründet. Knapp drei Wochen vor dem ersten Auftritt stieg Monika Kellermann aus und wurde durch Olivia Casali ersetzt.

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Am 3. Mai 1980 fand ihr erster Auftritt im Okie Dokie in Neuss statt, auf einem Festival das von dem Punk-Fanzine „Schmier“ veranstaltet wurde. Sie fielen der Band Fehlfarben auf, die sie als Vorgruppe für ihre Deutschland-Tournee engagierten. 1980 wurden drei Songs (Sexueller Notstand, Triebtäter und Too Cool) auf dem Schallmauer-Sampler veröffentlicht. 1981 folgte die erste EP Durch dick & dünn mit insgesamt 8 Songs (Das Quietschende Bett, Sechzehn, Sexueller Notstand, Plastikwelt, S-Bahn, Ich halt mich raus, Idi Otto, Zu cool). Wenige Monate nach Veröffentlichung der EP verließen zuerst Marita Welling und dann auch Olivia Casali die Band. Für sie kamen Gisela Hottenroth und Birgit Köster. 1983 wurde die LP Weiber wie wir veröffentlicht. Ende 1983 vervollständigte ein Gitarrist die Besetzung der Band, zu weiteren Veröffentlichungen kam es aber nach dem Zusammenbruch des kleinen unabhängigen Plattenlabels Schallmauer-Records nicht.

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Die Band gab am 25. Mai 1984 in der Freizeitstätte Garath in Düsseldorf ihr Abschiedskonzert und löste sich auf. Am 28. Mai 1999 gab es im Tor 3 in Düsseldorf ein Reunion-Konzert.

Martina Weith sang Anfang der 1990er Jahre auf Platten von Family 5, Prollhead und bei den Ärzten. Bettina Flörchinger wurde Gynäkologin. Olivia Casali wechselte Anfang 1982 zu Fehlfarben, beteiligte sich an Background-Gesang und übernahm den Bass bei einigen Stücken, neben Hans Maahn nachdem Bassist Michael Kemner zu Mau Mau gewechselt war. Auf der Single 14 Tage ist sie beteiligt mit Background-Gesang und Text des Songs Uuh Cherie. Nach der großen dreimonatigen Tour durch Deutschland/Österreich/Holland, kurz vor dem Rockpalast-Auftritt, verließ sie die Band und zog nach Italien. Seit 1989 lebt sie wieder in Düsseldorf und heißt jetzt Olivia Tawiah.

Thees Uhlmann coverte den Song der Band Ich halt mich raus und veröffentlichte ihn im September 2019 als Bonustrack zu seinem Albums Junkies und Scientologen.

Konzertplakat:
Konzertplakat

Im Zuge der Veröffentlichung der Best-of-Zusammenstellung „Keine Krise kann mich schocken“ im Mai 2020 auf Tapete Records hat sich die Band in neuer Besetzung wieder zusammengefunden. Im August 2021 gaben Östro 430 in Hamburg ihr erstes Konzert in neuer Besetzung. Von den Gründungsmitgliedern sind noch Martina Weith und Bettina Flörchinger mit dabei.
Stil
Die Musik der vier Studentinnen wurde trotz der ungewohnten Instrumentierung (keine Gitarre, E-Piano statt Synthesizer) vor allem wegen ihrer deutlichen und wütenden Texte oft zum Punk gezählt. Die Titel Sexueller Notstand und Triebtäter sind Beispiele für die Hauptthemen Sex, überholte Ansichten über Frauen und Spießertum. Ihren Musikstil charakterisierte die Band selbst als „einfach, aber grob“. (wikipedia)

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Die Frauen-Punkband Östro 430 gründet sich Ende 1979, ist aber schon im Jahr zuvor Stammgast bei Carmen Knoebel im Hof, wie Zeitzeugen den kreativen Umschlagplatz Ratinger Hof nennen. Sie hängen mit der Szene ab, aus der Bands wie ZK (für Zum Kotzen) und Mittagspause hervor gehen, die später Fehlfarben und Die Toten Hosen werden, weswegen Sängerin Martina Weith auch in Jürgen Teipels Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ als Protagonistin auftauchte, wo sie allerdings im Pulk der krakeelenden Männer sträflich unterging.

Leider ein Sinnbild für die kurze Karriere von Östro 430, die nur fünf Jahre andauert und zwei Alben hervorbringt: „Durch Dick Und Dünn“ (1981) und „Weiber Wie Wir“ (1983). Die komplette Zeit der Neuen Deutschen Welle waren sie also aktiv, aber für Songtexte, in denen Frauen explizit Sex einfordern („Sei Lieb“), war der Mainstream offensichtlich nicht zu sprechen und düste lieber im Sauseschritt auf irgend einem Himmelsritt.

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Die aktive Zeit von Östro 430 ist ein kurzer, aber stetiger Kampf mit der Definition von Weiblichkeit. Ein als typisch feminin angesehenes Verhalten lehnen sie ab. Frauen sind nicht nur weich, gefühlvoll oder gluckenhaft, sondern auch kampfeslustig, wollen abhängen, pöbeln, „Randale und Bier“. Muttersöhnchen und Malochern geht es in Östros Texten entsprechend an den Kragen.

Warum das halbe Land Anfang der 80er-Jahre Dienstags zuhause bleibt, erschließt sich nur TV-Historikern: Die Antwort lautet „Dallas“. Das wollen sich selbst die jungen Östros nicht entgehen lassen, alleine schon wegen J.R. Ewing. Gut 20 Jahre bevor Anajo sich Doldingers „Ein Fall Für Zwei“-Melodie vornahmen, spielen Östro 430 die beliebte „Dallas“-Melodie auf dem Keyboard nach.

Eine Attitüde, die die Musikerinnen im Hof aufgesogen haben. Hier durfte jeder alles. Also warum nicht auch ohne Männer auf die Bühne gehen? So etwas bringen eben nur „Weiber wie wir“ oder die britischen Slits, Anfang der 80er Jahre ist die Idee einer reinen Frauenpunkband bestenfalls exotisch.

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Campino von den Toten Hosen bestand darauf, die Liner Notes zu einer Wiedeerveröffentlichung verfassen zu dürfen und erzählt darin, wie er Koljah mit Östro-Songs konfrontierte und dieser sich begeistert von der Aktualität und dem betont lässigen anstatt dogmatisch vorgetragenen Feminismus der Texte zeigte. Die Songs seien voller Slogans, kämen heute noch cool rüber und bewegten sich jenseits jeglicher Biederkeit. Darauf Campino: „Ich wünschte, so ein Statement würde irgendwann einmal jemand über Die Toten Hosen abgeben.“ (Michael Schuh)

Das mag ja alles sein … dennoch: Punk ist das nicht und der auch hier schrille Sound der NDW ist mir bis heute nicht ganz geheuer … ihre Interpreation von Gelann Miller´s „In The Mood“ ist allerdings schon witzig.

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Besetzung:
Bettina „Ratty Betty“ Flörchinger (keyboards)
Gisela „Gila Gnom“ Hottenroth  (bass)
Birgit „Biggi Katzig“ Köster  (drums)
Martina „de Coco“ Weith (vocals. kazoo)
+
Jens Boesch (guitar bei 03.)
Ralf Schinke (guitar bei 07. + 08.)

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Titel:
01. Dallas (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 3.08
02. Vampir (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 3.22.
03. Sei lieb (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 3.04
04. Triebtäter (Welling/Casali/Flörchinger/Weith) 3.10
05. Normal (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 3.11
06. Sonntag (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith)  5:04
07. Keine Krise kann mich schocken (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 3.48
08. Mabel (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 2.26
09. Meerschweinchen (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 2.41
10. Randale und Bier (Flörchinger/Hottenroth/Köster/Weith) 1.43
11. In The Mood (Miller) 1.39

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Live 2022:
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