Friedrich Hagen – FKK zwischen Ostsee und Vogtland (1988)

TitelJetzt mal ein kleiner Reiseführer der ganz besonderen Art: „FKK zwischen Ostsee und Vogtland“ ein Bändchen, das innerhalb weniger Jahre (kurz vor der „Wende“) wegging wie warme Semmeln (oder Brötchen). In einem Artikel namens „Baden ohne“ von Siegfried Lokatis“ in der „Berliner Zeitung“ vom 21.07.2004 wird ein wenig ausführlicher über die Geschichte von Reiseführern in der DDR und insbesonders von „Nackedei-Reisebüchern“ berichtet:

Für die Zensurbegutachtung von Urlaubsbüchern war 1958 die „Abteilung Feriendienst und Kuren“ des FDGB zuständig. Dorthin wanderte auch das Manuskript „Zwischen Fichtelberg und Hiddensee“ von Lothar Kempe. Der FDGB-Gutachter tadelte, dass dieser im Urlaub nur „Lehrer, Techniker und Medizinalräte“ kennen gelernt habe. In den Erholungsheimen der Gewerkschaften erholten sich vielmehr in allererster Linie „die besten Arbeiter aus den Fabriken, Schächten und vom Lande“; deren „gewaltige Taten beim sozialistischen Aufbau“ berechtigten sie, den „ersten Platz in unserer Literatur einzunehmen“. Der Autor sollte auch einarbeiten, dass die Seebrücke in Heringsdorf „durch Agenten in Brand gesteckt und völlig vernichtet“ worden sei. „Ziel dieser Brandlegung war, den von der See kommenden Wind auszunutzen, um gleichzeitig mit der Seebrücke das größte Erholungsheim der Gewerkschaften in Heringsdorf ,Solidarität‘ mit in Brand zu stecken und Verwirrung und Unruhe unter den Urlaubern hervorzurufen.“

Durch diesen Einschub ließe sich „überzeugend darlegen, dass es den imperialistischen Kreisen nicht in ihre Rechnung passt, dass so viele Werktätige der DDR durch den FDGB 13 Tage Erholung für nur 30.- DM finden.“ „Die Drehorgeln spielen ,Die Zeit steht für ein himmelblaues Weilchen still‘.“ Diesen besinnlichen Satz hatte der Autor als eine Art Motto in die Einleitung geschrieben und damit einen schweren ideologischen Fehler begangen. Denn der FDGB-Urlauber sollte „nicht abschalten, sondern sich aktiv für das Zeitgeschehen interessieren“: „Es würde sicher in den Kram der imperialistischen Kreise passen, dass ein großer Teil der Menschheit während ihres Urlaubs die Zeit still stehen lässt.“

Nun, die Zeit bewegte sich. Neben dem kämpferischen FDGB-Ferienbetrieb etablierte sich eine weniger uniformierte Urlauber-Massenbewegung. Sechs Auflagen mit insgesamt 650 000 Exemplaren wurden in den 80er-Jahren von „Baden ohne“ verkauft, dem FKK-Führer „zwischen Mövenort und Talsperre Pöhl“, den Lutz Rackow unter dem Pseudonym Friedrich Hagen verfasste. Die Gutachter lobten einhellig diese unter „großer Mühewaltung“ recherchierte, so informative wie anschauliche Pionierleistung, die zunächst 46, in der späteren Fassung „Zwischen Ostsee und Vogtland“ sogar 72 Camping- und Badeplätze erfasste: ein „Motor“ der FKK-Bewegung! Die Publikation spreche „für die Weite und Ungezwungenheit sozialistischer Lebensweise in der DDR“,

Merkel

Frau Merkel (nicht textilfrei)

zumal „mit dem erforderlichen Feingefühl argumentiert“ werde. Allerdings müssten „politisch-ideologische und rechtliche Zusammenhänge zutreffend berücksichtigt“ werden. Es gehe nicht an, „die Entscheidungen der Staatsorgane in Sachen FKK, Umweltschutz, Dienstleistungen zu beurteilen oder gar zu schelten.“ Auch die ehrgeizige Absicht des Cheflektors des Tourist-Verlages, das Nacktbaden zu einer „Prinzipienfrage der marxistischen Weltanschauung oder des realen Sozialismus hoch zu stilisieren“ wurde zurückgewiesen.

Die kulturhistorischen FKK-Traditionen in der deutschen Arbeiterbewegung seien konkret bedingt und „weder allgemeine Verhaltensmuster“ gewesen noch „weltanschaulich fehlerfrei“. Die „Generaldirektion Reisebüro der DDR“ begrüßte besonders die praktischen Hinweise unter den Überschriften „An gemeinsamer Tafel“ und „Nackend um jeden Preis“, die sicher noch durch Themen wie „FKK im Alter“ oder „Die Wirkung von FKK auf das heranwachsende Kind“ ausgedehnt werden könnten. Die Generaldirektion lobte den Hauptzweck des Buches, „von den ohnehin schon überfüllten Stränden an der Ostseeküste auf näher liegende Möglichkeiten im Binnenland zu orientieren.“ Genau gegen diese Tendenz wehrten sich jedoch die „BAT“, die Bezirksausschüsse für Tourismus des Binnenlandes und versuchten das Erscheinen des Buches durch die HV Verlage verhindern zu lassen. Wozu gab es eine Zensurbehörde? Sie äußerten „ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Schaffung zusätzlichen Bedarfs an FKK-Stränden, wobei bereits jetzt nicht die materiell-technischen Voraussetzungen für die Befriedigung der Bedürfnisse gegeben“ seien. Die HV stellte sich jedoch hinter das Buch und genehmigte Riesenauflagen. Immerhin gelang es der Leipziger Polizei zu verhindern, dass die Kiesgrube Naunhof erwähnt wurde. Dort blockierten die parkenden Autos der Nacktbader auch ohne Touristenführer die Autobahn.“

Soweit zur Geschichte dieses Büchleins (108 Seiten)

Lutz Rackow alias Friedrich Hagen

Lutz Rackow alias Friedrich Hagen

Angesichts der weitverbreiteten Prüderie in der ehemaligen BRD hatte das Thema „FKK in der DDR“ für mich und andere schon seinen – ich gestehe es freimütig –  speziellen Reiz. Dass es im DDR Alltag nicht immer leicht war, diese Art von Urlaub zu realisieren zeigt ein ausführlicher Artikel (siehe Präsentation) von Rainer Knapp aus dem Online Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik „Kulturation“ aus dem Jahr 2009.

Zurück zu diesem Buch: Wirklich lesenswert sind die „kulturhistorischen“ Betrachtungen zu dem Thema, dem sich dann auch gesundheitliche Aspekte (Stichwort: UV-Strahlen) anschließen. Und dann folgen detaillierte Beschreibungen der einzelnen FKK-Möglichkeiten in der DDR … Wahrlich eine Fleißarbeit !

Und hätte ich die Zeit, würde ich gerne all die Orte abfahren, um zu sehen, was aus diesen Bademöglichkeiten mittlerweile geworden ist. Die Zeit habe ich aber nicht und deshalb verweise ich auf dieses Buch: Auf das es Anregungen der unterschiedlichsten Art gebe … gewidmet all den werktätigen Menschen der damaligen Zeit.

 

Und wie üblich bei Publikationen, die ich hier präsentiere ein paar Beispiele aus diesem Buch:

 

Beispiel01

Beispiel02

Beispiel03

Beispiel05

Beispiel04

Beispiel06

Beispiel07

Beispiel10

Beispiel08

Beispiel09

Beispiel11

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Auszug aus dem Buch (Seite 14)