Verschiedene Interpreten – Schlesische Weihnachten (Ignaz Reimann) (1977)

frontcover1Ich habe es ja schon öfters erwähnt: Mein Vater stammt aus Schlesien und die Pflege schlesischer Traditionen waren ihm als Heimatvertriebener stets von größer Wichtigkeit. Und er war da ja nicht allein damit. Und so entwickelte sich im Nachkriegsdeutschland ein breitgefächertes Spektrum an diversen Materialien zum Thema „Schlesien“.

Diese LP ist Teil dieser Tradition und sie behandelt ein ganz besonderes Kleinod schlesischer Musik: Die Wünschelburger Christnacht, komponiert von Iganz Reimann:

Ignaz Reimann stammte aus bescheidenen Verhältnissen; sein Vater war Gastwirt und Musiker im schlesischen Marienwallfahrtsort Albendorf. Von ihm erhielt er den ersten Musikunterricht. Der Schullehrer und Kantor Florian Nentwig (1774-1841) wurde auf das musikalische Talent aufmerksam und bildete ihn im Orgelspiel aus. Im Alter von 10 Jahren beherrschte er das Orgelspiel und vertrat seinen Lehrer an der Orgel der heimatlichen Wallfahrtskirche in Albendorf und mit 12 Jahren soll er alle Instrumente des Kirchenorchesters beherrscht haben.

Durch Nentwig vorbereitet, trat er eine Stelle als stellvertretenden Lehrer in Oltaschin, einem Dorf bei Breslau, an. Fünf Monate später trat er in das katholische Schullehrerseminar in Breslau ein, das er von 1838 bis 1841 besuchte. Dort kam er mit der von Joseph Ignaz Schnabel gegründeten Breslauer Schule in Berührung. Der Seminar-Musikdirektor und Domkapellmeister Karl Schnabel (1809-1881), ein Neffe Joseph Ignaz Schnabels, erkannte Reimanns großes Talent und machte ihn zum Oberregens am Seminar.

ignazreimann

Ignaz Reimann

1842 kam er als Lehrergehilfe nach Niederhannsdorf bei Glatz zu dem hochmusikalischen Kantor und Schulmeister Klesse. Im Jahr 1843 holte ihn der Schulmeister und Kantor Joseph Seidelmann an seine Schule in Rengersdorf in der Grafschaft Glatz. Nach Seidelmanns Tod im Jahr 1852 übernahm Reimann dessen Doppelamt als Schulleiter und Kantor. Für Reimann begann eine überaus fruchtbare musikalische Schaffenszeit. Er schrieb eingängige, volkstümlich-innig geprägte Kompositionen für die im wesentlichen von Laien gepflegte Kirchenmusik in Schlesien und in den benachbarten Ländern. Zu dieser Zeit wurde Rengersdorf zum Schulungsort für angehende Kantoren, Organisten und Pädagogen.

Nach der Genesung von einem Nervenfieber, das ihn ein Vierteljahr ans Bett fesselte, war Reimann schwerhörig geworden. Im Jahre 1884 erlitt Reimann einen Schlaganfall, aufgrunddessen er nach 45 Jahren um seine Versetzung in den Ruhestand ersuchte. Diesem Ansinnen wurde zum 1. Juli 1885 entsprochen. 14 Tage vor diesem Termin veranstaltete die Gemeinde Rengersdorf ihm zu Ehren eine Abschiedsfeier, zu der sich viele ehemalige Schüler, Kollegen und Freunde versammelten. Seinen Plan, den Ruhestand in Muße zu verbringen, durchkreuzte schon 3 Tage später ein zweiter, tödlicher Schlaganfall. Er verstarb am 17. Juni 1885 und wurde in Rengersdorf bestattet. Seine Grabplatte ist im Kreuzgang der Rengersdorfer Pfarrkirche erhalten geblieben.

booklet01aIgnaz Reimann verkörpert in idealer Weise den Typus des im volkstümlichen Stil komponierenden Lehrer-Kantors in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Reimann schrieb vornehmlich vokale Kirchenmusik in Form von einfachsten liturgischen Gebrauchsstücken bis hin zu groß besetzten Orchestermessen. Von seinen zahlreichen, größtenteils ungedruckten Messen gehörten die Pastoralmessen in seiner schlesischen Heimat zu den meist gesungenen. Sie erfreuen sich seit Jahren – nun im gesamten deutschsprachigen Raum – großer Beliebtheit.

Reimanns bekannteste Messe ist die Pastoralmesse in C-Dur, auch Christkindlmesse genannt. Zusammen mit dem Lied „Stille Nacht“ von Robert Führer und dem „Transeamus“ von Joseph Schnabel wurde sie in Wünschelburg, Grafschaft Glatz, am Heiligen Abend gesungen. Von Wünschelburg ausgehend entstand unter dem Begriff „Wünschelburger Christnacht“ eine musikalische Tradition, die in vielen Teilen Schlesiens gepflegt wurde. (Quelle: gemeinden.erzbistum-koeln.de)

Angesichts dieses geschundenen Lebens ist man umso mehr erstaunt, welch imponierendes und beeindruckendes Weihnachtskonzert dieser Ignaz Reimann komponiert hat.

An mir ist dieses Album damals vorbeigegangen, weil ich schon längst nicht mehr im elterlichen Heim lebte … umso mehr habe ich mich jetzt gefreut, dieses Album aus den familiären Beständen weihnachtlicher Musik wieder entdeckt zu haben.

Herausgegeben wurde das Album von der Heimatgemeinschaft Wünschelburg e.V., die ihren Sitz damals in Anröchte/Westfalen hatte. Wenn ich das recht überblicke, gibt es diese Heimatgemeinschaft nicht mehr.

Aufgenommen wurde die LP in der Markus-Kirche in Porz-Eil (ein Stadtteil im Südosten von Köln).

Besonders bemerkenswert ist dann noch die kleine Beigabe, ein vierseitiges DIN A 4 Heftchen mit einem Weihnachtsmärchen das „Der Fremde“ heißt … viel passender geht das nicht in diesen Zeiten …

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Besetzung:
Karl-Josef Heppekausen (Bass)
Alfons Jonen (Tenor)
Hildegard Jonen (Alt)
Rosemarie Niemann (Sopran)
+
Kirchenchor und Streichorchester St. Bartholomäus, Urbach/Elsdorf
+
Peter Wieners (Orgel)

Gesamtleitung: Kantor Helmut Zehnpfennig

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Titel:
01. Stille Nacht op. 162 Sophran-Solo, Chor und Orgel (Führer) 6.57
02. Pastoral-Messe in C-Dur, op. 110 (Reimann) 14.51
02.a. Kyrie
02. b. Gloria c. Credo
03. Transeamus Baß-Solo, Chor und Orchester (Schnabel) 4.05
04. Pastoral-Messe in C-Dur, op. 110 (Reimann) 9.45
04.a. Sanctus
04.b. Benedictus
04.c. Agnus Dei
05. Ich steh’ an deiner Krippe hier Choralsatz (Bach) 3.30

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