Kalle (Karlheinz Freynik) – Ich bin ein Deutscher ! (1966)

FrontCover1Also, erstmal stolpert man vermutlich über den markant-knackigen Titel dieser LP und dann noch auf Star-Club Records (der damaligen musikalischen Verheißung für paradiesische Zustände ala Rattles & Co. schlecxhthin) veröffentlich ! Unerhört !

Aber der Reihe nach:

Der Kalle hieß eigentlich Karhein Freynick, Kam im Juli 1946 in Hamburg zur Welt. Das Gymnasium hat er dann irgendwann geschmissen und beschloss die Welt zu erkunden. Er trampte durch England, Frankreich, Österreich, Italien, Dänemark, Schweden und Finnland. Damals war er vermutlich der Inbriff des „Gammlers“, zumal er sich seinen Lebensunterhalt als Straßenmusiker mit dem Absingen von Bob Dylan Songs verdiente. Bob Dylan wurde ihm dann suspekt, als dieser zur elektrischen Gitarre griff (mir war das nur recht … ) und so findet sich auf diesem Album auch eine Art Spottlied auf Dylan („Falling Stones“ basierend auf der Melodie von „Like A Rolling Stone“).

Überhaupt: kaum ein deutscher Liedermacher der damaligen Zeit hat das Unbehagen einer ganzen Generation so bissig, klar und unmissverständlich auf den Punkt gebracht, wie eben Kalle. Von daher wundert es ein wenig, dass er im deutschen Protest-Bewußtsein doch eher unter ferner liefen. An den Texten kann das nicht liegen. Sein Titelsong ist einfach nur gut … und dann geht´s Schlag auf Schlag: Den Klassiker „Universal Soldier“ sang er auf deutsch (den Text verfasste Max Colpet, der auch schon die deutsche Fassung von „Where Have All The Flowers Gone“ schrieb). Einmal durchlesen kann nicht schaden:

Er ist klein und schwach, er ist groß und stark;
Er kämpft mit Bomben, Colt und Speer,
Ist ein Kerl, ein Supermann, ist blutjung, fast noch ein Twen
Und Soldat seit tausend Jahren und mehr.
Er ist Muselmann, ist Hindu, Buddhist und Atheist,
Ist Jude, Katholik und Protestant.
Und es heißt: Du sollst nicht töten!
In der Bibel, im Koran.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?
Er kämpft für USA und Vietnam,
Für Kuba, Pakistan, er geht als Söldner in das fernste Land;
Kämpft für China und Formosa, für Franco und de Gaulle.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?

Und er kämpft so für den Westen, für den Osten unentwegt;
Es liegt allein in seiner Hand, ob man Länder ausradiert,
Ob ein ganzes Volk krepiert.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?
Ohne ihn hätt‘ Hitler niemals halb Europa unterjocht.
Und Nero hätte niemals Rom verbrannt.
Er alleine muß bezahlen mit dem letzten Tropfen Blut.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?
Er wird ewig ein Soldat sein, und der Krieg wird weitergehn,
Bis zum Tag, wo alle Waffen man verbannt,
Und keiner ihm, wie gestern und auch heut‘,
Sand in die Augen streut und er dann endlich
Die Schrift sieht an der Wand!

Man ist schon ein wenig erstaunt mit welcher Klarheit der damals 20jährige die Dinge auf den Punkt brachte … auch in all den weiteren Songs, die zumeist aus seiner Feder stammten. Sein „Das habe ich heute dazugelernt“ erinnert natürlich ein wenig an „What Did We Learn In School Today“. Und nun ja, und mit Bob Dylan hat er sich dann auch wieder irgendwie versöhnt, denn am Ende ertönen flotte Versionen von „With God Our Side“ und „Mr. Tambourine Man“.

Bemerkenswert auch der Cover-Text von Siegfried Schmidt-Joos. Selten habe ich einen Covertext gewissenhafteren Text, der zugleich sehr geschmeidig ist, für eine Platte dieser Art gelesen:

CoverText

Nach diesem Debütalbum war dann Schluß mit der akiven musikalischen Karriere, aber er bleib em Musikgeschäft noch viele, viele Jahre verbunden, auch wenn er ab ca. 1968 seine Brötchen vorwiegend als Produzent & Drehbuchautor für Film & Fernsehen verdiente.

Aber da waren ja noch Aktivitäten wie:

  • Mitglied der City-Preachers (bei der 1. Inga Rumpf Solo-Single aus dem Jahr 1965 war er auch schon beteiligt)
  • das deutsche Libretto zu ‚Hair‘ geschrieben
  • Scheißhausrecords gegründet
  • die erste Can-LP  herausgebracht
  • Einen Prozess gegen Abi Ofarim geführt wg. der Rechte, etc.pp.)

KalleHeuteUnd vieles mehr (siehe die beigelegte Kurzbiographie).

Und im Jahr 2012 wirkte er bei einer Jimi Hendrix Ausstellung in Berlin mir.

Und dann noch sein Buch „Mein Pech war, dass ich so viel Glück hatte“ (erschienen 2012)  über das man dann lesen kann:

Ein biografischer Roman über den suchtkranken Schauspieler Karl Maslo. Ein hartes Buch, geschrieben von einem, dem es ähnlich ging. Kalle Freynik war, wie Maslo, viele Jahre drogenabhängig und beschreibt deshalb mit schmerzhafter Nähe das Leben am Abgrund.
Dass dieses Buch dennoch ein Rock’n’Roll-Roman voller swingender Heiterkeit ist, liegt wahrscheinlich an der unbeschreiblichen Freuder beider Protagonisten, überhaupt noch am Leben zu sein!
(Ein Rowohlt-Paperback der Kategorie: „unbedingt lesen!“)

Und mit seiner Frau Hildburg hat er die Firma „Sparta Film“ gegründet …

Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, ich hätte diesen Eintrag auch „Ein deutsches Leben“ beginnen können …

Aber, das wichtigste zuletzt: Es ist wieder mal Mr. Jancy aus dem schönen Hessenland zu verdanken, dass ich hier diese nun wirklich mehr als rare Scheibe präsentieren kann. Eine Leihgabe der ganz besonderen Art. Vielen Dank !

BackCover1

Besetzung
Karlheinz „Kalle“ Freynik (vocals, guitar, harmonica)
+
und ein kleiner Haufen unbekannter Studiomusiker

CityPreachers

mit Inga Rumpf von den City Preachers

Titel:
01. Ich bin ein Deutscher  (Freynick) 3.03
02. Der ewige Soldat (Sainte-Marie/Colplet) 2.28
03. Wiegenlied (Freynick) 2.56
04. Lucky Man (Freynick) 3.04
05. Das hab‘ ich heut dazugelernt (Freynick) 1.43
06. Falling Stones (Freynick/Dylan) 4.27
07. Riding On The Sun (Freynick) 2.54
08. Die Lage war noch nie so ernst (Freynick) 3.50
09 . With God Our Side (Dylan) 5.42
10. Mr. Tambourine Man (Dylan) 4.30

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