Christiane Rösinger – Liebe wird oft überbewertet (2012)

FrontCover1Dass ist so ein Hörbuch, bei dem ich ständig einerseits  … andererseits murmeln musste:

Christiane Rösinger war Gründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands Lassie Singers und Britta. In den 90er Jahren war sie eine der Betreiberinnen der legendären Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof. Neben ihrer Arbeit als Musikerin schreibt sie Kolumnen und andere Beiträge für verschiedene Zeitungen und Magazine, darunter taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Im Jahr 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, „Das schöne Leben“. Seit 2008 schreibt und spricht sie die wöchentliche Kolumne „Aus dem Leben der Lo-fi-Boheme für den österreichischen Radiosender fm4. (Selbstdarstellung)

Oder:

Christiane Rösinger wuchs in Hügelsheim bei Rastatt auf und zog 1985 nach West-Berlin, wo sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studierte und als Hilfskraft am Peter-Szondi-Institut arbeitete. Dort bewegte sie sich Mitte der 1980er Jahre im Umfeld des Fischbüros. 1988 gründete sie zusammen mit Almut Klotz und Funny van Dannen die Band Lassie Singers, die sich 1998 auflöste. 1998 gründete sie ebenfalls mit Almut Klotz das Label Flittchen Records. Seit 1998 ist Christiane Rösinger der Kopf der Band Britta, die sie zusammen mit Britta Neander und Julie Miess gründete. Daneben schreibt sie für verschiedene Zeitungen (u. a. taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, „Berliner Seiten“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) vor allem über Themen, die mit Popmusik und Popkultur in Verbindung stehen.

LassieSingers

Die Lassie Singers

Im März 2008 erschien ihr erstes Buch, „Das schöne Leben“, in dem sie in kurzen autobiografischen Texten vom Leben auf dem Dorf und vom Leben in der Stadt erzählt. Seit August 2008 schreibt sie eine wöchentliche Kolumne für den österreichischen Radiosender fm4. Im Oktober 2010 veröffentlichte Rösinger ihr erstes Soloalbum „Songs Of L. And Hate“, auf dem Andreas Spechtl von Ja, Panik für die Arrangements verantwortlich zeichnet. Diesem folgte 2017 „Lieder ohne Leiden“, auf dem sie abermals mit Spechtl zusammenarbeitet (Instrumentierung und Gesang). Ihre Tochter singt dabei im Background. Thematisch dreht sich das Album um das Altern, was der Song „Joy Of Ageing“ bündelt. Dort reihen sich zudem collagenartig Zitate von Bertolt Brecht, The Smiths oder der Münchener Band Schwermut Forest.

In den 1990er Jahren betrieb Rösinger die wöchentliche Veranstaltungsreihe Flittchenbar in der Maria am Ostbahnhof. Seit Dezember 2010 veranstaltet sie diese musikalische Themen-Gala monatlich im Kreuzberger Südblock. 2016 war sie bei dem Fussical „Der Spielmacher“ im HAU Berlin beteiligt. Für das Stück „Feminista Baby“ – Premiere 2017 im Deutschen Theater – schrieb sie die Musik und spielte auch mit. Im Herbst 2019 hatte ihr erstes Musical Stadt unter Einfluss Premiere im Hebbel am Ufer. Für das wohnungspolitische Musical schrieb sie den Text und die Songs, führte Regie und spielte selbst mit. (wikipedia)

Britta

Britta

Die Aversion gegen die traute Zweisamkeit hat bei Christiane Rösinger eine lange Tradition. Klar, dass da „Die Pärchenlüge“, ein Titel der Lassie Singers aus dem Jahr 1991, auf dem Hörbuch nicht fehlen darf:

„Pärchen stinken, Pärchen lügen, Pärchen winken und fahren nach Rügen, Cocktails trinken, Kartoffelchips essen, Händchen halten und die Freunde vergessen. Pärchen verpisst Euch, keiner vermisst Euch.“

Christiane Rösinger ist eine Berliner Institution, sie steht für die Ausgeh- und Subkulturboheme der 80er- und 90er-Jahre, als Kreuzberg und Mitte noch keine easyJet und Schicki-Micki-Viertel waren, sondern kreative Spielplätze. Jeder konnte machen, was er wollte, auch singen, ohne singen zu können. Die Lassie Singers, die sich Ende der 90er-Jahre auflösten, werden heute noch von vielen verehrt, vor allem wegen ihrer sarkastisch-ironisch-melancholischen Texte:

Booklet02A„Überflüssige Liebeslieder, falsch und schlecht und laut, tun so als wäre das Leben auf der Sehnsuchtsebene aufgebaut. Und das stimmt nicht. Das ist ganz falsch. Denn Liebe wird oft überbewertet …“

Es ist dann fast ein wenig zu selbstreferenziell, wenn Christiane Rösinger im Jahr 2012 ihr zweites Buch „Liebe wird oft überbewertet“ nennt. Und entlarvend: Eigentlich ist mit diesem Titel und der „Pärchenlüge“ schon alles gesagt zum Thema Liebe in westlichen Industriegesellschaften. Die 200 Seiten Text hätte es da gar nicht mehr gebraucht. Als Paarforscherin und Kritikerin zieht sie darin gegen die vorherrschende Beziehungsnorm zu Felde:

„Eines steht aber ohne Zweifel fest: Das Pärchentum bringt immer die schlechtesten Eigenschaften des Einzelnen nach oben und produziert deshalb am laufenden Band unglückliche Paare, die wie geprügelte Hunde nebeneinander durchs Leben schleichen. Trauerumflorte Gestalten, die man nur in wenigen Augenblicken, wenn der Partner nicht da ist, kurz und heimlich aufatmen sieht. – Ihr lacht, aber es ist sehr traurig.“

Ihr Buch ist unterhaltsam – aber streckenweise gleicht es auch einer akademischen Fleißaufgabe, wenn sie den Mythos der Paarbeziehung dekonstruiert, vom Anbeginn der Menschheit bis heute:

Booklet02B„Wir müssen weiter im Schweinsgalopp durch die Wissenschaften, wir müssen noch ein bisschen die Naturwissenschaften abhandeln und dann wird’s auch ein bisschen menschlicher.“

Das Hörbuch, ein Mitschnitt einer Lesung von der lit.COLOGNE im März diesen Jahres, ist der Textfassung überlegen, weil deutlich kurzweiliger. Zum einen wegen der Songs, die Christiane Rösinger einstreut. Und wegen der Art, wie sie Auszüge aus dem Buch liest und kommentiert:

„Ja, es tut mir leid, ich merke, hier ist so eine Betroffenheit, es ist schon hart, wenn einem alle Illusionen genommen werden. Aber einer muss es machen, es tut mir leid, das bin halt ich. Als Paarkritikerin kriegt man nicht viel Beifall.

ChristianeRösinger01Auch die nächste Geschichte ist nicht gerade lustig, aber es ist halt so. Ihr könnt Euch ja am Wochenende noch mal so eine romantische Komödie ankucken. Die nächste Geschichte heißt Pärchen in Hotels.“

Und die ist natürlich wieder zutiefst deprimierend. Mit ihrer Kernthese hat Christiane Rösinger ja nicht unrecht: Wer alleine lebt, wird bemitleidet, von denen, die zu zweit leben, auch wenn deren Liebe schon lange Vergangenheit ist.

„Vielleicht sind einige unter Euch, die sagen: Was will die eigentlich, Singles sind doch total akzeptiert! In unserer Gesellschaft kann doch jeder leben, wie er will. Wenn es jetzt so wäre, warum gibt es dann so wahnsinnig viele Beziehungsratgeber, die uns allen zeigen wollen, wie man den Weg zum Paar findet? Es ist eine Pärchen zentrierte Weltsicht. Und Singles sind natürlich überhaupt keine akzeptierte Erscheinung. Und ich habe mich in das Herz der Finsternis begeben und habe ungefähr 100 Beziehungsratgeber gelesen. Und durchgearbeitet.“

Eine enorme Leistung, um die man sie nicht beneidet, aus der sie dann aber doch wieder Hoffnung schöpfen kann. Denn letztlich ist alles Mühen umsonst, das ist ein wenig überraschendes Fazit dieser schönen, bunten und manchmal auch wahrhaftigen Leseshow: Dauerhafte Zweisamkeit ist eine Illusion. Liebe und unerfüllte Sehnsucht sind nur dazu da, überwunden und verarbeitet zu werden – im besten Fall zu Stücken, wie denen von Christiane Rösinger.

ChristianeRösinger02„Bist Du einmal einsam und allein, gewöhn Dich dran, es wird bald immer so sein. Und bist Du mal verzagt und findest keine ruh, dann kommt bestimmt ein Unglück noch mit dazu.

Und triffst Du einen Menschen, der Dich versteht, der Dir gefällt, dann wart’s nur ab, wie lang er wirklich zu Dir hält.

Es ist alles so sinnlos, das hält ja gar kein Mensch mehr aus, da muss man sich doch einfach hinlegen, oder man steht erst gar nicht auf.

Sinnlos, sinnlos, so sinnlos. Sinnlos, ohne Sinn. “

Applaus

„Vielen Dank!“ (Georg Gruber)

Tja: einerseits ein geistreiches Unterfangen, das viel Quellenstudium vorausgesetzt haben muss, ein Unterfangen, bei dem so manch wahres enthält …

andererseits irgendwie zu verbissen, bemüht, zuweilen ein wenig verbiestert und spröde vorgetragen, aber vielleicht ist das auch ne Frage der Mentalität … vielleicht rührt meine Skepsis auch daher, dass für mich die Liebe eben kein überflüssiger Quatsch istdass ich vielleicht auch einen dieser „hoffnunglosen Romantiker“ bin …

Empfehlen mag ich das Hörbuch dennoch, einerseits weil es dennoch irgendwie anregend ist, andererseits weil die musikalischen Zwischenspiele schon sehr interessant und zuweilen auch noch pfiffig sind … einerseits  … andererseits …

WahreLiebe

So muss wohl wahre Liebe aussehen.

Besetzung:
Claudia Fierke (guitar, vocals)
Stefan Pabst (drums, percusion, melodica)
Christiane Rösinger (vocals)
Andreas Spechtl (piano)

Booklet01ATitel:
01. Begrüßung (Rösinger)  0.59
02. Paarideologie – Das Paar als Lebensform (Rösinger) 3.27
03. Die Pärchenlüge (Rösinger/Hermann/Fitzner/Weiß/Klotz) 2.30
04. Knut und die RZB (Rösinger) 3.21
05. Psychologische Liebestheorien (Rösinger) 5.14
06. Ich muss immer an Dich denken (Rösinger/Spechtl) 2.13
07. Liebe als Chemie (Rösinger) 3.55
08. Mein zukünftiger Ex-Freund (Rösinger/Klotz/Hermann/Fitzner) 4.16
09. Petra der Trauerschwan oder Ich glaub, ich hab ein Faible für Idioten (Rösinger) 7.36
10. Ich glaub ich hab ein Faible für Idioten (Rösinger) 3.38
11. Der Mythos von der Liebe – wer ist schuld (Rösinger) 6.18
12. I’m Sticking With You (Reed) 2.15
13. Die Liebe macht Menschen zu Idioten (Rösinger) 6.35
14. L**** (Rösinger/Miess/Wagner/Neander) 2.48
15. Dekonstruktion berühmter Liebespaare (Rösinger) 7.13
16. Pärchen in Hotels (Rösinger) 4.51
17. Fragen (Rösinger/Miess/Wagner/Neander) 3.54
18. Ein Singlebuch kommt selten allein (Rösinger) 9.43
19. Die Liebe wird oft überbewertet (Rösinger) 3.33
20. Sinnlos (Rösinger/Spechtl) 3.43

CD1

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