Wenn der nachfolgende Text etwas lang geraten ist, dann hat das auch seinen Grund. Denn Martin Böttcher ist eigentlich ein ganz Großer:
Martin Hermann Böttcher (* 17. Juni 1927 in Berlin; † 20. April 2019 in Westerrönfeld – Pseudonyme Michael Thomas, Renardo) ist ein deutscher Filmkomponist, Dirigent und Arrangeur.
Martin Böttcher ist Urenkel eines Weimarer Hofkapellmeisters und erwarb schon früh durch Klavierunterricht musikalische Kenntnisse. Zunächst wollte er indes Pilot werden. Knapp siebzehn Jahre alt, wurde er im Krieg bei der Luftwaffe ausgebildet. Zu einem Einsatz kam es aber aus Mangel an Treibstoff nicht mehr. Während der Kriegsgefangenschaft gelang es Böttcher, eine Gitarre zu organisieren und autodidaktisch das Gitarrenspiel zu erlernen. Wegen eines Unfalls mit Schädelbasisbruch und Gehörnerv-Quetschung ist Martin Böttcher auf dem linken Ohr taub.
Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft führte ihn der Weg nach Hamburg. Dort spielte Martin Böttcher Gitarre unter Alfred Hause und Franz Thon im von Willi Steiner neu formierten Tanz- und Unterhaltungsorchester des damaligen Nordwestdeutschen
Rundfunks, das selbst im Big-Band-verwöhnten England mit Hochachtung erwähnt wurde. Nebenbei eignete sich Böttcher sein musikalisches Rüstzeug bei Generalmusikdirektor Richard Richter und auf dem Gebiet der U-Musik bei Kurt Wege an. Auch spielte er in den kleinen Besetzungen von Kurt Wege und Günter Fuhlisch, bei Benny de Weille und Helmut Zacharias.
Seine bevorzugte Musikgattung war zunächst der Jazz, wo es Martin Böttcher schaffte, als Gitarrist zur Nummer 2 beim deutschen Jazz-Poll aufzusteigen. Schon in dieser Zeit sammelte er Erfahrungen als Arrangeur bei Filmkomponisten wie Michael Jary oder Hans-Martin Majewski, für den er Teile der Musik zum Film „Liebe 47“ arrangierte.
Bereits ab 1946 schrieb Böttcher Arrangements. 1954 nahm er Abschied vom NWDR und wechselte vom Notenpult zum Skizzenpapier. Dank Produzent Artur Brauner debütierte Böttcher 1955 mit der Musik zur Militärsatire Der Hauptmann und sein Held. Seine zweite Filmmusik schrieb er zu einem Meilenstein des deutschen Films der Nachkriegszeit: „Die Halbstarken“ (1956) von Georg Tressler, in der Hauptrolle Horst Buchholz. Es spielte seine eigens hierfür gegründete Formation Mister Martin’s Band, in der Musiker wie der Klarinettist Fatty George, der Vibraphonist Bill Grah, der Posaunist Ernst Mosch und, noch als Hans Last, der Bassist James Last mitwirkten.
Für Hans Albers schrieb Martin Böttcher drei Lieder in „13 kleine Esel und der Sonnenhof“ (1958), ebenso die Musik für Heinz Rühmanns „Pater Brown“-Filme „Das schwarze Schaf“ und „Er kann’s nicht lassen“. In „Max, der Taschendieb“ fand die zuvor unter dem Pseudonym Michael Thomas geschriebene und nach kurzer Zeit weltberühmt gewordene Melodie „Hawaii Tattoo“ Verwendung, die später auch in die amerikanischen „Billboard-Charts“ aufstieg.
Daneben schrieb Böttcher Chansons für Françoise Hardy, Romy Schneider, Peggy March, Elisabeth Flickenschildt und andere. Am 6. Februar 1960 nahm Martin Böttcher an der deutschen Endausscheidung zum Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne mit dem Titel „Oh, wie schön“ teil. Den Titel sang der belgische Entertainer Tony Sandler, der später in Las Vegas Karriere machte. Das Lied schlug sich achtbar auf einem vorderen Platz, es gewann allerdings „Bonne nuit, ma cherie“ von Wyn Hoop vor „Wir wollen niemals auseinandergehn“ von Heidi Brühl. Der Titel von Wyn Hoop wurde dann im eigentlichen Grand Prix Eurovision Vierter.
1967 produzierte Oswalt Kolle den ersten Aufklärungsfilm „Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe“ in Deutschland. Martin Böttcher wurde mit der Komposition der Musikuntermalung beauftragt. Die Titel lehnte dann der wissenschaftliche Berater des Films, der Sexualforscher Prof. Hans Giese, als „nicht unterkühlt genug“ ab (er befürchtete, dass sich das männliche Publikum zu unzüchtigen Handlungen hinreißen lassen könnte…). Die Musik ging aber nicht verloren. Kolle verwendete sie als Hintergrundmusik für seine Hörplatte „Das Wunder der Liebe“, und das Titelthema Wonderland of Love wurde ein oft verwendeter Titel auf Sampler-Platten von Martin Böttcher.
Anfang der sechziger Jahre beauftragte Rialto Film-Chef Horst Wendlandt den Komponisten mit Filmmusiken für seine Edgar-Wallace-Reihe. Mit seiner Musik für die ebenfalls zu jener Zeit von Rialto Film produzierten Karl-May-Verfilmungen avancierte Martin Böttcher in den sechziger Jahren zum erfolgreichsten deutschen Filmkomponisten. Das Titelthema zum Karl-May-Film „Der Schatz im Silbersee“ – die „Old-Shatterhand-Melodie“ – führte 1962 siebzehn Wochen lang die Charts in Deutschland an und wurde mehr als 100.000-mal verkauft, ein Novum in der deutschen Musikgeschichte zu dieser Zeit.
Zu insgesamt zehn Karl-May-Kinofilmen komponierte er die Musik, außerdem in den siebziger Jahren zur 26-teiligen ZDF-Karl-May-Serie „Kara Ben Nemsi Effendi“. „An dem Erfolg des Films ist zur Hälfte die Musik beteiligt“, schrieb ein Kritiker nach der Uraufführung von „Der Schatz im Silbersee“. Die Musikstücke werden als Medley in den siebziger und achtziger Jahren mehrfach in den damals populären Musik- und Galashows des Fernsehens wie „Musik ist Trumpf“ gespielt und zu dieser Zeit erstmals auf Samplern herausgebracht. Auch heute noch ist die Karl-May-Filmmusik erfolgreich und wird immer wieder in Coverversionen oder auf CDs herausgegeben.
„Für mich war es eine besonders schöne Zeit, als ich die Musik zum Schatz im Silbersee und all den anderen Filmen komponieren durfte. Es hat wahnsinnig viel Freude gemacht – nicht nur, weil mir die Melodien so viel Erfolg brachten, sondern weil die Filme meiner Mentalität entgegenkamen. Das Grundmotiv war die Freiheit und die Ungebundenheit des Menschen. Ich musste nicht lange überlegen, bis mir die passenden Noten einfielen, die Musik kam aus dem Bauch. Vielleicht ist sie gerade deshalb so ein Erfolg geworden.“
Mit dem Kinosterben Ende der sechziger Jahre verlegte Martin Böttcher seinen Wirkungskreis verstärkt auf das Fernsehen. So ertönte in der allerersten Krimiserie, die im frisch gegründeten ZDF lief, „Das Kriminalmuseum“, als Titelmelodie eine Böttcher-Komposition. Es folgten in den 1960er Jahren die Serien Gertrud Stranitzki und Ida Rogalski mit Inge Meysel und in den siebziger Jahren eine Vielzahl weiterer Musiken, wie die zur Krimiserie Sonderdezernat K1, 1977 zu 13 Teilen der Serie Es muß nicht immer Kaviar sein mit Siegfried Rauch, 1994 zu 26 Teilen der Serie Air Albatross oder für diverse Episoden von Der Alte und Derrick, z.B. die Salzburg-Melodie aus der Derrick-Episode „Ein Koffer aus Salzburg“ von 1975. Böttcher komponierte seither regelmäßig für Fernsehserien, zuletzt für Pfarrer Braun mit Ottfried Fischer. Insgesamt schrieb Böttcher die Musik zu 56 Spielfilmen und rund 400 Fernsehspielen und -serien.
Am 17. Mai 1996 wurde die Komposition „Friedensmelodie“ im Rahmen der Radebeuler Karl-May-Festtage im Rahmen eines Benefizkonzertes für das Kinderkrankenhaus in Mostar live uraufgeführt.
Die deutsche Gruppe Superboys erreichte am 12. September 1998 den ersten Platz in der ZDF-Hitparade mit einer Adaption der Winnetou-Melodie unter dem Titel Wish U Were Here – wünscht’, Du wärst bei mir. In Tschechien erhielt im März 2000 eine Cover-Version mit dem Titel „Vinetů“ der Gruppe Těžkej Pokondr aus dem Album „Vypusťte Krakena“ Doppel-Platin. Ein weiterer Erfolgstitel der Gruppe war der Titel „Vontové“, eine Gesangsfassung der „Old-Shatterhand-Melodie“ auf dem Album „Ježek v peci“.
Die amerikanische „Max Steiner Society“ verlieh Böttcher 1979 die Ehrenmitgliedschaft für seine Einspielungen von Steiners berühmten Filmmelodien „Tara’s Theme“ und „Theme from ‚A Summerplace‘“.
Am 9. November 1995 wurde Böttcher als erster Preisträger für seinen „besonderen Beitrag zur deutschen Filmgeschichte“ in Bonn mit dem „Ehrenpreis für Filmmusik“ (Erich-Wolfgang-Korngold-Preis) ausgezeichnet (gestiftet unter anderem von der Stiftung Deutsche Kinemathek, dem Deutschen Musikrat, der Deutschen Phono-Akademie und der Filmstiftung NRW).
Auf dem Karl-May-Fest 1994 in Bad Segeberg erhielt Martin Böttcher den Scharlih, die älteste und bekannteste Auszeichnung, die mit dem Namen Karl Mays verbunden ist.
Während eines weiteren Karl-May-Festes (vom 25. bis 27. Juli 1997) wurde er mit einem „Special Award“ der Schacht-Musikverlage ausgezeichnet.
Am 15. April 2000 wurde ihm in Titisee-Neustadt (Schwarzwald) der Edgar Wallace-Preis in Gold für Verdienste um den deutschen Kriminalfilm überreicht.
Am 25. Januar 2004 erhielt Böttcher in St. Moritz das Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Lebenswerk. Die Auszeichnung überreichte der deutsche Botschafter in der Schweiz, Dr. Frank Elbe (Bild).
Am 28. Mai 2009 wurde Martin Böttcher in Berlin anlässlich des erstmals verliehenen Deutschen Musikautorenpreises in der Sparte „Komposition Filmmusik“ ausgezeichnet.
Am 27. Juni 2013 wurde Martin Böttcher in München als erster deutscher Filmkomponist mit dem „Look & Listen – Telepool-BR-Music-Award“ ausgezeichnet.
Im Rahmen der 7. Filmmusiktage in Sachsen-Anhalt erhielt Martin Böttcher am 23. Oktober 2014 in Halle den Ehrenpreis des Deutschen Filmmusikpreises.
Hier nun eine ausführliche Würdigung seines Schaffens in den 60er Jahren … Und diese Doppel-LP entghält weit mehr als seine klassischen „Winnetour“ Melodien.
Und klar: er war und ist einer der großen Weichspüler in der Filmmusik … aber das mit einem traumhaftem Gespür für Melodien … man höre sich z.B. mal „Auf Engel schießt man nicht“ oder aber auch das etwas schwungvollere „Campo Limpo“ an … hier gibt es wahrlich viel zu entdecken,
Diese Doppel-LP ist auch deswegen interessant, weil sie einen überraschend ausführlicher Text über seinen Werdegang bis 1970 enthält (zudem auch noch seltenes Bildmaterial).
Und im Hüllentext gibt es dann noch diese nette, ein wenig hämische Kommentierung der damaligen Unterhaltungsmusik:
„In einer Zeit, da Elektrobaß, Elektrogitarre und doppelt besetztes Schlagzeug als up to date gelten, schon ein in den Vordergrund gezogener Rhythmus als neuer Sound gepriesen wird, breitet Martin Böttcher wie ein Raumgestalter zunächst einmal den weichen Teppich seiner Geigen aus, auf dem er dann das übrige Interieur präsentiert und zur Wirkung kommen läßt. Er macht es wie ein Redner, der nicht durch Lautstärke, sondern durch Argumene zu überzeugen versucht.“
Besetzung:
Martin Böttcher und sein Orchester
Titel:
01. Canzone d’amore (Pascal/Bracardi) 2.29
02. Guantanamera (Traditional) 3.13
03. September Song (Weill/Anderson) (Film „Liebesrausch auf Capri“ ) 2.45
04. Wonderland Of Love (Böttcher) 3.10
05. Melodie für Jessica (Böttcher) (TV-Film „Spion unter der Haube“) 3.30
06. Fiesta in Belo Horizonte (Böttcher) (Film „… zum Beispiel Brasilien“) 2.25
07. Schiwago-Melodie (Jarre) 2.15
08. Casatschok (Rubaschkin) 2.23
09. Winnetou-Melodie (Böttcher) (Film „Winnetou“) 3.33
10. Klassenkeile (Böttcher) (Film „Klassenkeile“) 1.55
11. My Foolish Heart (Young/Washington) (Film „Mein Dummes Herz“) 3.10
12. Campo Limpo (Böttcher) 2.54
13. Auf Engel schießt man nicht (Böttcher) 2.38
14. High Noon (Tiomkin / Washington) 3.57
15. Blue Night In Rio (Böttcher) (Film „… zum Beispiel Brasilien“) 2.08
16. Exodus (Gold) 3.16
17. Schut-Melodie (Böttcher) (Film „Der Schut“) 2.06
18. Moskauer Nächte (Solowjew/Sedoy) 3.32
19. Old-Shatterhand-Melodie (Böttcher) (Film „Winnetou“ ) 2.57
20. Theme from „A Summerplace (Steiner) (Film „Die Sommerinsel“) 2.24
21. Pater-Brown-Thema (Böttcher) (Film „Das Schwarze Schaf“) 2.59
22. Ein schöner Tag (Böttcher) (TV-Serie „Gertrud Stranitzk) 2.34
23. Sehnsucht (Böttcher) 3.42
24. Dr. med. Fabian (Böttcher) (Film „Dr. med Fabian“) 1.44