Herbert Joos – The Philosophy Of The Fluegelhorn (1974)

FrontCover1Habe ich leider erst gestern erfahren: Herbert Joos ist gestorben !

Herbert Joos (* 21. März 1940 in Karlsruhe; † 7. Dezember 2019 in Baden-Baden) war ein deutscher Jazztrompeter bzw. -flügelhornist und Grafiker. Mit seinen fein pastellierten Klangbildern gehörte der Musiker nach Martin Kunzler auch zur Spitzengruppe europäischer Jazzkomponisten.

Joos, der autodidaktisch und dann mit einem Privatlehrer Trompete gelernt hatte, studierte ab 1958 Kontrabass, bevor er sich auch dem Flügelhorn, dem Baritonhorn, dem Mellophon und dem Alphorn zuwendete. Seit Mitte der 1960er Jahre gehörte er zur Modern Jazz Quintet Karlsruhe, aus der dann die Gruppe Fourmenonly (mit Wilfried Eichhorn und Rudolf Theilmann) entstand. Anschließend war er Mitglied in verschiedenen Modern- und Freejazz-Formationen (u. a. mit Bernd Konrad, Hans Koller und Adelhard Roidinger bzw. Jürgen Wuchner). Er spielte auf Festivals und dem Free Jazz Meeting Baden-Baden bei einem Flügelhorn-Workshop mit Kenny Wheeler, Ian Carr, Harry Beckett und Ack van Rooyen und machte mit der Soloplatte The Philosophy of the Flügelhorn (1973) auf sich aufmerksam. Außerdem leitete er sein eigenes Bläsertrio, Quartett und Orchester. Die meiste Anerkennung erfuhr er während der 1980er als Mitglied des Vienna Art Orchestra. Seit den 1990er Jahren trat er insbesondere mit dem SüdPool-Projekt auf, aber auch im Duo mit Frank Kuruc sowie in Gruppen von Patrick Bebelaar oder um Michel Godard, Wolfgang Puschnig, Clemens Salesny und Peter Schindler. Joos spielte einen vollen und warmen Trompetenton, den er mit hörbarer Atemluft (orientiert an der Stimme eines Bluessängers) anraute. Der resultierende warme, kräftige Sound und der romantisch-impressionistische Einfluss, kombiniert mit Affinität zur freien Improvisation, waren seine besonderen Kennzeichen in der europäischen Jazzlandschaft.

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Als Graphiker arbeitete Joos häufig auf der Grundlage von hart kontrastierten Fotografien. Einem breiteren Publikum sind seine Musikerporträts (z. B. von Miles Davis) bekannt geworden, die häufig auch auf dem Titelblatt der Zeitschrift Jazz Podium abgedruckt wurden. Daneben war er auch als Buchillustrator (unter anderem für die Autorin Gertrud Fussenegger) tätig.

Joos starb 79-jährig im Dezember 2019 nach einer Operation in Baden-Baden.

1984 erhielt Joos den Jazzpreis des Südwestfunks; 2017 wurde er mit dem Ehrenpreis des Jazzpreises Baden-Württemberg für sein Lebenswerk ausgezeichnet. (Quelle: wikipedia)

Jazz Podium

Eine der unzähligen Illustrationen für die Zeitschrift „Jazz Podium“

Vor gut 50 Jahren war die Welt im Umbruch: gesellschaftlich und politisch, aber auch ästhetisch in der Kunst und Kultur. Die Studierenden gingen auf die Barrikaden, um unter dem Schlachtruf „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ die Verkrustungen in den (westlichen) Nachkriegsgesellschaften zu sprengen – hüben in Europa ebenso wie drüben in den USA. Auch vor dem Jazz jener Zeit machte diese „Revolution“ nicht halt. Ausgehend vom „Free Jazz“ eines Ornette Coleman Anfang der 1960er-Jahre warf man die Traditionen dieser ursprünglich swingenden Musik aus dem Süden der USA über Bord, experimentierte unter dem Schlagwort „New Thing“ mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Spieltechniken und rief die „Oktoberrevolution im Jazz“ aus.

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Die Freiheiten, die sich viele afroamerikanischen Avantgardisten erspielten, fanden ihren Widerhall auch in Europa. Man nutzte die Gelegenheit, um radikal auch mit den „schwarzen“ Wurzeln der Improvisationsmusik Jazz zu brechen und eine dezidiert europäische Klangsprache zu entwickeln. Von einer „Kaputtspielphase“ sprach im Rückblick der Wuppertaler Bassist Peter Kowald – um sich, nach einem Moment der Konsolidierung, eben diesen „schwarzen“ Wurzeln wieder hinzuwenden.

In Karlsruhe blieb man damals gelassen. Eine kleine Gruppe von Jazzmusikern aus dieser Stadt im Südwesten Deutschlands erkannte zwar das enorme Potenzial der neuen Freiheit durch das „New Thing“, suchte aber nach Wegen und Möglichkeiten, diese Freiheit mit dem musikkulturellen Terroir Europas in Verbindung zu bringen. Modern Jazz Quintet Karlsruhe nannte sich eine Band, mitten drin fand sich ein Trompeter und Flügelhornist, der aufhorchen ließ: Herbert Joos, 1940 geboren. Dort, wo andere Musiker jeden Moment zur Kontemplation in brachial-laute Klanggewitter zu verdichten versuchten, setzte er lange Pausen – um die melodische Sinnlichkeit seines Tons und die expressive Farbigkeit seiner raffiniert geknüpften Tongirlanden zu intensivieren. Sein Instrument blies er mit viel Luft, seine improvisierten Linien hatten stets etwas eloquentes und folgten eher dem emotionalen Duktus eines schwarzen Bluessängers als der intellektuellen Durchführung eines europäischen Komponisten.

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Auch wenn Joos mit seinem im Mehrspurverfahren aufgenommenen Soloalbum „The Philosophy Of The Flügelhorn“ 1973 international auf sich aufmerksam machte, so sollte seine „große“ Zeit als stilbildender Instrumentalist erst noch kommen: überraschender Weise als Sideman und Orchestermusiker. Im Vienna Art Orchestra (VAO) fand der überzeugte Europäer Joos ab 1979 mit dem Schweizer VAO-Gründer und Komponisten Matthias Rüegg, mit dem Österreicher Wolfgang Puschnig oder der Amerikanerin Lauren Newton Gleichgesinnte, deren Radikalität sich auch und gerade im Ausgleich von ästhetischen Gegensätzen zeigte. In diesem überaus kreativen Umfeld entwickelte sich Joos zu dem Balladenspieler, der sich gleichermaßen herzergreifend emotional wie tiefschürfend intellektuell zur Kernaussage der jeweiligen Komposition durchgrub. Diese Qualitäten behielt Joos nach seinem Ausscheiden aus diesem Orchester bei, dann in der Regel in kammermusikalischen Besetzungen.

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2017 wurde Joos, dieser gelernte Plakatmaler, der zeitlebens sein Geld auch als Grafiker verdiente, mit dem „Ehrenpreis des Jazzpreises Baden-Württemberg“ ausgezeichnet. Nach den ihn feiernden und ehrenden Reden sprach er gewohnt lakonisch-knapp ins Mikrofon: „Alles wahr, vielen Dank“ – und stellte sich mit seinen Instrumenten ins eigens zusammengestellte, 16-köpfige Orchester. 2018 wurde der Saxofonist Bernd Konrad gleichfalls mit diesem Preis ausgezeichnet; und Joos ließ es sich nicht nehmen, inmitten der Band auf der Bühne seinem alten Freund und langjährigen Weggefährten zu feiern. Es sollte das letzte Mal sein, dass der Trompeter und Flügelhornist im Theaterhaus in seiner zweiten Heimatstadt Stuttgart zu hören war. Am Morgen des 7. Dezembers ist Herbert Joos nach einer OP in Baden-Baden im Alter von 79 Jahren gestorben. (Christian Broecking, Stefan Franzen & Martin Laurentius)

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Und hier sein Debütalbum (aufgenommen im Juli 1973 in dem legendären Tonstudio Bauer, Ludwigsburg und natürlich setzt er schon hier seine erste Duftmarke ab … exxperiementelle Jazzmusik, die man nun nicht dilletantisch nennen kann, sondern, im Gegenteil … hochgradig souverän, aufregend und auch höchstem technischem Niveau … wenngleich für manche Ohren ganz sicher gewöhnungsbedürftig.

Und das Titelstück wirkt fast so, als hätte er es für einen Beerdigung geschrieben … gleiches gilt auch für das Stück „Rainbow“.

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Besetzung:
Herbert Joos (flugelhorn, bamboo-flute, recorder, horn)

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Titel:
01. The Philosophy Of The Fluegelhorn 13.14
02. The Warm Body Of My True Love 6.39
03. Skarabäus II 8.55
04. Rainbow 3.38
05. The Joker 2.40
06. An Evening With The Vampire 1.57

Musik: Herbert Joos

LabelB1

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Herbert Joos (* 21. März 1940 in Karlsruhe; † 7. Dezember 2019 in Baden-Baden)