Franka Rößner + Thomas Stöckle – Grafeneck 1940 – Wohin bringt ihr uns – NS Euthanasie im deutschen Südwesten (2011)

titelDer deutsche Bundestag hat heute im Rahmen des Tages zum Holocaus sich zum ersten mal ausführlicher dem Thema Euthanasie im Nationalsozialismus gewidmet. Das hat mich doch sehr bewegt, und deshalb habe ich mal 2 Materialien zu dem Thema zusammengestellt.
„125 Mark sind die Ausgaben für ein gesundes deutsches Schulkind. Um wie viel Prozent teuerer kommt dem deutschen Volk ein Geisteskranker oder Krüppel?“ – So lautete eine Rechenaufgabe in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Nazis verfolgten und ermordeten Kranke und Menschen mit Behinderung ebenso wie Juden und andere Gruppen. Sie hielten sie für „lebensunwertes Leben“, für „Parasiten am deutschen Volkskörper“. Daher planten sie ihre schrittweise Ermordung.
Die „Aktion T4“
Hitler selbst gab das Ermordungsprogramm in Auftrag. Die Nazis bezeichneten es auch als Euthanasie – eine zynische Entfremdung des Wortes, das eigentlich einen leichten und schönen Tod meint. Das Programm lief unter dem Decknamen „Aktion T4“.
T4 steht für die Tiergartenstraße 4 in Berlin. Hier befand sich der Hauptsitz der Aktion. Ihr Leiter war der Chef der „Kanzlei des Führers“, Philipp Bouhler. Gemeinsam mit Ärzten, Pflegern und anderen setzte er die Tötung von mehreren Tausend Kranken und Menschen mit Behinderung um.
Das Vorgehen war genau organisiert: Schon 1939 versandten Mitarbeiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten Meldebogen an alle infrage kommenden Pflegeheime und Anstalten im Deutschen Reich.
Für jeden Patient musste ein Meldebogen ausgefüllt werden. Erfasst wurden dabei die Krankengeschichte, die Aufenthaltsdauer, die Arbeitsfähigkeit und die Heilungsaussichten.
Das eigentliche Ziel der Befragung war den angeschriebenen Anstalten nicht bekannt. Anhand der Meldebögen entschieden dann die Gutachter in Berlin, ob die Betroffenen zu leben oder zu sterben hatten.
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Fiel die Entscheidung auf Tod, lieferte die Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft sie in spezielle Tötungsanstalten ein. Dort erwartete die Patienten der Tod durch Vergasung oder Giftspritze.
Für ein Erziehungsheim mit 130 Schwachsinnigen könnte man 17 Eigenheime bauen, lautet der Text auf dieser Tafel aus dem sogenannten Rasseatlas, der in allen Schulen der NS-Zeit eingesetzt wird.
Kosten-Nutzenrechnung im Schulunterricht
Innerhalb eines Jahres ermordeten die Nazis insgesamt mehr als 70.000 Kranke und Menschen mit Behinderung. Die Leichen äscherten sie ein. So konnten die Angehörigen keine Obduktion veranlassen. Zudem versandten sie Schreiben, in denen sie eine falsche Todesursache und einen falschen Todesort angaben.
Obwohl sich die Nazis bemühten, die Aktion T4 geheim zu halten, gerieten ihre Taten bald an die Öffentlichkeit. Die Mehrheit der Bevölkerung war empört.
Auch Mitglieder der Kirche protestierten gegen das menschenverachtende Vorgehen der Nazis – allen voran Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster. Er hielt mehrere verurteilende Predigten.
Kurz darauf beendete Hitler die Aktion T4 offiziell. Im Geheimen gingen die Tötungen jedoch bis zum Kriegsende weiter. Zwischen 1941 und 1945 fielen etwa 30.000 weitere Menschen dem Euthanasieprogramm zum Opfer.
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Der „graue“ Bus von Schloss Grafeneck

Die Nazis fanden unterschiedliche Rechtfertigungen für die Massenmorde an Kranken und Menschen mit Behinderung. Hitler bezeichnete sie einmal als „Gnadenakt“, als „Akt der Erlösung“. Oftmals propagierten die Nazis in diesem Zusammenhag auch eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung.
Auf einem Propagandaplakat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) hieß es etwa: „60.000 RM kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit. Volksgenosse, das ist auch Dein Geld.“
Eine ultimative Berechtigung für ihr Tun fanden die Nazis ihrer Ansicht nach in der Biologie. Sie bezogen sich hierbei vor allem auf eine Theorie von Charles Darwin. Darwin ging davon aus, dass in der Natur ein ständiger Ausleseprozess herrsche. In diesem würden für das Überleben ungünstige Merkmale automatisch eliminiert.
Die Nazis verliehen diesem Gedanken eine rassistische Deutung: „Wir beschleunigen den in der Natur ohnehin vorhandenen Ausleseprozess. Ein Prozess, in dem sich nur die stärkere Rasse durchsetzen wird.“ (Quelle: planet-wissen.de)
Als erstes dokumentiere ich  die Broschüre: „Grafeneck 1940 – Wohin bringt ihr uns – NS Euthanasie im deutschen Südwesten“. Herausgeber ist die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg).
Es behandelt die Euthanasieeinrichtung Schloss Grafeneck, Schwäbische Alb (die erste dieser Einrichtung in Deutschland):
„Euthanasie“, der „schöne Tod“, diesen Begriff prägten die Griechen für ein leichtes Sterben. Die Nationalsozialisten verschleierten damit die Tötung von Menschen mit geistigen und seelischen Gebrechen, die nicht in ihre Wahnvorstellungen von der „reinen Rasse“ und dem „gesunden Volkskörper“ passten, die als „unnütze Esser“ nur die Volkswirtschaft und die Sozialsysteme belasten würden und ihrer Auffassung nach daher
„lebensunwert“ waren. Ihr Tod in den Gaskammern der verschleiernd als „Pflegeanstalten“ ausgegebenen Einrichtungen, in unserem Land die in Grafeneck auf der Alb, war nicht „schön“, sondern Mord. Auch nach den damals geltenden Gesetzen.
„Euthanasie“ ist folglich ein belasteter Begriff. Er hat Bedeutung für die Fragen, welche Werte eine Gesellschaft dem Recht auf Leben, der Ausgestaltung des menschlichen Zusammenlebens und der Rechte des Einzelnen insgesamt zugrunde legt. Ebenso für die Frage, wie weit der Fortschritt der medizinischen und biologischen Forschung umgesetzt werden kann, ohne dass Einzelne oder Gruppen „Nützlichkeitserwägungen“ unterworfen
werden und ob und inwieweit sie selbstständig darüber entscheiden können und dürfen.
Wir wollen mit diesem Arbeitsheft die historischen Ereignisse in Erinnerung rufen und damit auch auf die ganz konkrete Bedeutung des heutigen Verfassungsgebots der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde und der unveräußerlichen Persönlichkeitsrechte hinweisen. (aus dem Vorwort der Broschüre)
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Die letzten Opfer, aufgenommen von einem Fotografen der US-Armee in der Landesheilanstalt Hadamar (194

Und dann noch eine TV-Dokumentation (WDR) zum gleichen Thema (auch hier wird die Euthanasieeinrichtung Grafeneck ausführlich dargestellt). Die Autoren des Films sind Ulrich Baringhorst und Andrea Böhnke.
Beschäftigt man sich intensiver mit dem Thema, so kann einen nur grausen … ob der Barbarei dieser Jahre … und ja auch ich gehöre zu jener Spezies von Mensch, die einen Beitrag „wieder das Vergessen“ leisten möchte … und das hier ganz sicher nicht zum letzten Mal.
Ich selbst wurde heute im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit tätlich angegriffen (nix ernsthaftes passiert, mir steckt nur der Schreck und der Schock über diese unerwartete Attacke in meinen Knochen).
Und all das heute erlebte relativiert sich dann wieder so schnell … wenn man an jene schrecklichen Jahre denkt.
Ach ja … und die Täter, die Täter, wurden natürlich nie wirklich zur Verantwortung gezogen.
Und da wandern meine Gedanken zu dem großartigem Ernst Klee, der sich Zeit seines Lebens intensiv mit jenen medizinischen Tätern des Nationalsozialismus beschäftigt hat.
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Der Auftrag (Erlass) Adolf Hitlers zur „Gewährung des Gnadentodes“ (datiert am 01.09.1039 (!))

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Eines der Opfer: Theodor K.

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Die grauen Busse von Grafeneck – Heil- und Pflegeanstalt Stetten i.R. 1940 (heimliche Aufnahme, vermutlich v. Mitarbeiter der Anstalt Stetten)

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Vernichtungsgebäude von Grafeneck. In den mittleren beiden Räumen befand sich die Gaskammer

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aus: Karl Binding/Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. 2. Auflage Leipzig 1922, S. 54f. (Erstauflage 1920).

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Ausstellungsplakat und Schulungsmaterial des Reichsnährstandes 1934

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Plakat einer Ausstellung des Reichnährstandes: „Hier trägst Du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50.000 RM.“ In: Volk und Rasse, Illustrierte Monatszeitschrift für deutsches Volkstum 10 (1936), S. 335

 

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