Carmelo Coccaro – Viva Italia (ca. 2015)

FrontCover1Eine wirkliche berührende Geschichte aus unserem Land, das längast ein multi-kulti Land geworden ist (das ging ja schon in den 60er Jahren mit den sog. „Gastarbeitern“ los:

Viele kennen ihn vom Wildpark Poing oder aus dem Internet: Carmelo Coccaro, Sohn eines Gastarbeiters, bringt das Italien der 1960er in die Jetztzeit. Eine Hommage an seine Mamma rührt Menschen auf der ganzen Welt.

Die Tarantella kommt aus Italien? Nein, sie stammt aus Spanien. Was ist mit der Mazurka, ist die italienisch? Nein, sie wurde in Polen erfunden. Und die Pizza? Gott bewahre, die stammt ursprünglich aus Amerika. Mit Klischees räumt Carmelo Coccaro schneller auf als man sie überhaupt auspacken kann. Und dann schiebt er hinterher: „Ich bin für Originale.“ Er sagt das in seinem ganz eigenen Dialekt, ein Bairisch mit italienischem Akzent, die Vokale schweben dabei durch den Raum.

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Carmelo Coccaro selbst kann man getrost als Original bezeichnen. Viele kennen ihn, weil er sommers wie winters vor dem Wildpark Poing sitzt und dort die Besucher mit seinem Ziehharmonika-Spiel auf eine Zeitreise einlädt. „Am meisten mag ich die Kinder“, erzählt Coccaro. Oft würden sie stehen bleiben und staunen; manchmal, erzählt er, würden die Kinder anfangen zu tanzen, und manchmal würden auch die Eltern sich treiben lassen von seiner mal fröhlichen, mal melancholischen Musik. Einige kennen ihn auch aus dem Internet, wo er auf seinem Youtube-Kanal tanzt, singt und auf seiner Ziehharmonika spielt. Das erste Video hat Coccaro vor zwölf Jahren hoch geladen, knapp 900 Abonnenten hat er. Manche Videos wurden mehr als 147 000 Mal aufgerufen.

Vor 60 Jahren hat Coccaros Bruder diese Flöte geschnitzt aus einem Stück Bambus. Sie war das erste Instrument des jungen Carmelo:
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An diesem Tag empfängt er in seiner kleinen, gemütlichen Wohnung in Markt Schwaben. Dicker, roter Teppichboden, dunkelrote Vorhänge, an den Wänden hängen mit Girlanden geschmückte Fotos der italienischen Großfamilie. Sechs Schwestern und zwei Brüder hatte Carmelo Coccaro, ein Bruder ist bereits gestorben. „Sehen Sie genau hin“, sagt Monika, seine Lebensgefährtin, die neben ihm auf der gepolsterten Eckbank Platz genommen hat, und deutet auf das Familienporträt. „Schauen Sie, wo die Hand der Mutter liegt: auf Carmelos Schulter.“ Die Liebe zu seiner Mutter, die seine Musikalität vielleicht als Erste erkannt und gefördert hat, und auch die Liebe zu seiner Heimat sind wie ein roter Faden, der sich durch Coccaros Lebensgeschichte zieht.

Carmelo Coccaro, Jahrgang 1949, stammt aus einem kleinen Bauerndorf, gut zwei Autostunden südöstlich von Neapel. „Die Musik ist mit der Flöte gekommen“, erzählt er und holt ein helles Stück Holz aus einem Schrank hervor. 60 Jahre ist sie alt, die Flöte, sein Bruder hat sie dem kleinen Carmelo aus einem Stück Bambus geschnitzt. Coccaro hält das Instrument fast ehrfürchtig in seinen Handflächen, dann setzt er es an die Lippen und spielt eine lustige Melodie. „Ich habe früher den ganzen Tag darauf gespielt“, sagt er.

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Als Coccaro dreizehn war, ist sein Vater mit vielen anderen Italienern nach Deutschland gekommen, als Gastarbeiter. Während der Vater in einer Ziegelei in Markt Schwaben arbeitete, schickte die Mutter in Italien Coccaros Bruder und einen Cousin nach Valle della Lucania, die nächstgrößere Stadt, um dort eine Ziehharmonika zu kaufen. „Die hat 10 000 Lira gekostet“, erinnert sich Coccaro. „Leider hat sie nicht lange gelebt.“ Sein Bruder muss wohl zu fest gedrückt haben, jedenfalls war das gute Ding bald kaputt.

„Es hat mir aber gleich viel Spaß gemacht, auf ihr zu spielen“, sagt der heute 73-Jährige. Seine Freundin Monika, die seinen Dialekt manchmal übersetzen muss, fügt lachend hinzu: „Der hat Musik im Blut. Er sagt von sich selbst, er ist ein Mann von Spektakel.“ Nachdem die erste Ziehharmonika geschrottet ist, dauert es nicht lange, da bietet ein alter Mann aus Piaggine – vom Krieg gezeichnet, mit einem Holzbein – dem jungen Carmelo an, seine Ziehharmonika zum Üben auszuleihen. „Ich hatte Angst, dass ich sie kaputt mache, aber ich habe viel gespielt“, erzählt Coccaro.

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Als Carmelo 19 und sein Vater wieder zurück in Italien ist, zieht er mit seinem Bruder nach Deutschland, um in einem Holzwerk in Markt Schwaben zu arbeiten. Nach sechs Monaten kehrt er allerdings wieder zurück nach Italien, um dort zwei Jahre Wehrdienst abzuleisten. Während seiner Zeit als Soldat wird er von einem Musiker in Rom entdeckt: Er verspricht ihm, ganz groß rauszukommen, mit Tourneen und Schallplatten. Coccaro lehnt ab. „Ich will mir nicht sagen lassen müssen, was ich tun muss“, begründet er das.

1971 kehrt Coccaro zurück nach Markt Schwaben, arbeitet dort in den Kunststoffwerken. Üblich ist, dass die Arbeitgeber die italienischen Gastarbeiter am Bahnhof abholen, für Kost und Logis sorgen. Doch Coccaro will sich eben nirgendwo reinpressen lassen, er zieht in eine eigene Wohnung nach Siegenhofen. Für die Kunststoffwerke kontrolliert er zehn Jahre lang Plastikeinsätze, die für Porsche gefertigt werden. Etwa 1972 muss es gewesen sein, da kauft Coccaro sich seine ersten beiden Akkordeons. „Ich spiele nicht nach Noten, das kommt alles aus mir selber raus“, sagt er und fügt verschmitzt hinzu: „Ich bin wie Mozart.“

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Ende der 1970er heiratet Carmelo Coccaro eine italienische Frau, die mit ihm nach Deutschland kommt. Ihr gefällt seine Musik nicht. „Ich durfte nicht im Wohnzimmer spielen“, erinnert er sich. In den nächsten Jahrzehnten wird er nur auf Geburtstags- oder Weihnachtsfeiern seiner Firma spielen. Coccaro und seine Frau bekommen zwei Töchter. Er arbeitet als Gabelstapelfahrer, als er Ende der 1980er an einer Depression erkrankt – eine Krankheit, die damals oft nicht erkannt wird. „Der Arzt hat gesagt, ich bin traurig, weil Italien im Fußball verloren hat“, erzählt Carmelo Coccaro. „Da habe ich gesagt: ‚Dottore, erzähl mir nicht diesen Schmarrn. Mir tuts weh.'“

Zehn Jahre schleppt Coccaro die Krankheit mit allen Nebenwirkungen mit sich herum und arbeitet weiterhin unermüdlich. Er gilt wegen seiner physischen Einschränkungen, etwa chronischen Nackenschmerzen, als körperlich behindert. 1998 geht sein Arbeitgeber pleite, und Coccaro findet keinen neuen Job mehr. 2006 verlässt ihn seine Frau, seit drei Jahren erst ist die Scheidung rechtsgültig.
Bella Italia aus Markt Schwaben: Im Laufe der Jahre hat sich Carmelo Coccaro mehrere Ziehharmonikas und Akkordeons gekauft, viele von ihnen hat er auch selbst repariert.

Im Laufe der Jahre hat sich Carmelo Coccaro mehrere Ziehharmonikas und Akkordeons gekauft, viele von ihnen hat er auch selbst repariert:
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Die Musik scheint es zu sein, die Carmelo Coccaro wieder auffängt. „Ich habe Musik gemacht für mich, für die Moral, für meine Seele“, erzählt er. Coccaro spielt in der Fußgängerzone in München, muss dafür vorstellig werden im Rathaus. Und vor etwa acht Jahren hat der Intaliener den Wildpark Poing als Bühne für sich entdeckt. „Viele Kinder sagen: Er spielt so gut“, erzählt er. Monika, seine Partnerin, ergänzt lachend, dass einmal die Kinder beim Zuhören in den Pfützen herumgesprungen und dabei immer dreckiger geworden seien.

Eine Melodie, aus dem tiefsten Inneren von Carmelo Coccaro geboren, ist „Mamma Perdonami“, eine Hommage an seine Mutter. „Du hast so viel für mich getan, und ich so wenig für dich“, heißt es darin. „Das Lied hat viele Menschen berührt“, sagt Coccaro. Er berichtet von einer 17-jährigen Italienerin, die ihm in der Münchner Fußgängerzone zugehört und dabei geweint habe. „Was ist mit dir?“, habe er sie gefragt. „Mein Vater hat mich verlassen, da war ich sechs Jahre alt“, habe sie geantwortet. (Franziska Langhammer, Süddeutsche Zeitung vom 26. April 2023)

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Nun denn … viel Vergnügen mit all diesen sehnsüchtigen Liedern aus bella Italia … Amore, sole, spiaggia e mare ,,,

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Besetzung:
Carmelo Coccaro (accordeon, vocals)

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Titel:
01. Viva Italia 3.29
02. L’amore È Finito 3.27
03. Padre Pio (1) 3.40
04. Polka Carmelo 2.36
05. Ho Bisogno Di Te 3.49
06. Anno 2000 4.15
07. Valze Charmelo 2.43
08. Un Bambino 4.08
09. Tarantella Scatenata 2.08
10. 15 Augosto 4.57
11. Padre Pio (2) 3.09
12. La Guerra 4.28

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