Salome Kammer & Peter Ludwig – Der panaromatische Donnergurgler (1997)

FrontCover1Viel schräger geht es nicht mehr … oder: auf die Idee muss man auch erstmal kommen, denn die beiden Musiker/innen entwickeln eine neuartige Sichtweise auf das 632 Seiten lange und 1 kg schwere Kursbuch der Münchner Volkshochschule.

Als da wären:

Salome Kammer (* 17. Januar 1959 in Nidda in Hessen) ist eine deutsche Schauspielerin, Stimmsolistin, Sängerin und Cellistin.

Salome Kammer wurde als viertes von sechs Kindern des evangelischen Pfarrers Otto Kammer und seiner Ehefrau Siglinde Kammer in Nidda (Oberhessen) geboren. Nach dem Abitur in Frankfurt am Main studierte Salome Kammer an der Folkwang-Hochschule in Essen Musik mit Hauptfach Violoncello bei Maria Kliegel und János Starker. Schon während des Studiums mit anschließendem Aufbaustudium an der Musikhochschule Mannheim widmete sich Salome Kammer in freien Gruppen dem Schauspiel und nahm privaten Schauspiel-Unterricht. Im Jahre 1983 wurde sie an die Städtischen Bühnen Heidelberg verpflichtet, wo sie fünf Jahre lang in den Bereichen Jugendtheater und Schauspiel Mitglied des Ensembles war.

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1988 zog sie nach München, um in der Produktion Die Zweite Heimat von Edgar Reitz die weibliche Hauptrolle der Cellistin und Sängerin Clarissa Lichtblau zu übernehmen. Mit dieser Filmrolle wurde Salome Kammer in vielen Ländern bekannt. Ihre Ausbildung zur Sängerin und Stimmartistin vollzog sich während und nach der Filmarbeit. Zehn Jahre lang verkörperte Salome Kammer erfolgreich in verschiedenen Inszenierungen die Rolle der Eliza Doolittle im Musical My Fair Lady. Nach einigen Gastspielen im Sprechtheater (unter anderem am Bayerischen Staatsschauspiel München) widmete sich Kammer zunehmend dem modernen Musiktheater mit Engagements an Opernhäusern in Berlin, Wien, München, sowie Paris, Lyon und Stuttgart. Nebenher ist sie seit vielen Jahren mit dem Pianisten und Komponisten Peter Ludwig mit musikalischem Kabarett auf den deutschen Kleinkunstbühnen zu hören.

Salome Kammer unterrichtet an der Münchener Musikhochschule zeitgenössische Musik für Sänger. Sie lebt mit ihrem Ehemann, dem Regisseur Edgar Reitz, in München. (wikipedia)

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Und dann der Peter Ludwig:

Er ist ein Multitalent. Was er anfasst, wird zu schönem Klang. Zu ungewöhnlichem dazu. Und nicht zuletzt haben alle seine Unternehmungen großen Charme. Peter Ludwig ist Pianist, Komponist, Arrangeur – er liebt und lebt Tango, Filmmusik, Chanson und in all dem die blitzende Pointe von Tönen, die stets ein bisschen eleganter, zarter, luftiger kommen als erwartet. Ein Mann der Töne – aber auch ein Mann der Worte. Denn zum einen schreibt er selbst ungemein geschliffene Texte, und zum anderen gehört er zu den besonders sensiblen Vertonern von Texten anderer. Er lebt in Wasserburg, einer Stadt, zu der er liebevolle Bekenntnisse zum Besten gab. Und München, zumal die traditionsreichen Schwabinger Brettln, ist für den geistvollen Tastenlöwen stets ein Prüfstein, wenn er auftritt.

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Im oberbayerischen Brannenburg wuchs er auf, ging in Salzburg ins Internat, brachte sich Klavier und Gitarre selbst bei, legte später eine Ausbildung am Konservatorium in München und an der Musikhochschule Detmold nach. Für erstes Aufhorchen sorgte er als feinsinniger Liedermacher zusammen mit der Cellistin Anja Lechner Anfang der 80er-Jahre; die beiden erhielten auch den Preis der Deutschen Phono-Akademie. Mit Anja Lechner wandte sich Ludwig in der Folgezeit einer musikalischen Liebe zu, die er später mit anderen Partnern fortsetzte: dem Tango. Hinreißend leichtfüßige Kompositionen schrieb er für Projekte wie Tango mortale, Trio obscur und Tango à troi. Das Niveauvoll-Schrille pflegt er seit Jahren mit der Stimmartistin Salome Kammer: Unter dem Titel Chanson Bizarre hauchen die beiden schon mal der Prosa aus Beipackzetteln und Gebrauchsanweisungen funkelndes Leben ein. Weiteres Duo-Highlight: jenes mit der Schauspielerin Krista Posch, deren Texte Ludwig mit geschmeidiger Musik umgibt.

Ob im Ensemble, mit singender oder spielender Partnerin oder solo am Klavier: Peter Ludwig ist ein leiser Poet des Besonderen. Und ein besonderer Poet des Leisen. (literarische.de)

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Und dieses nun wirklich ungewöhnliche Album (ein Live-Mitschnitt) erhielt 1999 sogar eine Preis:

Die Jury des Preises für Innovationen in der Erwachsenenbildung vergab 1999 einen Sonderpreis an Salome Kammer und Peter Ludwig für die Schallplatte „Der panaromatische Donnergurgler“. Das Werk mit dem geheimnisvollen, gleichwohl vielsagenden Titel überzeugt in erster Linie durch die künstlerische Qualität.

Die Schallplatte enthält 15 Stücke, von Pianist und Komponist Peter Ludwig arrangiert, collagiert sowie einfühlsam begleitet und von Salome Kammer gesungen, bedeutsam gesprochen oder ekstatisch gekeucht. Die musikalische Form entzieht sich der eindeutigen Zuordnung. Als formale Basis dient wohl das deutsche Kunstlied – das Schubertsche Wanderermotiv erscheint immer wieder als Ostinato in der Klavierbegleitung –, wird aber durch Modernes, wie Geräuschimitationen, Lautmalereien, Sprechgesang, synkopierte jazzige Einschüsse aufgerauht und bekommt durch ariose Koloraturen, Chanson, Küchenlied, Schlager der 20er und 50er Jahre, Folkloristisches aus Fernost und Südeuropa (Italien, Frankreich, Bayern) durchaus kulinarische Züge. Neu ist das nicht immer im Einzelnen, aber es ist bemerkenswert, wie dem Komponisten und Pianisten Peter Ludwig das blitzschnelle Switchen zwischen Passagen und Stilen gelingt und wie kongenial Salome Kammer seine Vorlagen ausfüllt und weitertreibt.

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Mit stupendem Stimmumfang meistert sie alle Höhen und Tiefen ebenso wie die stilistischen und dynamischen Wechsel. Betäubenden lyrischen Wohllaut verströmt sie in den eher romantischen Liedern („Wanderung“, „Wasser“, „Traum und Wirklichkeit“, hier im 1. Teil!); ekstatisch ihr Ausdruck in „Die fünf Tibeter“, perlende Koloraturen (z.B. im Titellied „Der panaromatische Donnergurgler“) stehen ihr ebenso zu Gebote wie das Schwebenlassen des Tons zwischen Dämonischem und Banalem (Meint man in „Tanzlmusi“ nicht Christa Ludwig mit großer Mahlerscher Klang-
gebärde zu hören?). Ihre Stimme gibt uns italienische Lebenslust („Menuitaliano“) ebenso wie die Traurigkeit des französischen Chansons („Lire“) 128 und die Erinnerung an die kesse Göre der 50er Jahre, die wir damals schon selbst gern gewesen wären, und ihren gewagten Rock ‘n Roll („Teddybären“). Dabei ist sie vor allem auch eine begnadete Sprecherin – und dies nicht nur in den Passagen, in denen Sprechgesang vorgesehen ist.

Sie weiß die Bedeutsamkeit von Worten zu unterstreichen, selbst wenn sie flüstert („Schüchternheit“), aber ebenso kann sie schneidend-militärisch oder brechtisch-belehrend im Ton werden („Loslassen“). Vielleicht kann die Feststellung, dass Salome Kammer bei allem nötigen Ernst durchaus auch Sinn für das Frivole, ja Pikante hat („en français“, „Lustgarten“!), das Interesse an diesem Werk erhöhen.
Aber, so höre ich schon des Lesers, der Leserin Zwischenruf, selbst große Kunst rechtfertigt noch keine pädagogische Auszeichnung! Und da muss ich Ihnen leider recht geben. Erwachsenenbildung kommt hier erst ins Spiel über die Texte und den Anlass der Produktion. Es handelt sich um einen Auftrag der Münchner Volkshochschule zur Hundertjahrfeier, die Texte des aktuellen telefonbuchstarken Programmangebots umzusetzen in ein künstlerisches Ereignis.

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Entstanden ist ein Spaß, der artistisches Können, parodistische Lust, vielleicht auch Kritik in einer verspielten Melange zusammenbringt.
Nun ist Spaß auch nicht unbedingt ein pädagogisches Kriterium! Versuchen wir also, der Begründung des Sonderpreises mehr Deutungstiefe zu geben:
Mit dem „panaromatischen Donnergurgler“ wird ein anderer Blick möglich auf das gegenwärtige Angebot der Weiterbildung. Dieser vermag alle Beteiligten humorvoll aufzuklären über eingeschliffene Verhaltensweisen
bei der Publikumsansprache, Züge eines neuen „Jargons der Eigentlichkeit“, die sich andeuten. Eine wichtige Spielart der lernenden Organisation ist sicherlich die lachende Organisation. Insofern gebührt der Münchner Volkshochschule ein herzlicher Glückwunsch für den Mut, in solch erfrischender Weise Geburtstag zu feiern.

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Aber die Doppelbödigkeit, die sich auftut durch die Bearbeitung des Ausgangsmaterials und seine musikalische Interpretation, erlaubt uns, eine Deutungsstufe tiefer vorzudringen und zu sagen: Hier wird die gegenwärtige Umbruchsituation öffentlich verantworteter Weiterbildung zwischen Markt und Staat symptomatisch sichtbar. Wie die Musik kenntlich macht, schwankt das Marketing der Ankündigungstexte zwischen konträren Zielen: inniger Einfühlung in die bildungswillige Seele (mit ihrer „Liebe unterm Schnittlauchstengel“), unterschwelliger Erotik („Lustgärtnerei“), Kundenfang mit günstigem Preis-Leistungs-Verhältnis („Ich brauche keine Millionen …. nur einen einzigen Zwanzig-Mark-Schein, um eine Origami-Figur zu falten“), aber mit deutlichen Resten eines Betreuungs- oder Krankenschwesternjargons („Wir wollen <den> Bärenveteranen wiederentdecken“) und behördlicher Sprache („KN eins, vier, zwei, sechs“ – zugleich eine Wendung von kafkaesker Rätselhaftigkeit!).

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Aber ich glaube drittens sagen zu dürfen, dass Text und Musik auch etwas über unsere gesellschaftliche und individuelle Verfasstheit im Ganzen ausdrücken. Achten Sie im Lied „Lire … en français“ einmal darauf,
wie hier mancherlei schweifendes Begehren zum Ausdruck kommt („pou ceux qui veulent“), die Hoffnung auf Pläsier, das sich dann als bloßes Lesevergnügen („le plaisir de lire“) herausstellt. Auch im darauf folgenden Lied, der „Wanderung zum Deixelfurther See“ scheint sich schon der Himmel aufzutun – bevor die Wanderung in den „Feuchtgebieten“ stecken bleibt. Und dann der krakeelende italienische Kochlehrer („Menu italiano“), der schon im Genuss des Mahles zu schwelgen scheint und doch nur („prepariamo“) zur Vor- und Zubereitung animiert. Viele andere solcher Stellen und Momente („Schüchternheit“) dieses Werkes lassen eine letzte Deutung und zugleich Preisbegründung zu: Geht die Botschaft dieses Kunstwerks nicht weit über die Erwachsenenbildung hinaus, zielt sie nicht auf unsere Erlebnisgesellschaft insgesamt, die mancherlei Lüste verspricht, aber dann doch eben mit der Vorlust sich begnügen muss. (Erhard Schlutz)

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Genug der wohlfeilen und zugleich schwadronierenden Worte …

In akademischen Kreisen wurde dieses Werk landauf, landab gefeiert und es war der Start für weitere Programme dieser Art, die man unter der Rubrik „Chanson bizarre“ abheften kann.

Chanson bizarre

So originell die Idee auch war und ist … diese CD und diese Musik ist freilich nur etwas für eine spezielle „gehobene“ (und wohl auch elitären) Schicht von Freuden des skurrilen Humors.

Prädikat: gewöhnungsbedürftig.

Bedauerlicherweise ist das Begleitheft arg ramponiert (d.h. die Seiten sind – wieso auch immer – verklelbt und ließen sich nicht mehr restaurieren … sorry)

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Besetzung:
Salome Kammer (vocals)
Peter Ludwig (piano, vocals)

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Titel:
01. Die Transsibirische Eisenbahn 2.45
02. Lire – en francais 2.53
03. Wanderung zum Deixlfurter See 2.51
04. Die 5 Tibeter 4.08
05. Tanzlmusi 3.03
06. Teddybären – selbst gemacht 1.54
07. Wasser 2.50
08. Schüchternheit 3.39
09. Gezieltes Schreiben für Thailänderinnen 1.07
10. Ich brauche keine Millionen 2.11
11. Der panaromatische Donnergurgler 2.36
12. Lustgarten Moosach 3.08
13. Menu Italiano 1.32
14. Loslassen-entspannen-sich wohlfühlen 2.27
15. Traum und Wirklichkeit 13.34

Musik und Texte: Peter Ludwig

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Wenn man als Komponist das VHS-Kursbuch in die Hand gedrückt bekommt mit dem Auftrag, Kurse zu vertonen, im Hinterkopf, drängt sich blitzartig erstens der Gedanke auf „Das ist ja ein Kosmos von Möglichkeiten!“ und etwas später zweitens „Wie sollen die paar Zeilen eines einzelnen Kurses das ‚Libretto‘ für einen Song, für ein Melodram oder sonst-was hergeben?“. Es beginnt die Suche nach den Reizwörtern, nach irgendetwas, was die Fantasie anregt: Folglich stieß ich zuerst auf den „Panaromatischen Donnergurgler“. Die Vorlage bot schillernden Inhalt, direkte Rede, ungewöhnliche Begriffe. Ein Ausnahmekurs aus meinem Blickwinkel. Allerdings stellte ich bald fest, dass auch Texte, die mit blutleerer Nüchternheit ein Kursprogramm beschreiben, in Verbindung mit ironisch komponierter „Gefühlsmusik“, also einer Musiksprache, die man „irgendwoher“ schon kennt, Erlebnisabenteuer beim Anhören liefern.

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Natürlich erlaubte ich mir als Librettist, Texte einfach als Material zu sehen, das ich nach musikalischen Notwendigkeiten in eine Form brachte, die den Eindruck entstehen lassen kann, es handle sich hier von Anfang an um ein „gereimtes“ Exemplar im Kursangebot. Die Urkraft einer 4-taktigen Melodie, die im traditionellen Song-Gestus auf eine Dominante hinführt, um sich mit voller Wucht in die unausweichliche Tonika oder einen Trugschluss zu stürzen, ermöglicht jede Art von Wort-, Silben-, Satzteilwiederholung bzw. Wort- und Satzumstellung auf der Grundlage der
Hörerfahrung eines an Klassik- wie Unterhaltungsmusik geschulten Publikums. Entscheidend für die Realisierung dieser Stücke war natürlic die enorme Begabung von Salome Kammer, selbst unsinnigste Begriffe mit größter Betroffenheit und virtuoser Stimme zum Ausdruck bringen zu können. Die traumhaften Möglichkeiten der Sängerin erlaubten mir, extreme Lagen, Sprach- und Gesangsarten nutzen zu können. Abschließend darf ich sagen, dass vielleicht kaum jemand, der sich nicht mit Komposition und entsprechender „Textverarbeitung“ befasst, auf die Idee kommen kann, es überhaupt für möglich zu halten, das Kursbuch einer VHS zu vertonen. Im vorliegenden Fall glaubte Susanne Heil, die Programmdirektorin der Münchner Volkshochschule, daran und sie hat uns damit einen unglaublichen Spaß bereitet und uns die Möglichkeit geboten, ungeahnte Erfahrungen zu sammeln, und darüber hinaus natürlich die Chance, eine CD zu realisieren.

Zum Schluss noch ein Beispiel für Originaltext und Bearbeitung: (aus Traum und Wirklichkeit):
>Hilfe, ich kann mich nicht entscheiden>die Qual der Wahl verzögert manches Handeln<

Hilfe, Hilfe, Hilfe! ich kann, ich kann mich nicht entscheieiden,
Hilfe, Hilfe, Hilfe!
Niicht e-entscheiden kann ich mich.
Die Qual der Wahl, die Wahl der Qual,
verzögert ma-anche-es Handeln.
Nicht entschei-eiden kann ich mich,
nicht entschei-eiden kann ich mich, entscheiden, entscheiden
ka-a-a-a-a-a-a-a-a-a-a-a-nn ich mich ni-icht.< (Peter Ludwig)

Die Website von Salome Kammer:
Webite Salome Kammer

Die Website von Peter Ludwig;
Website Peter Ludwig