Von engagierten Projekten wie diesem kann ich gar nicht genug kriegen:
Entartete Musik – Willkommen in Deutschland ist ein Live-Album des Sinfonieorchesters der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf und der Band Die Toten Hosen. Es erschien am 30. Oktober 2015, produziert von Hans Steingen als Doppel-CD und Dreifach-Vinyl beim bandeigenen Label JKP. Die Ausgabe beinhaltet zudem eine DVD mit einer Dokumentation über die Entstehung.
Das Album wurde an drei Konzertabenden aufgenommen, welche Die Toten Hosen und das Sinfonieorchester der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf im Oktober 2013 in der Düsseldorfer Tonhalle gaben. Die Konzerte waren zur Erinnerung an die Künstler veranstaltet worden, die unter anderen mit der Propaganda-Schau Entartete Musik, eröffnet am 24. Mai 1938 im Ehrenhof in Düsseldorf durch die Kulturpolitik der Nationalsozialisten verunglimpft und verfolgt wurden.
Auf dem Frontcover steht die Inhaltsangabe in weißen und schwarzen Buchstaben auf rotem Hintergrund. Das Begleitheft zeigt schwarzweiße Fotos der Interpreten während der Konzerte in der Tonhalle im Oktober 2013. Es enthält die Texte zu den Titeln A Survivor From Warsaw op. 46 und Sog nit Kejnmal zuzüglich einer deutschen Übersetzung, sowie Informationen über den historischen Hintergrund sämtlicher Originaltitel sowie biografische Angaben über die an der Entstehung beteiligten Künstler.
Nach dem Konzept von Thomas Leander, Professor an der Robert-Schumann-Hochschule, gaben die Band Die Toten Hosen zusammen mit dem Sinfonieorchester der Universität unter der Leitung des Dirigenten Rüdiger Bohn am 19., 20. und 21. Oktober 2013 je ein dreistündiges Gedenkkonzert in der ausverkauften Tonhalle in Düsseldorf. Des Weiteren war der Kinderchor des Humboldt-Gymnasiums Düsseldorf unter der Leitung von Dennis Hansel an den Aufführungen beteiligt.
Die Band bestand zum Zeitpunkt der Aufnahmen aus den Gitarristen Andreas von Holst und Michael Breitkopf, dem Bassisten Andreas Meurer, dem Schlagzeuger Vom Ritchie und dem Sänger und Frontmann der Gruppe Campino. Die Arrangements für Die Toten Hosen schrieb Hans Steingen, mit dem die Band seit 1996 zusammenarbeitet, und der bereits einige Titel für das Unplugged-Album Nur zu Besuch umgeschrieben hatte.
Als Solisten traten Inge Du, Vita Gajevska, Thomas Leander und Hans Steingen am Klavier, Micea Gogoncea an der Gitarre, Christina Marzi an der Klarinette, Georg Sarkisjan an der Violine Alexander Kovalev am Violoncello, und Linda Hergarten und Susanne Storck als Sängerinnen auf. Die Stimmen im a-cappella-Vokalstück Ich muss heute singen, der unter dem Titel Les fenêtres chantent von den Comedian Harmonists im Jahr 1937 erstmals in Frankreich veröffentlicht wurde, übernahmen Keno Brandt, Julian Freibott, Gereon Grundmann, Jin-Su Park und Campino.
Die Veröffentlichung der Konzerte als Tonträger war zunächst nicht geplant und wurde erst zwei Jahre später durch Hans Steingen initialisiert, der die Aufnahmen in seinem Big Noise Studio in Düsseldorf abmischte und masterte. Bei verschiedenen Stücken erfolgte eine weitere Abmischung durch Vincent Sorg.
Alle an den Konzerten künstlerisch Beteiligten, verzichten auf ihre Honorare, sowie das Schallplattenunternehmen JKP auf sämtliche Gewinne. Die Einnahmen aus dem Projekt werden zur Unterstützung von Stipendiaten und Konzertprojekten der Robert-Schumann-Hochschule zur Verfügung gestellt.
Neben dem 16-minütigen Instrumentalstück aus dem Spielfilm Der Herr der sieben Meere und Arnold Schönbergs Melodram Ein Überlebender aus Warschau, dem 11-minütigen Werk Kol Nidrei op. 47 von Max Bruch und Remembrances von John T. Williams aus dem Soundtrack zu Schindlers Liste, dem Kanonensong, der Zuhälter-Ballade und der Moritat von Mackie Messer aus Die Dreigroschenoper, dem Alabama Song aus Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, den Stücken Seht ihr den Flieger dort und Ihr müsst auf Freundschaft bau’n aus Brundibár, Deutsches Miserere aus Schweyk im Zweiten Weltkrieg, dem Vokalstück Ich muss heute singen von den Comedian Harmonists, den Liedern Einen großen Nazi hat sie!, Komm, Zigany aus der Operette Gräfin Mariza, Sog nit Kejnmal und Sholem-Alekhem, Rov Feidman! enthält das Album die von Campino vertonten Gedichte Stimmen aus dem Massengrab von Erich Kästner, Im Nebel von Hermann Hesse, das Lied Die Moorsoldaten, erschaffen von den von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor und das Schlaflied Wiegala von Ilse Weber.
Zudem sind auf dem Album die bandeigene Kompositionen Willkommen in Deutschland und Sascha … ein aufrechter Deutscher vom Album Kauf mich! aus dem Jahr 1993, Das Mädchen aus Rottweil vom Album Auswärtsspiel aus dem Jahr 2002 und Ballast der Republik, Drei Kreuze (dass wir hier sind) und Europa vom Album Ballast der Republik aus dem Jahr 2012 vertreten. Die Stücke wurden eigens für die Gedenkkonzerte in Zusammenarbeit mit dem Sinfonieorchester neu eingespielt.
Das Album erreichte auf Anhieb Platz zwei der Charts in Deutschland, den siebten Platz in Österreich[4] und den siebten Platz der Schweizer Hitparade.
Alexander Austel rechnet der Band in seinem Artikel auf laut.de hoch an, wie „selbstlos“ sie sich „in das Gefüge eines Orchesters einreiht“, es zeige, „dass sich aus den einstigen Autodidakten Berufsmusiker entwickelten“.
Arno Frank hingegen hält in seinem Review vom Oktober 2015 im Musikexpress „das Crossover aus Hochkultur, Politik und Punk das sich vor einst verfemtem Liedgut verbeugt“ für einen „Bärendienst“. Es sei „als Platte nur schwer zu ertragen“. Die Präsenz der Toten Hosen sei „problematisch“ und „eher dumpfwalzenhafte Ästhetik“ (Quelle: wikipedia)
Da kann ich dem Arno Frank so gar nicht folgen, da finde ich folgende Zeilen weitaus passender:
Vor zwei Jahren initiierten die Toten Hosen ein Konzert mit Musik, die die Nazis als „entartet“ gebrandmarkt hatten. Nun erscheint es auf CD und DVD – und ist von erschreckender Aktualität.
Zur Unzeit kommt diese Veröffentlichung nun wirklich nicht, auch wenn das Ereignis, auf das sie sich bezieht, inzwischen 77 Jahre her ist. 1938 nämlich wurde im Düsseldorfer Kunstpalast die Ausstellung „Entartete Musik“ eröffnet, mit der die Nationalsozialisten die Hetzjagd auf unliebsame Komponisten rechtfertigen wollten.
Gnadenlos verfolgt wurde, was jüdisch, kommunistisch oder „undeutsch“ war,
Vor zwei Jahren, anlässlich des 75. Jahrestags, hat das Orchester der Düsseldorfer Robert-Schumann-Musikhochschule auf Initiative des Prorektors Thomas Leander zusammen mit den Toten Hosen ein Gedenkkonzert mit Werken verfolgter Musiker veranstaltet. Jetzt erst, zwei Jahre später, kommt dieses Konzert auf den Markt, in Form zweier CDs und einer DVD sowie als Non-Profit-Projekt zugunsten der Stipendiaten und des Orchesters der Musikhochschule.
Die zweieinhalb Stunden sind ein beeindruckender Querschnitt durch die Musikgeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Denn was den Nazis als „entartet“ galt, ließ sich nicht einmal durch irgendwie greifbare, ästhetische Kategorien begründen. Die treffen am ehesten noch auf den Jazz zu, auf die verhasste „Negermusik“. Ansonsten aber wurde gnadenlos verfolgt, was jüdisch, kommunistisch oder auf andere Weise „undeutsch“ war.
Auf den CDs hört man zum Beispiel ebenso „Komm, Zigány“ aus Emmerich Kálmáns „Gräfin Mariza“ wie Filmmusik zum „Herrn der Sieben Meere“ von Erich Wolfgang Korngold, das der nicht mehr in seine Heimat zurückkehrende Wiener Jude 1940 in Hollywood schrieb, einen Song der Comedian Harmonists oder Arnold Schönbergs Zwölfton-Melodram „A Survivor from Warsaw“. Es finden sich Kurt Weills Moritaten aus der Dreigroschenoper und ergreifende Zeugnisse von Musik aus den KZs und Vernichtungslagern, wie den Kinderchor „Ihr müsst auf Freundschaft baun“ aus der in Theresienstadt weiterentwickelten Kinderoper „Brundibár“ des tschechoslowakischen Komponisten Hans Krása oder das Lied von den „Moorsoldaten“ aus dem KZ Börgermoor.
Beklommen macht auch die Erkenntnis, dass die wenigen Stücke der Toten Hosen auf dem Album, wie das 20 Jahre alte „Willkommen in Deutschland“, entstanden unter dem Eindruck brennender Flüchtlingsheime, kaum etwas von ihrer Aktualität verloren haben. (Franz Kotteder)
Ein eminent wichtiges und eindrucksvolles Album … und ich bilde mir ein, ich muss das nicht weiter ausführen.
Hinweisen will ich dann noch auf das wirklih fulminante Begleitheft und die dem Album beigelegte DVD Dokumentation dieses Ereignisses gibt es dann demnächst …
Besetzung:
Michael Breitkopf (guitar)
Andreas „Campino“ Frege (vocals)
Andreas von Holst (guitar)
Andreas Meurer /bass)
Vom Ritchie (drums)
+
Sinfonieorchester der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf unter der Leitung von Rüdiger Bohn
+
Kinderchor des Humboldt-Gymnasiums Düsseldorf unter der Leitung von Dennis Hansel
Titel:
CD 1:
01. The Sea Hawk-Suite (Korngold) 16.28
02. Die Moorsoldaten (Goguel/Esser/Langhoff) 6.01
03. Einen großen Nazi hat sie! (Weiss/Grünbaum) 3.35
04. Kanonensong (Brecht/Weill) 2.34
05. Zuhälter-Ballade (Brecht/Weill) 4.38
06. Die Moritat von Mackie Messer /Brecht/Weill) 4.09
07. Seht ihr den Flieger dort (Krása/Hoffmeister/Harre/Harders-Wuthenow) 2.23
08. Ihr müsst auf Freundschaft bau’n (Krása/Hoffmeister/Harre/Harders-Wuthenow) 3:29
09. Stimmen aus dem Massengrab (Frege/Kästner) 3.33
10. Deutsches Miserere (Brecht/Eisler) 2.14
11. Wiegala (Weber) 4.42
12. A Survivor From Warsaw op. 46 (Schönberg/Monod) 7.25
CD 2:
13. Kol Nidrei op. 47 (Bruch) 11.17
14. Komm, Zigany (Kálmán/Grünwald/Brammer) 5.27
16. Sog nit Kejnmal (Pokrass/Glik) 3.10
17. Ich muss heute singen (Marbot/Reisfeld/Cab/Varna) 2.51
18. Sholem-Alekhem, Rov Feidman! (Kovács) 7.04
19. Remembrances (Williams) 6.54
20. Im Nebel (Frege/Hesse) 4.51
21. Willkommen in Deutschland (Breitkopf/Frege) 4.30
22. Alabama Song (Brecht/Weill) 5.25
23. Sascha … ein aufrechter Deutscher (FregeMüller) 3.00
24. Drei Kreuze (dass wir hier sind) (v.Holst/Sorg) 1.41
25. Ballast der Republik (Frege/Marteria) 3.18
26. Europa (Breitkopf/Frege) 4.21
27. Das Mädchen aus Rottweil (Frege/v.Holst/Meurer) 4.32
28. Drei Kreuze (dass wir hier sind) (Reprise)n (v.Holst/Sorg) 2.21
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Bei diesem Lied krieg ein aufs andere mal ne Gänsehaut:
Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum,
Vogelsang uns nicht erquicket, Eichen stehen kahl und krumm.
Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit den Spaten ins Moor
Hier in dieser öden Heide ist das Lager aufgebaut,
wo wir ferne jeder Freude hinter Stacheldraht verstaut.
Wir sind die Moorsoldaten …
Morgens ziehen die Kolonnen in das Moor zur Arbeit hin
Graben bei dem Brand der Sonne, doch zur Heimat steht der Sinn.
Wir sind die Moorsoldaten …
Heimwärts, heimwärts, jeder sehnet zu den Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet, weil wir hier gefangen sind.
Wir sind die Moorsoldaten …
Auf und nieder gehen die Posten. Keiner, keiner kann hindurch.
Flucht wird nur das Leben kosten! Vierfach ist umzäunt die Burg.
Wir sind die Moorsoldaten …
Doch für uns gibt es kein Klagen. Ewig kann ’s nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein!
Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit den Spaten ins Moor