Also … am letzten Samstag war ich bei einem öffentlich geführtem Gespräch zwischen dem aktuellen Juso Vorsitzendem Kevin Kühnert und dem ehemaligen Jusomitglied Johano Strasser (mittlerweile 79 Jahre alt) in Starnberg … eingeladen hatte der SPD Kreisverband Starnberg, die im Augenblick eh nichts zum lachen haben … Diese Gelegenheit wollte ich mir – als ehemaligem Sozi – nicht entgehen lassen … und dabei stieß ich dann auf dieses Büchlein.
Dieses Essay erschien ursprünglich zuerst im „Spiegel Special“ (Oktober 1998).
Und dort konnte mann dann folgendes lesen:
Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus. Als die Philosophin Hannah Arendt vor nunmehr 40 Jahren diese Prognose stellte, verband sie selbst damit mehr Hoffnung als Sorge.
Zwar fürchtete sie, daß die Menschen in der modernen Arbeitsgesellschaft verlernt haben könnten, in freier Tätigkeit, denkend und handelnd, ihr Glück zu finden. Aber gerade in der Reduzierung der Arbeitslast erblickte sie die große Chance, daß der Mensch seine Phantasie und Schaffenskraft nun endlich auf seine vornehmste Aufgabe konzentrieren könnte: auf die Wiedergewinnung des Politischen in der freien Gestaltung des Gemeinwesens.
Heute dagegen erscheint, was Hannah Arendt als Chance begriff, den meisten als ein Horrorszenario: Immer mehr Arbeitslose. Immer mehr junge Menschen, denen der Einstieg ins Erwerbsleben verwehrt ist. Ist es angesichts solch bedrückender Tatbestände nicht geradezu frivol, von den Chancen der Krise zu reden?
„Spiegel Special“ (Oktober 1998)
Erwerbsarbeit ist in unserer Gesellschaft nicht nur Mittel zur Einkommenssicherung. Sie ist auch ein Stück zentraler Lebenserfahrung und eine wichtige Quelle gesellschaftlicher Anerkennung. Für die Ausbildung einer selbstbewußten Persönlichkeit scheint sie unerläßlich.
Ausgeschlossen von alledem sind nicht nur die registrierten Arbeitslosen. Ausgeschlossen sind auch die vielen entmutigten Hausfrauen und die älteren Arbeitnehmer, die die Suche nach Beschäftigung längst resigniert aufgegeben haben und deswegen in den Statistiken schon gar nicht mehr vorkommen. Sie alle fühlen sich zumeist in ihren Möglichkeiten selbst dann beschnitten, wenn sie ein Auskommen haben.
„Erwerbsarbeit für alle!“ bezeichnet unter diesen Umständen eine einleuchtende, auf Gerechtigkeit, Emanzipation und soziale Befriedung zielende Forderung. Aber ist sie auch realistisch? Oder erleben wir heute tatsächlich das Ende der Arbeitsgesellschaft – und mit ihm die Abschaffung der Arbeit, wie die französische Bestsellerautorin Viviane Forrester vermutet?
Fast eine Milliarde Menschen sind weltweit ohne Arbeit, davon rund 35 Millionen in den OECD-Ländern, knapp 18 Millionen in der EU und 4,1 Millionen im vereinten Deutschland. Dabei wächst fast überall auf der Welt das Sozialprodukt, nimmt das Volumen des Welthandels zu, schießen die Unternehmensgewinne nach oben und steigt der Aktienindex.
Aller Standort-Larmoyanz zum Trotz erzielen die Volkswirtschaften der EU, allen voran die deutsche, Jahr für Jahr neue Exportrekorde. Aber welche Wunder die Marktwirtschaft auch immer vollbringt – die Arbeitslosigkeit steigt weiter an und mit ihr die Ratlosigkeit der Politiker.
Der Hauptgrund dafür ist eine an sich durchaus erfreuliche Entwicklung: Es gelingt immer besser, die Produktionsprozesse zu rationalisieren und damit menschliche Arbeit entbehrlich zu machen. Das gilt besonders im Sektor der Marktökonomie. Wenn es dabei bleiben soll, daß jeder im Marktsektor Beschäftigung findet, der arbeiten will und kann – dann geht es nicht ohne drastische Verkürzung der Erwerbsarbeitszeiten.
Wen diese Perspektive schreckt, der mag sich die Entwicklung der Erwerbsarbeitszeiten seit der industriellen Revolution vergegenwärtigen: Von 82 Stunden im Jahre 1825 sank die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland kontinuierlich – mit einer kurzen Unterbrechung durch die Kriegswirtschaft der Nazis – auf weniger als die Hälfte. Und bei der Lebensarbeitszeit dürfte der Rückgang noch dramatischer sein.
Das ist ein eindrucksvoller säkularer Trend, wenngleich die modernen Fortschrittsoptimisten in der Regel vergessen haben, daß im Mittelalter – vor allem wegen der vielen Feiertage – die Erwerbsarbeitszeit kürzer war. Auch war das Arbeitstempo geruhsamer als in der gepriesenen Epoche des Industrialismus. Ganz zu schweigen von den frühen Jägern und Sammlern, die nach neueren Forschungen maximal zwei bis vier Stunden am Tag einer Tätigkeit nachgingen, die sich auch nur entfernt mit dem vergleichen läßt, was wir unter Arbeit verstehen würden.
Wer nur auf die gerechtere Verteilung der am Markt angebotenen Erwerbsarbeit setzt, übersieht freilich zweierlei: Zum einen ist Arbeit mehr als Beschäftigung im Industriesystem. Zum anderen kann der Mensch Identität und Selbstachtung aus verschiedenen Formen nützlicher und öffentlich anerkannter Tätigkeiten beziehen.
Der jüngste Bericht an den Club of Rome, den Orio Giarini und Patrick M. Liedtke unter den Titel „Wie wir arbeiten werden“ gestellt haben, ist in dieser Hinsicht bahnbrechend*.
Die Autoren verabschieden sich von der Vorstellung, der Marktsektor der Ökonomie könne noch einmal so etwas wie Vollbeschäftigung herstellen. Ganz ähnlich wie der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin schlagen sie einen öffentlich organisierten Sektor gemeinnütziger Arbeit vor.
Die Erstausgabe des Essays
Erwerbstätige sollen hier, für ein ausreichendes Grundeinkommen, die Möglichkeit zu produktiver Tätigkeit bekommen. Wer mehr als die hier vorgesehenen 20 Wochenstunden arbeiten und mehr verdienen will, dem stünde der Marktsektor offen. Darüber hinaus plädieren Giarini und Liedtke für eine Aufwertung der Eigenarbeit, deren volkswirtschaftliche Bedeutung bis heute in der Tat sträflich vernachlässigt wird.
Dieses Drei-Schichten-Modell der Arbeit ist sicher durchdachter und realistischer als Ulrich Becks allzu einseitiges Plädoyer für die „glücklichen Arbeitslosen“, das die „Süddeutsche Zeitung“ im Juni dieses Jahres gedruckt hat. Auch wenn in der ersten Schicht der gemeinnützigen Arbeit Tätigkeiten zu verrichten sind, die nicht immer Spaß machen, so bietet das Modell doch mehr Wahlmöglichkeiten als die meisten Menschen heute haben.
Und außerdem: Durch die Verpflichtung zur Übernahme gemeinnütziger Tätigkeiten wird ein allgemeines Sozialeinkommen, das ja auch Beck fordert, erst politisch legitimierbar.
Implizit erteilen Giarini und Liedtke mit ihrem Modell auch jenen eine Abfuhr, die nach wie vor glauben, die Wachstumsraten der Marktökonomie könnten auf Dauer die Rationalisierungsfortschritte übertreffen. Die ökologischen Fragen kommen in ihrem Buch zwar nur am Rande vor. Die herkömmliche Wachstumsideologie betrachten die Autoren jedoch mit erheblicher Skepsis.
Gewiß lassen sich durchaus noch neue Wachstumsfelder erschließen, einige sogar zum Nutzen der Ökologie: Technologien zur Energieeinsparung und zum effizienteren Materialgebrauch; die Nutzung der Sonnenenergie und ihrer Derivate; Entwicklung und Installierung wirkungsvoller Recyclingsysteme. Aber wer Energie einspart und die regenerierbaren Energiequellen nutzt, ist weniger auf konventionelle Energie angewiesen und kann auf Kernkraftwerke ganz verzichten. Wer auf Stoffeffizienz und Wiederverwendung setzt, braucht weniger Rohstoffe, Halbfabrikate und Ersatzteile. Der Weg zurück in die alte Wachstumsherrlichkeit wäre dies also wohl nicht.
Erst recht nicht dann, wenn wir unter dem Diktat der ökologischen Notwendigkeiten endlich dem Vermeidungsimperativ Vorrang einräumten: Wenn wir die Lebensdauer der Gebrauchsgüter erhöhten und unsere Anstrengungen darauf richteten, Schäden durch unsere Wirtschafts- und Lebensweise nach Möglichkeit gar nicht erst eintreten zu lassen. Ein Großteil jenes defensiven Aufwands, den wir fälschlicherweise auf der Habenseite als Reichtumssteigerung verbuchen, würde dann überflüssig werden.
Dann bleiben die Dienstleistungen. Auch Giarini und Liedtke sehen die Arbeitsgesellschaft der Zukunft als Dienstleistungsgesellschaft. Sie betonen aber, daß ein Großteil der zukünftigen Dienstleistungen nicht im Marktsystem erbracht werden.
Das Marktsystem wird im Dienstleistungsbereich neue Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Aber sie dürften wohl nicht ausreichen, um alle diejenigen aufzunehmen, die durch die weitere Rationalisierung in anderen Wirtschaftszweigen arbeitslos werden.
Und wenn wir keinen Schritt mehr wagten, ohne zuvor einen bezahlten Lebensberater zu konsultieren? Wenn wir uns nur noch unter Anleitung eines professionellen Entertainers zu amüsieren wüßten? Wahrscheinlich nicht mal dann.
Kevin Kühnert + Johanno Strasser bei der Veranstaltung am 17.Oktober 2018 in Starnberg
Also läuft es, wie immer man es dreht, unter dem Strich auf eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeiten hinaus – auch bei Giarini und Liedtke. Aber ihr Verständnis der daraus erwachsenden menschlichen Möglichkeiten bleibt vorerst ökonomistisch beschränkt. Natürlich ist die Arbeit, insbesondere für den modernen Menschen, eine fundamentale Existenzbedingung. Aber neben der vita activa gibt es die vita contemplativa, gibt es Muße und Spiel. Die Veränderungen, deren Zeugen wir heute sind, eröffnen auch die Chance, der kontemplativen, spielerischen Seite der Existenz mehr Raum zu geben.
Noch ist nicht entschieden, wohin die Entwicklung geht. Wird der vorherrschende Typus des arbeitenden Menschen bald der vielfältig einsetzbare „neue Selbständige“ sein? Der „flexible Mensch“ mit seinen ungelösten Identitätsproblemen, den der amerikanische Soziologe Richard Sennett (siehe Seite 142) in seinem jüngsten Buch beschrieben hat? Oder werden die Menschen sich selbst und ihre Arbeit mehr und mehr den Verwertungszwängen des Kapitals entziehen, um in Eigenarbeit und freier Kooperation einen wachsenden Teil ihrer Bedürfnisse zu befriedigen – und zugleich im Dienst am Gemeinwesen Lebenssinn zu finden?
Noch ist nichts ausgemacht.
Ein Jahr später erschien dann dieses Essay in erweiterte Fassung als Buch … Ich habe einen Nachdruck davon ergattern können.
Und die Juso wären nicht die Jusos, wenn, hätten sie sich nicht damals mit diesem Buch beschäftigt:
In letzter Zeit sind einige neue Bücher mit kapitalismuskritischem Inhalt erschienen. Das läßt vermuten, daß Worte, die der alleinseligmachenden Ideologie der Marktwirtschaft widersprechen, nun wieder gehört werden. Am Rande von vielen großen Worten und großspurigen Analysen der einen oder anderen Tendenz hat Johano Strasser ein Heft von gerade 40 Seiten veröffentlicht, das eine Menge Anregungen und Erinnerungen an das Wesentliche enthält. Ohne prätentiös zu einem großen Wurf auszuholen, macht er Mut zu utopischem Denken: “Kann es nicht sein, daß die verbreitete Verzagtheit des Denkens viel gefährlicher ist als eine überbordende soziale Phantasie?”
“Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus.” Dieser Satz von Hannah Arendt wird heute oft als Gruselszenario zitiert und steht am Anfang von Strassers Essay. Er weist jedoch darauf hin, daß der Satz ursprünglich auch mit der Hoffnung verbunden war, den Menschen vom Zwang zur bloßen Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit zu befreien und ihm Gelegenheit zur eigenen Entfaltung und zur freien Gestaltung des Gemeinwesens zu geben. Dagegen heißt die wichtigste Forderung nach sozialer Gerechtigkeit vernünftigerweise “Erwerbsarbeit für alle”, aber wie soll sie verwirklicht werden? Der Autor stellt diesem Dilemma die tatsächlich stattfindende Verkürzung der Arbeitszeit gegenüber. Lag die Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden z. B. um 1900 noch bei 60, so unterschreiten die meisten Branchen heute schon nominell 40 Stunden. In vorindustriellen Ökonomien dürfte die Zeit der Erwerbsarbeit noch kürzer gewesen sein.
Die Langzeittendenz zur Arbeitszeitverringerung beruht heute nach Strasser auf der Rationalisierung (Ersetzung von menschlicher Arbeit durch Energie und Organisation) und auf der extrem hohen Produktivität, die gleichzeitig den Absatz der Produkte zunehmend erschwert. Parallel zu einer ständigen Vergrößerung des Sozialprodukts und stetigem Wachstum steigt besonders in den Industrieländern die Arbeitslosigkeit. Durch die immer effizientere Produktion werden die vielen Arbeitskräfte immer weniger gebraucht. Zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit muß rationalisiert werden, “Lean Management” und “Lean State” sind die Hauptursachen der Arbeitsplatzvernichtung (wann kommt die “Lean Society”?).
Strasser setzt die Einsicht voraus, daß kapitalistisches Wachstum auf der Grundlage begrenzter Ressourcen zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen führt; das bedeutet, daß wir uns nicht ökologischen Luxus erlauben können, sondern den ökologischen Notwendigkeiten entsprechend zu handeln haben. Unter den gesammelten Ideen zur Wirtschaftspolitik findet sich nicht nur die Öko-Steuer zur Senkung der Kosten von Erwerbsarbeit, sondern auch der Vorschlag von H. Butterweck, den Arbeitgeberanteil zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme statt an den Lohnkosten am Umsatz eines Unternehmens zu orientieren. Auf diese Weise könnten personalintensive Branchen entlastet werden.
Der abkupfernde Blick auf US-amerikanische, japanische und andere “Modelle” zur Verringerung der Arbeitslosigkeit erscheint Strasser nicht sehr hilfreich, ebenso Überlegungen zum sogenannten Bürgergeld (Negativsteuer). Jedenfalls würden solche Maßnahmen nur Symptome kurieren, weil die durch den unbestreitbaren technischen Fortschritt extrem hohe Produktivität menschliche Arbeitskraft zunehmend überflüssig werden lasse. Diese Entwicklung mache auch vor den armen Ländern nicht halt, die zwar vorübergehend von geringen Produktionskosten profitieren könnten, aber auch ein rasch wachsendes überschüssiges Arbeitskräftepotential aufbauen.
Da eine weitere Steigerung der Produktivität wahrscheinlich sei, sei unsere Gesellschaft zu bedeutenden Umstrukturierungen der Arbeit, der Institutionen und der Zeit herausgefordert.
Der Kapitalismus verschafft den meisten arbeitenden Menschen mehr Freizeit, aber was fangen wir damit an? Strasser glaubt nicht, daß die Freizeit mit noch weiter aufgeblähten Angeboten der Erlebnis- und Tourismus-Industrie aufgefüllt wird, weil eine Steigerung des Erlebens im kapitalistischen Sinne vor allem zu einer Steigerung der Frustration führt. Die Behauptung, der Mensch wolle von Natur aus “immer mehr und mehr” könne durch eine Untersuchung der vorindustriellen Verhältnisse widerlegt werden. Leider erwähnt Strasser nicht die dominante Rolle des Fernsehens und anderer Unterhaltungsträger, aber wir dürfen vermuten, daß auch hier ein Sättigungs- und Frustrationseffekt zu beobachten ist.
Eine Änderung unserer Art des Wirtschaftens sei geboten, und zwar nicht nur zur Sicherung des Überlebens. Dies allein könne genausogut zu einer Nach-mir-die-Sintflut-Haltung führen. Nein, ”es gebe etwas zu gewinnen”, wenn es uns gelänge, dem Zwang zum quantitativen Wachstum zu entrinnen. Das heißt: Je weniger fremdbestimmte Arbeit um der materiellen Sicherung willen getan werden muß, desto mehr Zeit bleibt für Emanzipation des einzelnen (z. B. mit partnerschaftlicher Teilung der Hausarbeit), Teilhabe an der Politik (Demokratie als wirkliche Herrschaft des Volkes), schöpferische Eigenarbeit, Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliches Engagement, Teilnahme am ganzen Produktionsprozeß. Schon heute gebe es in manchen Unternehmen Tendenzen zu einer stärkeren Integration von Planung und Ausführung, partnerschaftlicher Mitbestimmung, Beteiligung am Produktivvermögen oder Anreicherung von Arbeitsaufgaben. Die Befreiung von der (fremdbestimmten) Arbeit kann damit zur Befreiung der (dann selbstbestimmten) Arbeit werden.
Die “gern belächelte frühmarxistische Utopie der Aufhebung der Arbeitsteilung” (morgens Jäger, nachmittags Fischer, abends Hirte, nach dem Essen Kritiker zu sein) werde realistisch, wenn “jemand vormittags an seinem heimischen Computerarbeitsplatz Werbebroschüren entwirft, nachmittags den eigenen Haushalt besorgt und abends in der Volkshochschule Englisch unterrichtet”. Vielleicht schaffe der Kapitalismus sogar “selbst die Bedingungen für seine eigene Überschreitung”.
Angesichts der sich abzeichnenden Wissensgesellschaft sei die entscheidende Frage, “ob sich der Geist immer radikaler den ökonomischen Verwertungszwängen des Kapitals unterwirft, oder ob die Menschen auch in dieser Hinsicht das Reich der Freiheit ausweiten können”.
Strasser hat das Büchlein in gut lesbarer Sprache geschrieben und umreißt seiner Ansicht nach wirksame Entwicklungstendenzen der Arbeitsgesellschaft im Umbruch, deren tatsächliche Ausformung in unseren Händen liegt. Aber die schwierige Antwort auf die Frage, wie wir den Übergang zum “Postkapitalismus” bewerkstelligen können, enthält es nicht. Vielmehr ermutigt es dazu, die Chancen der Krise zu nutzen und über die Existenzsicherung hinaus neue Ideen ins Auge zu fassen. (Henning Sievert in: „Die Sprotte“, einer Juso-Zeitschrift der Jusos an der Uni Kiel)
Wer mehr von diesen Gedanken eines Intellektuellen der SPD lesen möchte, möge sich bedienen.
Für mich ist dieses Büchlein weiterhin brandaktuell … Das Thema der Zukunft der Arbeit wird – wenn es keine Lösungen gibt -uns noch ganz gewaltig um die Ohren fliegen … Stichworte wie Arbeit 4.0 usw. sind bekannt … ist irgendeine Partei in der Lage, dazu die passenden Antworten zu finden ?
Auch Johano Strasser hat nicht das Patentrezept, aber dieses Essay ist wieder mal ein Beispiel seiner intellektuellen Schaffenskraft … bis heute empfinde ich dafür tiefe Bewunderung. Unser Land braucht intellektuelle Vordenker wie ihn … mit Visionen … und da fält mir natürlich dieser unsägliche Satz von Helmut Schmidt ein:
„Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen“.
Vielleicht begann der Niedergang der SPD genau mit diesem Satz. Und ich mag an jene skurilen Typen der Grünen erinnern, die Anfang der 80er in den Bundestag gezogen sind (mit Blümchen in der Hand oder so) … Heute belächelt keiner mehr die Fragen der Ökologie, im Gegenteil: Angesichts der nun auch bei uns spürbaren Erderwärmung und den Folgen … striken alle Parteien eifrig an Konzepten … und die SPD kämpft immer noch mit den Braunkohlewerken …
Ach ja, Johanno Strasser ist ja Mitglied in der sog. „Grundwerte Kommisson der SPD“ … angesichts der gegenwärtigen Situation der SPD könnte man anfügen … „geholfen hat das auch nichts“ … aber das wäre eine zu eindimensionale Sichtweise.
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Und das ist die bewegte Biographie des Johano Strasser … alles andere als vollständig:
Johano Strasser (* 1. Mai 1939 in Leeuwarden, Niederlande) ist ein deutscher Politologe, Publizist und Schriftsteller. Ab 1995 war er Generalsekretär des PEN-Zentrums Deutschland und Präsident von 2002 bis 2013.
Johano Strasser stammt aus einer internationalen Familie. Sein Vater wurde als Sohn einer Französin und eines Österreichers in St. Louis (USA) geboren, seine Mutter war Niederländerin. Die beiden Pazifisten lernten sich auf einem Esperanto-Kongress in Paris kennen; dieser Plansprache entspricht auch die Schreibweise seines Vornamens.
Seit 1945 lebte die Familie in Deutschland. Nach dem Abitur 1958 am Ratsgymnasium Rotenburg (Wümme) studierte Johano Strasser am Auslands- und Dolmetscherinstitut der Universität Mainz in Germersheim und wurde Diplom-Übersetzer. 1961/1962 arbeitete er in diesem Beruf bei den Ford-Werken in Köln. Anschließend studierte er in Mainz Philosophie und promovierte dort 1967.
Johano Strasser, 1973
In den folgenden Jahren forschte und lehrte er in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland. 1977 habilitierte er sich in Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin; anschließend lehrte er dort als Privatdozent.
Eine Professorenstelle an der Pädagogischen Hochschule West-Berlin wurde ihm, ausgelöst durch ein Strafverfahren, verweigert.
In den 1970er-Jahren engagierte er sich als programmatischer Vor- und Querdenker bei den Jungsozialisten; von 1970 bis 1975 war er stellvertretender Bundesvorsitzender. Seit 1975 ist er Mitglied der Grundwertekommission der SPD.
Von 1980 bis zu ihrer Einstellung 1988 war Strasser Redakteur und (mit Heinrich Böll, Günter Grass und Carola Stern) Herausgeber der politisch-literarischen Zeitschrift L 80. In seinen politischen Schriften kritisiert er das ökonomisch zentrierte Denken.
Seit 1983 betätigt er sich als freier Schriftsteller. Als sein gelungenstes Werk gilt der Roman Stille Jagd von 1995. Der Verband deutscher Schriftsteller (VS), heute in ver.di, wählte ihn auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Hamburg (24. bis 26. September 1987) in den Bundesvorstand, dem er bis 1988 angehörte.
Strasser wurde katholisch erzogen, trat aber nach dem Abitur aus der Kirche aus. Seit 1964 hat er die deutsche Staatsangehörigkeit. Er ist mit der Schriftstellerin Franziska Sperr verheiratet und lebt am Starnberger See; sie haben zwei inzwischen erwachsene Kinder.
1984 wurde Strasser mit dem Preis „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet, 2002 mit dem Gerty-Spies-Literaturpreis der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz. (Quelle: wikipedia)
v.l.n.r.: Friedemann Greiner (Leiter der Evangelischen Akademie Tutzing), Johanno Strasser und Thilo Sarrazin
Übrigens, der Kevin Kuhnert hat bei dem o.g. Gespräch mit Johano Strasser in Starnberg eine beeindruckende Figur abgegeben, beide plädierten übrigens dafür, dass sich – was die Zukunft der SPD betrifft – nur in Richtung einer radikal sozial-ökologischen Orientierung bewegen könne … Da werden sich die Grünen aber freuen.
Kevin Kühnert in Starnberg am 27. Oktober 2018