Die 68er und die Folgen (7): Claudia Decker – Die Revolution im Bett – Die 68er und die sexuelle Befreiung der Frau (Radio-Doku, Bayerischer Rundfunk) (2018)

FrontCover.jpgIn dieser Woche gibt es beim Bayerischen Rundfunk eine Themenwoche, die sich mit den „68er Bewegung“ beschäftigt.

Ein Beitrag beschäftigte sich mit:

Die 68er und die sexuelle Befreiung der Frauen

Die 68er stehen zwar für freie Liebe, aber davon profitierten vor allem die Männer. Von der Revolution im Bett spürten die Frauen noch nichts. Mit den 68ern begann allerdings die Emanzipation und mit ihr kam die sexuelle Befreiung der Frauen.

Die Medien stürzten sich ab Ende der 60er Jahre auf Geschichten von wildem Sex in Studentenbetten. Aber für die Frauen gab es in Wahrheit keine Revolution im Bett, sondern bestenfalls eine Evolution. Sie mussten sich erst von der Bevormundung ihrer Genossen emanzipieren und ihre eigene Sexualität entdecken.

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Wolfgang Ettlich Filmemacher und Besitzer einer Kleinkunstbühne in München („Heppel & Ettlich„)

Der Trauschein war für den Mann der Freibrief für Sex. Erfüllte eine Ehefrau ihre Beischlafpflicht nicht, konnte das für den Ehemann ein Scheidungsgrund sein. „Schuldig geschieden“ bedeutete für die Frau, Unterhaltsansprüche und das Sorgerecht für die Kinder zu verlieren. Und wer kein oder kein weiteres Kind haben wollte, tat sich schwer mit Verhütung. Die Pille gab es zwar bereits, aber ein Rezept bekamen nur verheiratete Frauen – oft nur, wenn sie mindestens drei Kinder hatten und der Mann einverstanden war.

Im Jahr 1968 schien es vorbei zu sein mit Keuschheit und Gehorsam. Tabus wurden gebrochen. Die 68er propagierten freie Liebe als Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie. Die Medien stürzten sich darauf. Das Lotterleben der Kommunarden wurde zum Tagesgespräch einer empört-staunenden Öffentlichkeit.

Christina von Hodenberg

Christina von Hodenberg: Historikerin und Professorin an der Queen Mary, University of London

Die Historikerin Christina von Hodenberg schreibt in ihrem Buch „Das andere Achtundsechzig“, so manche Frau fühlte sich unter Hinweis auf den hehren Dienst an der Revolution zum Beischlaf genötigt. Die Frauen im Umfeld der ersten Kommunen und des West-Berliner Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS berichten übereinstimmend:

„…dass Promiskuität vor allem für die Männer galt und deren sexuelle Befreiung absolut auf Kosten der Frauen ging – ‚immer mit dem Gefühl, wenn du das nicht machst, bist du ne Bürgerliche!'“ (Auszug „Das andere Achtundsechzig– Gesellschaftsgeschichte einer Revolte“ von Christina von Hodenberg)

Bei vielen Revoluzzern der 68er stand die Gleichberechtigung ihrer Mitstreiterinnen nicht auf der Agenda, weder gleiche Rechte in der Küche noch gleiche Rechte und Bedürfnisse im Bett. Die Historikerin Christina von Hodenberg schreibt über die 68er-Studentinnen:

„Sie waren sämtlich Mütter kleiner Kinder, deren Väter ihnen trotz ihres Studiums die Hauptlast der Kinderbetreuung aufbürdeten. Die Entstehung der neuen Frauenbewegung ist untrennbar mit dieser familiären Situation verknüpft.“ (Auszug „Das andere Achtundsechzig– Gesellschaftsgeschichte einer Revolte“ von Christina von Hodenberg)

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Nicolai Tregor: Bildhauer

Der Satz „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“ ist legendär. Viele junge Frauen der damaligen Zeit spürten dabei aber weniger Freiheit als Frauenverachtung. Weder das ungehemmte Reden über Sexualität noch deren Zurschaustellung in Medien und Film brachte den 68er-Frauen die Anerkennung ihrer sexuellen Autonomie. Sie mussten ihre sexuelle Befreiung selbst in die Hand nehmen und setzen den Machos des Studentenbundes diesen Satz entgegen: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“

Abseits der Frauen, die in Kommunen lebten und Teil der Dauer-Disco waren, mussten Frauen ihren täglichen Kampf im banalen Alltag ausfechten. Wie befreiten sie sich? Die Ärztin Renate Schicketanz gehörte zum Team der ersten Beratungsstelle von pro familia in München 1969. Sie leistete Pionierarbeit in der Familienberatung nach dem Krieg: Von Information über Empfängnisverhütung bis hin zur Erfahrung des eigenen Orgasmus‘.

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Inga Tränker: Damals Playgirl für Prominente (wie Curd Jürgens), heute: Künstlerin und Schriftstellerin

„Ganz viele Frauen, auch mit Kindern, kannten keinen Orgasmus. Der Mann war wichtig, aber nicht die eigene Sexualität.“ (Renate Schicketanz, Ärztin und Psychotherapeutin)

Basisarbeit war notwendig, um den Frauen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen. Revolutionär war die Gruppenberatung für Frauen, die pro familia anbot, und in der die Teilnehmerinnen den weiblichen Körper erforschten. (Pressetext)

Ganz sicher ein Thema, das nicht nur für mich von Interesse ist … Ich selbst – damals pubertierender und arg schüchterner Knabe – wurde natürlich von all diesen „wilden Thesen“ gefesselt … später haben sie dann schon auch mein Leben als erwachsener Mann begleitet.

Die Gespräche mit Zeugen der damaligen Zeit sind bemerkenswert, insbesondere die „Lebensbeichte“ der Inga Tränker … da wäre eine wohl fast verbrannt, ob ihres ausschweifenden Lebens.

Und die Ärztin Renate Schicketanz (Gründerin von pro familia, die mehrere „Beratungsstellen und Informationen rund um Sexualität, Verhütung, Kinderwunsch, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch“ betreibt) weist mit eindringlichen Worten auf die damalige Notwendigkeit, dass die Frauen natürlich auch ihrer Weg hin zu einer selbstbestimmten Sexualität zu gehen hatten … auch wenn´s den Männer nicht immer so gut gefallen hat.

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Redaktion:
Claudia Decker

Titel:
1. Die Revolution im Bett – Die 68er und die sexuelle Befreiung der Frau (Radio-Doku) 22.58

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