Die wohl letzte Komposition des Viktor Ullmann:
Viktor Ullmann (auch: Victor Ullmann; geboren am 1. Januar 1898 in Teschen, Österreich-Ungarn; ermordet am 18. Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau) war ein österreichischer Komponist, Dirigent und Pianist.
Viktor Ullmanns Eltern entstammten beide jüdischen Familien; sie waren allerdings schon vor Viktors Geburt zum katholischen Glauben konvertiert. Der Vater Maximilian Ullmann konnte als assimilierter Jude die Laufbahn eines Berufsoffiziers einschlagen. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Oberst befördert und in den Adelsstand erhoben.
Viktor besuchte ab 1909 ein Gymnasium in Wien. Seine musikalischen Neigungen und Begabungen verschafften ihm früh Zugang zu Arnold Schönberg und seinem Schülerkreis. Unmittelbar nach dem Schulabschluss meldete er sich freiwillig zum Militärdienst. Nach dem Einsatz an der Isonzofront wurde ihm ein Studienurlaub bewilligt, den er zum Einstieg in das Jura-Studium an der Wiener Universität nutzte und dabei auch Vorlesungen von Wilhelm Jerusalem besuchte.
Anfang Oktober 1918 wurde er auch in Schönbergs Kompositions-Seminar aufgenommen. Er studierte bei Schönberg selbst Formenlehre, Kontrapunktik und Orchestrierung. Ullmann war ein ausgezeichneter Pianist, wenn auch ohne Ambitionen auf eine Solistenkarriere.
Im Mai 1919 brach er beide Studien ab und verließ Wien, um sich in der Folgezeit in Prag ganz der Musik zu widmen. Sein Mentor wurde nun Alexander von Zemlinsky, unter dessen Direktion er bis 1927 Kapellmeister am Prager Neuen deutschen Theater war. 1923 begann mit den 7 Liedern mit Klavier eine Serie erfolgreicher Uraufführungen seiner Kompositionen, die bis Anfang der 1930er Jahre andauerte („Sieben Serenaden“). Auf dem Genfer Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) (1929) erregten die Schönberg-Variationen Aufsehen, ein Klavierzyklus nach einem Thema seines Wiener Lehrers. Fünf Jahre später wurde er für die Orchesterfassung dieses Werks mit dem nach dem ehemaligen Direktor der Universal Edition benannten Emil-Hertzka-Preis ausgezeichnet.
Von 1929 bis 1931 war Ullmann Kapellmeister und Bühnenmusik-Komponist am Schauspielhaus Zürich. Interessiert an der von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie, betrieb er weitere zwei Jahre eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart (1931–1933), bevor er ab Mitte 1933 wieder ständig in Prag lebte, wo er als Musiklehrer und Journalist tätig war. Von 1935 bis 1937 nahm er Kompositionsunterricht bei Alois Hába, dessen Vierteltontechnik er allerdings nur in einer einzigen Komposition (der Klarinetten-Sonate op. 16, 1937) anwandte (nur das Autograph der Klarinettenstimme ist erhalten). In den Werken der 1920er Jahre hatte er sich noch deutlich an Schönbergs frei-atonalen Werken orientiert (insbesondere an der Kammersinfonie op. 9, an den George-Liedern op. 15 und an Pierrot Lunaire op. 21). Die ab Mitte der 1930er Jahre entstandenen Kompositionen zeichnen sich aus durch die selbständige Weiterentwicklung der von Schönberg empfangenen Anregungen (2. Streichquartett, 1. Klaviersonate) und durch die Auseinandersetzung mit der Oper Wozzeck von Alban Berg (Oper Der Sturz des Antichrist). Eine neuartige Harmonik zwischen Tonalität und Atonalität (Ullmann sprach selbst von „Polytonalität“), hochgespannter musikalischer Ausdruck und meisterliche Beherrschung der formalen Gestaltung gehören zu den Charakteristika von Ullmanns neuem, nunmehr unverwechselbarem persönlichen Stil.
Viktor Ullmann war Freimaurer in Prag. Er wird auf der Mitgliederliste der Großloge Lessing zu den drei Ringen geführt und publizierte ab 1934 mehrfach als „Bruder Viktor Ullmann“ in der Reichenberger Freimaurerzeitschrift Die drei Ringe.
1942 wurde Ullmann ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er – immer noch an das Positive im Menschen glaubend – trotz Hunger und großer Probleme in der Bewältigung des Theresienstädter Lagerlebens um ein reiches Musikleben besorgt war und einen beträchtlichen Teil seiner Werke schuf. Er schrieb: „Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.“
Am 16. Oktober 1944 wurde Ullmann gemeinsam mit Pavel Haas und Hans Krása nach Auschwitz-Birkenau deportiert und kurz nach seiner Ankunft durch Vergasung ermordet.
Bis zur Deportation erreichte seine Werkliste die Opuszahl 41 und enthielt u. a. weitere drei Klaviersonaten, Liederzyklen nach verschiedenen Dichtern, Opern und das Klavierkonzert op. 25, das er im Dezember 1939, d. h. 9 Monate nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag, vollendete. Der größere Teil dieser Werke ist verschollen; die Manuskripte gingen wahrscheinlich während der Besatzungszeit verloren.
Erhalten blieben 15 Drucke seiner zwischen 1936 und 1942 entstandenen Kompositionen, die Ullmann im Selbstverlag herausgegeben und einem Freund zur Aufbewahrung anvertraut hatte. Im Ghetto Theresienstadt blieb Ullmann weiter musikalisch aktiv: Er wirkte als Klavierbegleiter, organisierte Konzerte („Collegium musicum“, „Studio für neue Musik“), schrieb Kritiken über musikalische Veranstaltungen und komponierte. Sein Theresienstädter Nachlass blieb nahezu vollständig erhalten und umfasst – neben Chorkompositionen, Liederzyklen und einer Bühnenmusik – so gewichtige Werke wie die letzten drei Klaviersonaten, das 3. Streichquartett, das Melodram nach Rilkes „Cornet“-Dichtung und die Kammeroper (wikipedia)
Seine vermutlich letzte Komposition bezieht sich auf eine Erzählung von Rainer Maria Rilke:
Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke ist der Titel einer kurzen Erzählung von Rainer Maria Rilke (1875–1926). Sie entstand unter dem Titel Der Cornet nach Angaben des Autors innerhalb einer Nacht im Jahr 1899 in der „Villa Waldfrieden“ in Berlin-Schmargendorf und erlangte durch ihre Veröffentlichung in der Insel-Bücherei 1912 weite Verbreitung und Bekanntheit.
Ausgangspunkt der Erzählung ist ein Regest (die Zusammenfassung einer Urkunde) in einer alten Chronik. Das Dokument berichtet von der Übertragung des Besitzanteils Christoph Rilkes, der 1663 im Türkenkrieg gefallen war, an seinen Bruder Otto. Alternativ zum kurzen Chronikeintrag bietet Rilke die Geschichte vom Zug des Christoph Rilke von Langenau nach Ungarn und seinem dortigen Tod an.
Die Originalausgabe aus dem Insel-Verlg, Leipzig, 1912:
Der 18-jährige Adelige reitet mit anderen Soldaten nach Ungarn, um gegen die dort eingefallenen Türken zu kämpfen. Ein französischer Marquis wird dabei sein Freund. Von einer Rose, die der Marquis von seiner Geliebten erhalten hat, schenkt er von Langenau beim Abschied ein Rosenblatt, das ihn beschützen soll. Aufgrund eines Empfehlungsschreibens wird von Langenau zum Cornet, zum Fahnenträger ernannt. Seiner Mutter schreibt er daraufhin stolz einen Brief, den er neben dem Rosenblatt verwahrt. Jenseits des Grenzflusses Raab – an deren Ufern die entscheidende Schlacht bei Mogersdorf stattfinden sollte – übernachtet von Langenau mit seiner Kompanie in einem Schloss. Mit der Gräfin verbringt er die Nacht im abseits gelegenen Turmzimmer. Während der Nacht wird das Schloss von den Türken angegriffen und in Brand gesteckt. Um die Fahne zu retten und zu seiner bereits aufgebrochenen Truppe zu gelangen, verzichtet er auf Waffenrock und Helm, läuft durch die brennenden Gemäuer und reitet aus dem Schloss. Mit der brennenden Fahne findet er sich allein mitten unter den Feinden wieder und fällt.
Prospekt der ersten zwölf Ausgaben der Insel-Bücherei, 1912
Die lyrisch-impressionistische Prosa vermittelt Gefühle von Jugend und Lebenshunger, Liebe und Tod. Besonderer Popularität erfreute sich die Soldatenballade aus dem 17. Jahrhundert in der Zeit der beiden Weltkriege. Das letztlich zeitlos-universelle Schicksal des jungen Soldaten schwankt zwischen Glorifizierung des Heldentodes und der Sinnlosigkeit (jungen) Sterbens, Gefühlen von überzogener Ehre, Verlust und Traurigkeit. Dem Langemarck-Mythos zufolge hatten die „jungen“ Regimenter das Deutschlandlied auf den Lippen und „Rilkes Cornet im Tornister“. Eine besondere Wirkung hatte Rilkes Cornet auf Alexander Lernet-Holenia, der Motive daraus etwa in seiner Szene zur Totenfeier für Rainer Maria Rilke (1927) und seiner Novelle Der Baron Bagge (1936) aufnahm.
„Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ ist offenbar das letzte von Viktor Ullmann im Konzentrationslager Theresienstadt skizzierte Werk. Anders als bei den aus den Klaviersonaten 5 und 7 erwachsenden zwei Sinfonien hatte Ullmann hier zunächst offenkundig an ein Orchester-Melodram gedacht, erst später erfolgte der Zusatz für Sprecher und Orchester oder Klavier.
In dieser Form ist das Werk offenbar mehrmals in Theresienstadt aufgeführt worden. Lediglich das erste Musikstück hat Ullmann selbst orchestriert, die Grundzüge der Orchestration in dem nur schwer entzifferbaren Manuskript jedoch ausführlich eingetragen.
Aus der Prosadichtung von Rainer Maria Rilke wählte Ullmann in sensibler Verknappung der Handlung 12 Abschnitte. Bis auf die Eliminierung einiger ohne die Rahmenhandlung unverständlicher, sich auf die Rosenblatt-Episode beziehender Sätze sind die übernommenen Texte ungekürzt. Nach einer Anweisung Ullmanns im Autograph gibt die angegebene Textverteilung über den Noten nur das ungefähre Zusammentreffen wieder. (stretta-music.de)
„Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ gilt als eine der bedeutendsten zur Kunstform des Melodrams. Ihr Markenzeichen sind Werke für Sprecher und Klavier, in denen Wort und Musik unmittelbar miteinander verschmelzen. Die Komposition ist eine Art Bindeglied zwischen den romantischen Melodramen und der zeitgenössischen Literatur, das an vielen Stellen gegenwärtige Kompositionsansätze vorwegnimmt.
Un es überrascht nicht, dass Erika Pluhar mit ihrem intensiven Vortragsstil die Komposition veredelt.
Und es überrascht nicht, dass ein Gerd Albrecht sich dieser Komposition als Dirigent angenommen hat. War er doch dafür bekannt, sich sehr gerne außergewöhnlichen Kompositionen der Klassik anzunehmen.
Und es ist ein ganz bitterer „Witz“, dass ein Jude sich dieses doch „ur-deutschen“ Textes angenommen hat.
Als Bonus habe ich noch ein WDR Radioportait des Komponisten angefügt (Autor: Christoph Vratz)
Live-Mitschnitt aus dem Wiener Konzerthaus (Wiener Festwochen), 28. Mai 1995 (ORF)
Besetzung:
Erika Pluhar (Sprecherin)
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Tschechische Philharmonie unter der Leitung von Gerd Albrecht
Titel:
01. Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (Teil 1) 12.24
02. Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (Teil 2) 16.46
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03. Portrait Viktor Ullmann (WDR; 2016) 14.34
Musik: Viktor Ullmann
Text: Rainer Maria Rilke
Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Reiten, reiten, reiten.
Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben? Es kann sein. Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer. Aber wir haben im Sommer Abschied genommen. Die Kleider der Frauen leuchteten lang aus dem Grün. Und nun reiten wir lang. Es muß also Herbst sein. Wenigstens dort, wo traurige Frauen von uns wissen.