Michael Wollny (* 25. Mai 1978 in Schweinfurt) ist ein vielfach ausgezeichneter deutscher Jazzpianist.
Wollny hatte bis 1997 eine musikalische Ausbildung (Klavier, Violine) an der Musikschule Schweinfurt bzw. am Hermann-Zilcher-Konservatorium Würzburg und nahm erfolgreich an den Wettbewerben von Jugend musiziert teil. Ab 1997 studierte er an der Hochschule für Musik Würzburg bei Chris Beier (Künstlerisches Diplom mit Auszeichnung 2002, Meisterklassendiplom 2004). Er hatte auch Unterricht bei John Taylor und Walter Norris.
Wollny war zwischen 1998 und 2002 Mitglied im Bundesjazzorchester, mit dem er auch auf Tournee ging. Daneben gehörte er zum Quartett von Hubert Winter. Im Trio mit Wolfgang Kriener und Joachim Leyh erscheint ein Debütalbum.
Seit 2001 spielt er mit Heinz Sauer im Duo bzw. im Quartett. Ebenso erfolgreich war er mit dem Trio [em] (mit Eva Kruse als Bassistin und Eric Schaefer am Schlagzeug). Daneben war er an CD-Produktionen u. a. mit den Young Friends, mit Hubert Winter („Different Kind of Stories“, 2003), aber auch Hans-Peter Salentin (Beyond Your Thoughts, Sound of Silence) und Nils Landgren (The Moon, The Stars and You, 2011) sowie zahlreichen weiteren bei ACT erschienenen Alben beteiligt und war als Pianist und musikalischer Mitarbeiter am Schauspielhaus Nürnberg tätig.
Seit 2005 steht er bei dem Jazzlabel ACT unter Vertrag, wo er mit seinem Trio em in der Reihe Young German Jazz debütierte. Im Jahre 2007 erschien sein von Kritikern hochgelobtes erstes Soloalbum Hexentanz. 2014 legte er mit seinem Trio, zu dem nun neben Eric Schaefer der Bassist Tim Lefebvre gehörte, das Album Weltentraum vor, das spielend „den Graben zur Popmusik“ überbrückt[3] und in die Popcharts gelangte; auch die folgenden Alben gelangten in die Charts. Wollny war 2018 erster Artist in Residence in der Festival-Geschichte des Elbjazz.
Seit 2014 lebt Wollny mit seiner Familie in Leipzig, wo er als Professor an der Hochschule für Musik und Theater tätig ist.
Wollny gilt als großes Talent. Auffällig sind in seinem Schaffen die vielfältigen Bezüge zu anderen Musikern oder Komponisten, aber auch Schriftstellern und Filmregisseuren, die seine Musik durchziehen und seit 2004 zunehmend an Bedeutung gewinnen. Mit Blick auf den außerordentlichen Reichtum an Außenmaterial auf seinem Album Weltentraum (2014) stellt sich aber auch die Frage, ob hier von Kitsch gesprochen werden kann. In Wollnys Musik lassen sich vier typische und stilbildende Elemente erkennen: 1. ein deutlicheres Interesse an der Harmonik im Unterschied zu den horizontalen Komponenten Rhythmus und Melodie, 2. die Verschleierung des Metrums, 3. ein Gleichgewicht von Komposition und Improvisation bzw. die Absage an den Vorrang der Improvisation, 4. einen musikalischen Fluss, der von keinen Brüchen gestört wird.
Wollny wurde mit mehreren Stipendien und Preisen ausgezeichnet, so dem Jazzpreis der Nürnberger Nachrichten 2007, dem Kulturpreis der Stadt Schweinfurt 2003, dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik (für Melancholia (2005) mit Heinz Sauer), dem Bayerischen Kunstförderpreis 2005 und dem „Choc de l’annee 2006“ des französischen Jazzmagazins Jazzman (für Certain Beauty mit Heinz Sauer). Im Jahr 2008 erhielt er zusammen mit Heinz Sauer den SWR-Jazzpreis. 2010 folgte die Auszeichnung mit dem ECHO Jazz in der Sparte Instrumentalist/in des Jahres national – Piano/Keyboards.
[em] wurden im Mai 2007 mit dem Ronnie Scott’s Jazz Award als „Most Promising International Newcomer of the Year“ in London ausgezeichnet. Im Jahr 2011 erhielt das Trio den Neuen Deutschen Jazzpreis (sowohl als Band, als auch für Michael Wollny als besten Solisten) und den ECHO Jazz als Ensemble des Jahres national. 2013 erhielt Wollny nicht nur den Preis der Deutschen Schallplattenkritik für sein Album Don’t Explain – Live In Concert mit Heinz Sauer, sondern auch den Bayerischen Staatspreis für Musik und mit dem Trio [em] den ECHO Jazz als Ensemble des Jahres national. Ebenfalls 2013 erhielt er, zusammen mit Heinz Sauer, den mit 50.000 Euro dotierten Binding-Kulturpreis. 2015 und 2016 erhielt er den ECHO Jazz.[10] 2017 erhielt er den Bayerischen Kulturpreis. Im November 2018 wurde Wollny mit dem Kulturpreis der Stadt Würzburg ausgezeichnet. (wikipedia)
Man könnte die Sache ganz einfach erzählen: Wie sich Michael Wollny und Eric Schaefer auf die Suche nach einem Bassisten machen, weil Eva Kruse eine Babypause einlegt. Wie sie auf Tim Lefebvre kommen, den Kollegen der US-Formation Rudder, mit dem man schon gemeinsam auf JazzToday-Tour war, der auch bereits an der Seite von Wayne Krantz und Bill Frisell spielte und gerade weil er in seinem Naturell, seinem Klang sowie auf Groove geeichten Spiel so ziemlich das Gegenteil von Kruse darstellt. Wie man sich auf einer kleinen Tour einspielt, um das Album vorzubereiten, das jetzt als „weltentraum“ vorliegt.
Ähnlich schlicht könnte man das Album selbst beschreiben, schon weil die Grundstimmung elegischer, ruhiger ist und Melodien und Themen mehr im Vordergrund stehen als bei den Vorgängern. Wenn man weiß, dass einmal „My Standards“ als Titel im Gespräch war, könnte man außerdem schnell Wollnys außergewöhnliche Materialauswahl ansprechen: Die Stücke alter wie moderner Klassiker von Guillaume de Machaut aus dem 14. Jahrhundert über Alban Berg, Edgar Varèse und Paul Hindemith bis hin zu dem Zeitgenossen Wolfgang Rihm, mit denen Wollny wieder einmal auf die europäische Musiktradition verweist, in der er so stark verwurzelt ist. Aber auch die Interpretationen von amerikanischer Filmmusik und Kompositionen der Flaming Lips bis zu Pink, die seine Aufgeschlossenheit und seinen starken Gestaltungswillen zeigen.
Das wäre alles völlig richtig. Und doch zugleich unangemessen vereinfacht. Unterschlagen würde zum Beispiel, wie wichtig der meist im Hintergrund werkelnde Tieftöner Lefebvre für den Charakter des Albums ist. Es mag sich nach Klischee anhören, aber mit dem US-amerikanischen Hünen von der Westcoast klingt das neue Trio nach [em] schlicht „männlicher“. Zugleich hört man verzückt, wie sich die mehr Harmonie-orientierte junge europäische Schule und die mehr Rhythmus-orientierte junge amerikanische Schule begegnen und sich gegenseitig anregen. Keinesfalls unter den Tisch fallen sollte außerdem die Tatsache, dass Eric Schaefers Schlagzeug, unterlegt von Lefebvres mächtigen, teilweise im Schlagbass-Stil anrollenden Clustern so wuchtig wie noch nie klingt – obwohl die CD dezenter ist. Und aufs Neue wird klar, dass Wenige die Kombination von klassischem, hartem Groove mit perkussiver Soundgestaltung so gut beherrschen wie er. Hätte nicht gerade bei den Drummern diese unglaubliche Leistungsexplosion der vergangenen Jahre stattgefunden, Schaefer würde wohl noch viel klarer als Sensation dastehen.
Vor allem aber würde die schlichte Variante einer Erklärung von „Weltentraum“ Michael Wollny nicht gerecht. Dass der von Chris Beier entdeckte und geformte Pianist mit nun 35 Jahren nahezu alle wichtigen Preise abgeräumt hat; dass er von der Süddeutschen Zeitung als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet wird und – wie es Siggi Loch schon bei der ersten Begegnung fühlte – von der Kritik einhellig als international bedeutendster deutscher Jazzer nach Klaus Doldinger, Albert Mangelsdorff und Joachim Kühn angesehen wird; vor allem aber, dass er bei jedem Auftritt unausweichlich sein Publikum überrascht, verzaubert und verblüfft; all das liegt nicht zuletzt daran, dass Wollny mehr als andere in seine Musik investiert – bis an die psychischen wie physischen Grenzen. Und wer sich mit Wollny über Musik unterhält, wird schnell herausfinden, dass es nur wenige Musiker gibt, die sich so intensiv und so philosophisch mit ihrer Kunst beschäftigen.
„Be Free, A Way“, im Original von den Flaming Lips, demonstriert idealtypisch, welche genialen Ergebnisse das zeitigen kann. Es erreicht nahezu den Zustand der reinen Musik, wie Wollny und sein Trio hier auf der Basis eines archaischen Grundrhythmus‘ eine Melodie freilegen, dynamisch steigern und geradezu atemberaubend einfach zurückführen. Nicht minder beeindruckend ist, wie Wollny bei „In Heaven“, einer David-Lynch-Filmmusik, einen vom erdigen Bass Lefebvres initiierten schweren, prototypisch afroamerikanischen Blues erst scheinbar irrlichternd, dann immer konkreter mit europäischer Tradition auflädt. Während er andersherum das Volkslied „Mühlrad“ radikal dekonstruiert oder Edgard Varèses „Un grand sommeil noir“ fast lyrisch begradigt.
Ob bei Paul Hindemiths ebenfalls gar nicht mehr so sperrigen „Rufe in der horchenden Nacht“ (der Nachtmensch Wollny hat auch von Alban Berg „Nacht“ ausgesucht) bis zur elegischen eigenen Komposition „Engel“ – Wollny hat einen über technische oder stilistische Fragen derart erhabenen Grad erreicht, dass er jeden Moment nach seiner Empfindung neu und überraschend gestalten kann. Und entsprechend auf seine Begleiter eingehen, sie zur Geltung kommen lassen kann, wie man beim überwältigenden Finale sieht: Der wunderbare Theo Bleckmann verwandelt da Pinks Riot-Girl-Hymne „God Is A DJ“ erst in ein zartes Kunstlied, bevor er mit Wollny, Lefebvre und Schaefer einen Klangvesuv auftürmt.
Es gibt indes kein Stück von „weltentraum“, in dem man nicht eine Fülle von Entdeckungen macht, wenn man genau hinhört. Wahrscheinlich hört es nie auf, dass diese Musik Neues preisgibt. Mehr kann man von einem Album nicht verlangen. Selten genug bekommt man es. Weil es alles andere als so einfach ist, wie es am Ende scheint. (jazz-fun.de)
Besetzung:
Tim Lefebvre (bass)
Eric Schaefer (drums)
Michael Wollny (piano)
+
The Bleckmann (vocals, electronics)
Titel:
01. Nacht (Berg) 3.31
02. Be Free, A Way (Coyne/Drozd) 3.47
03. Little Person (Kaufman/Brion) 3.38
04. Lasse! (de Machaut) 4.27
05. In Heaven (Lynch/Ivers) 3.31
06. Rufe in der horchenden Nacht (Hindemith) 5.32
07. Fragment an sich I (Nietzsche) 1.04
08. When The Sleeper Wakes (Wollny) 3.57
09. Hochrot (Rihm) 3.39
10. Mühlrad (Traditional) 3.46
11. Engel (Wollny) 4.11
12. Un Grand Sommeil Noir (Varèse) 3.45
13. Fragment an sich II (Nietzsche) 2.37
14. God Is A DJ (Pink/Davis/Mann) 8.43
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