Oktober – Die Pariser Commune (1977)

LPFrontCover1Ein wahrlich ambitioniertes Projekt:

Eigenartigerweiseist über die Gruppe Oktober kaum etwas bekannt, was einen angesichts dieses Doppelalbums ein wenig erstaunt (insgesamt haben sie 3 Alben veröffentlicht).

Hier ihr 2. Album:

Oktober war eine siebenköpfige deutsche Band, die diese theatralischen, sehr politischen Shows aufführte. Dieses zweite Album der Band geht in die gleiche Richtung wie das Debüt, da wir diesen Symphonic/Krautrock-Stil hören, obwohl es viel symphonischer ist als das Debüt. Der Sänger hat, gelinde gesagt, eine Menge Charakter. Dies war ein Doppel-Konzeptalbum mit vier seitenlangen Suiten mit vielen Wendungen und Samples sowie gesprochenen Worten. Gesungen und gesprochen wird auf Deutsch, und das Thema ist „Die Pariser Kommune“, ein Ereignis, das 1871 in Paris stattfand und bei dem vermutlich die erste Regierung von der Arbeiterklasse gebildet wurde. Das ist eine Fahrt, Leute.
Wir beginnen mit „Unser Blut-Ihre Geschichte“, wo wir eine laute, schreiende und feiernde Menge hören, bevor die Orgel den Ton angibt. Diese wird von Schlagzeug und Gitarre abgelöst, die sich aufbaut. Man beachte den klobigen Bass und die Hintergrund-Synthies. Mann, das klingt unglaublich. Nach 2 1/2 Minuten gibt es ein Gitarrensolo, bevor sich alles wieder beruhigt und gesprochene Worte die Atmosphäre verstärken. Nach 5 Minuten setzt alles wieder ein, diesmal auch das Klavier. Der Gesang folgt. Es beruhigt sich wieder mit Hintergrund-Synthies, während der Gesang weitergeht. Großartiger Sound vor 8 Minuten, als er an Geschwindigkeit gewinnt und dann kraftvoller wird. Ich mag die Art und Weise, wie die Themen wiederholt werden.

Booklet05+06

Es folgen beeindruckende instrumentale Abschnitte, und ich mag die Ruhe nach 14 Minuten, wenn die Synthies wie der Wind wehen und das Schlagzeug pocht. Nach 15 Minuten reißende Gitarre mit erdbebenartigem Bass, während das Schlagzeug weiterhin im Vordergrund steht. Eine dunkle Ruhe vor 18 Minuten mit tiefen Klängen und düsteren Gitarren. Es folgen nur gesprochene Worte, dann wieder die Instrumentalarbeit, gefolgt von Gesang, während sich die Themen wiederholen. Was für ein Song!

„Die tage Der Kommune“ klingt wie der Beginn des ersten Tracks, als die Menge zusammen mit anderen Klängen brüllt. Die Musik setzt vor einer Minute ein. Ich liebe die prominente Gitarre nach 2 1/2 Minuten. Es wird sehr symphonisch, fast wie bei GENESIS, und der Gesang wird doppelspurig, wie sie es manchmal auf ihrem Debütalbum taten. Die Themen wiederholen sich auch in dieser Suite. Nach 13 Minuten wird der Gesang mit gezupfter Gitarre zerbrechlich, bis nach 16 Minuten die gesprochenen Worte mit dem Klavier die Oberhand gewinnen. Die Musik setzt vor 17 Minuten mit etwas Kraft wieder ein, Gesang folgt. Nach 22 Minuten kehrt mit der Flöte Ruhe ein, dann übernehmen Gesang und Klavier die Führung, und es bleibt sanft. Aber nicht lange, denn die Stimmung ändert sich weiter.

Oktober01

Die zweite Platte beginnt mit „Zwischenlied“, wo wir einen Mann sprechen hören, begleitet von Straßenlärm, bevor die Gitarre und der Gesang die Führung übernehmen. Das Klavier kommt und geht in diesem schönen Abschnitt. Die Dinge ändern sich, als eine dunkle Atmosphäre aufkommt und der Gesang plötzlich gesprochen wird. Zurück zu der gezupften Gitarre mit Gesang. Sehr folkig bis jetzt bei diesem Stück. Das ändert sich nach 11 1/2 Minuten, als die Musik aufhört und wir Soldaten marschieren und die Menge brummen hören können. Es folgt ein Uptempo-Sound, als die Musik kurz darauf mit Gesang zurückkehrt. Die Musik marschiert hier fast mit. Ich denke an GENESIS mit den Synthesizern und den komplizierten Klängen nach 16 1/2 Minuten. Es folgt eine Ruhe mit sanften Vocals. Nach 18 Minuten, fast bis zum Ende, wird es dynamischer und die Vocals kraftvoller.

Booklet03+04

„Unser Blut-Unsere Geschichte“ beginnt wieder mit Samples, dann übernehmen Multi-Vocals, diesmal auch weibliche. Himmlische Gitarrenmelodien werden von Keyboards begleitet. Der Gesang kommt vor 2 Minuten hinzu. Das Ganze endet vor 5 Minuten, als eine Hymne mit Bläsern und Schlagzeug die Oberhand gewinnt. Dann sind die Jungs mit einem vertrauten Instrumentalthema zurück. So gut, dann folgt eine Ruhe mit Gesang, bevor es wieder losgeht. Eine Ruhe mit Synthesizern nach 10 Minuten. Die letzten 1 1/2 Minuten sind so, als würde man vielen Leuten zuhören, die sich über das Ereignis zum Ende hin unterhalten. (by Mellotron Storm)

BookletFrontCover

In der Tat, die sehr abwechslungsreiche und versiert gespielte Musik ist wirklich beeindruckend und textlich  … nun gut … die Texte entsprangen halt diesen klassenkämpferischen Tenor (mit all dem entsprechenden Pathos), wie er halt bei all dieses Polit-Rock-Gruppen der 70er Jahre üblich war.

Auch wenn da manches ein wenig hölzern und unbeholfen wirkt … so ganz falsch lagen sie ja nicht, mit ihrer Schilderung der Geschichte, die – und das ist schon noch zu erwähnen – sich nicht nur um die Ereginisse der Pariser Komunne dreht, sondern den Gogen zur damaligen Gegenwart schlägt  – so ganz falsch lagen sie ja nicht, denn:

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“ (Karl Marx/Friedrich Engels)

LPBackCover1

Besetzung:
Carl-F. Dörwald (flute, vocals)
Klaus-Peter Harbort (drums)
Peter Robert (keyboards, synthesizer)
Hans-Werner Schwarz (guitar, slide-guitar)
Kalla Wefel (bass, vocals, guitar)
+
Michael Iven (vocals, guitar, keyboards bei 04.)
Pierre Meyn (guitar, bass bei 04.)

Booklet

Titel:
01. Prolog: 1830-1851 (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel) 5.00
02. Teil 1: Unser Blut – Ihre Geschichte (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel) 17.09
03. Teil 2: Die Tage der Kommune (25.27)
03.1. Proklamation des ZK der Nationalgarde (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel)
03.2. Die Maßnahmen der Kommune (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl)
03.3. Lob des Aufbaus (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Iven)
03.4. Lied vom Verbrechen (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl)
03.5. Janine (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl)
03.6. Dekret über die Zuerkennung einer Pension / Keiner oder alle (Eisler/Brecht/Mandl)
03.7. Die Frauen der Kommune (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Unger)
03.8. Stadt der Illusionen (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl)
04. Zwischenlied (Iven) 11.26
05. Teil 3: Der Untergang Der Kommune (11:28)
05.1. Die letzte Schlacht (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl)
05.1. Die Rache / Dreißigtausend Tote (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl/Pottier)
06. Teil 4: Unser Blut – Unsere Geschichte (einschl. Pottier’s Lied)
06.1. Lamentations (Kosma/Bassis)
06.2. Pottier’s Lied (Dörwald/Harbort/Robert/Schwarz/Wefel/Mandl)
06.3. Die Internationale
07. Epilog: Lob der Dialektik (Brecht) 1.36

Texte: Peter Robert

LabelD1

*
**

LPFront+BackCover1

Musiker der Gruppen Oktober + Schmetterlinge u.a. Solisten – Peter P. Zahl – Alle Türen offen (1978)

FrontCover1Hier ein ganz besonderes und ganz sicher auch ein ganz ambitioniertes Projekt aus der Polit-Rock Szene der 70er Jahre. Musiker der damals durchaus bekannten Formationen „Schmetterlinge und „Oktober“ fanden sich in Wien zusammen, um Texte von Peter P. Zahl zu vertonen. Warum sie das taten … davon später mehr …

Und dieser Peter P. Zahl ist dann im Jahre 2011 verstorben. Die „taz“ schrieb folgenden Nachruf:

„Es war unklar, ob der Preisträger persönlich erscheinen konnte, denn er war ein Häftling, der gerade erst aus der Einzelhaft in den Normalvollzug überstellt worden war.

Als dem 1944 in Mecklenburg geborenen Peter-Paul Zahl im Jahr 1980 der Literaturförderpreis der Freien Hansestadt Bremen verliehen wurde, saß dieser junge Autor schon seit rund acht Jahren im Knast. Als mutmaßlicher Terrorist. Er hatte sich im Jahr 1972 seiner Verhaftung widersetzt, dabei von der Schusswaffe Gebrauch gemacht und einen Polizisten schwer verletzt.

Die Haftjahre nutzte Zahl, der bereits 1968 mit einem Buch in Erscheinung getreten war, zum Schreiben nicht nur politischer Texte. 1979 erschien dann schließlich sein berühmtester Roman „Die Glücklichen“, in der Zahl eine Alternativkultur beschrieb, die viele, die von den Utopien der Jahre 68 ff. geprägt waren, sehr gut kannten. „Die Glücklichen“ wurde zum Kultbuch.

Der im Dezember letzten Jahres verstorbene Peter O. Chotjewitz, der nicht nur Schriftstellerkollege, sondern auch Zahls Anwalt war, erinnerte sich vor einigen Jahren, dass er Zahl – obschon dieser immerhin wegen versuchten Mordes in zwei Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war und als politischer Häftling galt – einfach so mit dem Privatwagen aus der Haftanstalt abholen durfte. Chotjewitz, der selbst als Unterstützer der RAF angeklagt gewesen war, musste lediglich garantieren, den Häftling später auch brav wieder abzuliefern. Der Strafvollzug für Staatsfeinde war nach dem Deutschen Herbst des Jahres 1977 nicht immer ohne Witz.

Peter-Paul Zahl (links) und Peter Rühmkorf

Peter-Paul Zahl (links) und Peter Rühmkorf

Zahl nun erhielt den wichtigen Literaturpreis, und seine Schriften wurden somit von der Literaturkritik quasi geadelt. Mit geadelt wurde dabei allerdings auch immer der linksradikale Aktivist, der bei der legendären Berliner Untergrundzeitschrift 883 mitwirkte (und nicht nur bei dieser), der amerikanische GIs bei der Desertation und der Flucht nach Schweden unterstützte, der als Betreiber einer kleinen Druckerei half, so manch einer klandestinen Schrift eine Öffentlichkeit zu geben. Er war der Verleger von Westberliner Anarchisten und Gutlebeleuten, er selbst war auch durchaus ein Lebemensch.

Die Bremer Preisverleihung im Jahr 1980 war ein kleiner Skandal. Der damals noch weitgehend linksliberal gesonnene Literaturbetrieb genoss die Aufregung um den Preisträger. Dieser selbst genoss sie offensichtlich ebenso.

Nach der Haftentlassung, im Dezember 1982, und nach einigen merkwürdigen Wiedereingliederungsmaßnahmen für den bereits anerkannten Schriftsteller blieb Zahl ein linker Aktivist, doch wurde er gemäßigter. Sein Aktionsdrang verlegte sich ins literarische, er bereiste die damals für Linke interessanten Länder, schließlich ließ er sich auf der coolen Kifferinsel Jamaika nieder, der er sich auch literarisch näherte, allerdings oft auch sehr klischeehaft und oberflächlich.

Peter-Paul Zahl, 2006

Peter-Paul Zahl, 2006

Peter-Paul Zahl war kein politischer Theoretiker, kein großer Denker und kein feiner Stilist, er war manchmal derb, weil er nicht anders konnte, große Romane im Sinne der bürgerlichen Literaturkritik hat er nicht geschrieben, dennoch sind die besten seiner vielen Bücher weit mehr als nur Dokumente einer engagierten Linksliteratur. Zahl hatte Humor. Und auch Selbstironie.

Dass der Ruf des Politaktivisten bis zuletzt seinen literarischen Rang überdeckte – es hatte positive und negative Folgen für ihn. Einerseits galt er den meisten Fans der „Glücklichen“ mit allem, was er publizierte, als literarischer Heros, andererseits mied ihn der etablierte Literaturbetrieb zusehends. Er galt als „Figur“, nicht als Autor.

Auch der Umstand, dass ihm mit dem Glauser im Jahr 1995 für seinen Krimi „Der schöne Mann“ einer der wichtigsten Krimipreise verliehen wurde, änderte nichts daran. In den letzten zwei Jahren suchte Zahl noch Verlage für neue und vergriffene Titel, doch er wurde – soweit bekannt ist – nicht mehr fündig. „Miss Mary Huana“ von 2007 ist sein letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Buch.

Dieses Schicksal hat er, bei aller berechtigten Kritik an seinen manchmal doch mit allzu heißer Nadel gestrickten Büchern, nicht verdient.

Am Montag starb Zahl im Alter von 66 Jahren im Krankenhaus von Port Antonio auf der Insel Jamaica. Im vergangenen Jahr hatte sich Zahl wegen eines Krebsleidens noch in Deutschland behandeln lassen und kehrte dann in sein Haus in Longbay zurück.“

Zahl war also im Jahr 1978 noch in Haft, als diese Aufnahmen entstanden, und diese Aufnahmen sind ganz sicher auch als eine Aktion der Solidarität mit diesem Schriftsteller zu verstehen. Und für meinen Geschmack haben die Texte wirklich Bedeutung und Qualität … und das erfreuliche ist, dass die musikalische Umsetzung dieser Texte einfach nur grandios ist … im Gegensatz zu manchen Polit-Rock Alben dieser Jahren wird hier auf einem wirklich hohem Niveau musiziert … beeindruckend und auch noch im Jahre 2018 mehr als hörenswert !

Wenngleich, und das muss ich auch noch leider loswerden: Meine Sympathie für „gewaltbereite Linke“ in der damaligen BRD geht gegen Null !

Aufgenommen im August 1978 in den Schmetter-Sound-Studios, Wien

BackCover

Besetzung:
Andreas Hage- (piano)
Ali Husseini (drums, percussion)
Schurli Herrnnstadt (Schmetterlinge) (vocals)
Michael Iven (vocals, guitar)
Trixi Neundlinger (Schmetterlinge) (flute)
Peter Robert (Oktober) (keyboards, synthesizer, strings)
Hansi Schwarz (guitar)———————————–
Kalla Wefel (Oktober) (bass, guitar)
+
Willie Resetartis (Schmetterlinge) („Ostbahn Kurti“) (vocals bei 01.)

Booklet1A

Titel:
01. Meine kultivierten Bekannten (hage/Zahl) 2.57
02. Ninguneo (Iven/Zahl) 22.45
03. Hinter der dunklen Seite des Mondes 4:24
04. Zürückgebombt… (Schwarz/Robert) 6.40
05. Dynamos (Schwarz/Robert) 4.32
06.  …In Die Steinzeit (Schwarz/Robert) 4.52
07. Alle Türen offen (Schwarz/Robert) 4.50
08. Folter (Schwarz/Robert) 4.03
09. Brokdorfer Liebeslied (Schwarz/Robert) 4.01
10. Hierher gehört Leben (Schwarz/Robert) 5.30

Tracks 03. – 10. nach dem Gedicht „Doors“ von Peter P. Zahl

Label1

*
**

Nachruf im "Spiegel" (05/2011)

Nachruf im „Spiegel“ (05/2011)