Hölderlin – Hölderlins Traum (1972)

FrontCover1Es war die Zeit, als die kosmischen Kuriere ausritten und ihr Wesen, ihr Unwesen verbreiteten (je nachdem). Und da kamen Hölderlin gerade recht:

Hoelderlin ist eine deutsche Rock-Band, die in Wuppertal von 1970 bis 1981 in verschiedenen Formationen bestand und seit 2005 wieder gemeinsam auftritt. Ihre Musik entwickelte sich vom Folkrock zum Progressive Rock. Sie setzten auch klassische Instrumente wie Cello, Viola und Querflöte ein.

Die Brüder Christian und Andreas von Grumbkow gründeten 1963 die Beatband The Beatkids. 1965 formierten sie mit ihrem jüngeren Bruder Joachim die Action Issue Blues Band. 1970 begannen Christian und Joachim, gemeinsam mit der Sängerin und Tänzerin Nanny de Ruig, Folkrock im Stil damals erfolgreicher englischer und amerikanischer Gruppen zu spielen. Ab November 1970 nannte sich die Formation Hoelderlin. Aus einer ursprünglich wechselnden Gruppe von Begleitmusikern stießen Christoph Noppeney, Peter Käseberg und Michael Bruchmann zur ersten festen Besetzung der Band:

Nanny de Ruig (Gesang, Tanz)
Joachim von Grumbkow (Cello, Querflöte, Gitarre, Keyboard)
Christian von Grumbkow (Gitarre)
Christoph Noppeney (Viola, Gitarre)
Peter Käseberg (Bass)
Michael Bruchmann (Schlagzeug und Perkussion)

Die zunächst deutschen Texte der Gruppe schrieben hauptsächlich Christian von Grumbkow und Peter Käseberg, beeinflusst durch die Arbeiten des Dichters und Namenspatrons Friedrich Hölderlin. Das erste Album „Hölderlins Traum“ wurde ab Januar 1972 unter der Leitung von Dieter Dierks für Rolf-Ulrich Kaisers Label Ohr eingespielt und erschien noch im selben Jahr. Durch Auftritte und Interviews bei vielen deutschen Radiosendern wurde Hoelderlin bekannt und auch von der Kritik gewürdigt. Die Band arbeitete mit Texten von Bert Brecht, Erich Fried und H.C. Artmann und spielte binnen eines Jahres über 80 Konzerte.

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Ende 1973 verabschiedete sich Nanny de Ruig, die Lebensgefährtin von Christian von Grumbkow, wegen Schwangerschaft von der Bühne. Der Klang der Gruppe, der schon im Verlauf der Konzerte 1973 immer rockiger wurde, änderte sich durch die fehlende Sängerin während der zahlreichen weiteren Konzerte 1974 stetig weiter, wobei Improvisationen im Stil des progressiven Rocks großen Raum einnahmen. Aufgrund inhaltlicher Differenzen mit Rolf-Ulrich Kaiser wurde allerdings kein neues Album produziert und der Vertrag mit Ohr schließlich im Oktober 1974 ganz aufgekündigt.

Nach dem Wechsel zum Label Intercord (Spiegelei) wurde 1975 das Album „Hoelderlin“ veröffentlicht, dessen ursprünglich teils deutsche Texte auf Druck der Plattenfirma komplett in englisch eingespielt wurden. Die Produktion übernahm Conny Plank. Aufgrund musikalischer Differenzen verließ Peter Käseberg 1975 die Band und wurde durch Hans Bäär ersetzt. Die Band spielte auch in diesem Jahr über 80 Konzerte, teils als Sextett mit Saxophonist Büdi Siebert . In dieser Besetzung folgte 1976 abermals unter Tonregie von Conny Plank und Produktion von Karl-Heinz Borchert das Konzeptalbum „Clowns & Clouds“. 1977 spielte Hoelderlin auch als Begleitband auf dem Debütalbum von Ina Deter und auf Festivals mit den Scorpions und Guru Guru.

Im Sommer 1977 zog sich Christian von Grumbkow als aktiver Musiker aus der Band zurück, wirkte aber weiter als Autor und Vordenker für die optische Gestaltung mit. Für ihn kam der spanische Gitarrist Pablo Weeber, mit dem die LP „Rare Birds“ eingespielt wurde. Bei den Livekonzerten arbeitete die Band stärker mit visuellen Effekten, Projektionen und Kostümen. Der Stil hatte sich zum Progressive Rock weiterentwickelt. Bei einigen der knapp 60 Konzerte der Herbsttournee wurden Aufnahmen für ein Live-Album gemacht, das 1978 unter dem Titel „Traumstadt“ als Doppel-LP erschien. Die Platte verkaufte sich mit 30.000 Stück in 6 Monaten deutlich besser als die vorhergegangenen und wurde von den Lesern von Sounds zu einem der drei besten Alben des Jahres gewählt.

Für Pablo Weeber kam jedoch im Frühjahr 1978 bereits Thomas Lohr an der Gitarre und die Gruppe absolvierte zwei Tourneen im Frühjahr und Herbst, anschließend verließen Christoph Noppeney und Michael Bruchmann die Band, um sich ihren Berufen zu widmen. Als neue Mitglieder kamen Rüdiger Elze (Gitarre) und Eduard Schicke (Schlagzeug, Ex-Schicke Führs Fröhling). Wieder bei Conny Plank entstand mit Kompositionen von Christian von Grumbkow, Christoph Noppeney und Hans Bäär 1979 das Album „New Faces“. Nach Erscheinen Ihres bisher letzten Albums „Fata Morgana“ löste sich Hoelderlin 1982 auf.

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Joachim von Grumbkow verstarb Ende 1990. Im Februar 2005 veröffentlichte die EMI/Capitol Records das Live-Album „Traumstadt“ als digital remasterte Version mit zwei bisher nicht veröffentlichten Bonustracks: „Before you lay Down“ und „Traum“ .

Seit Herbst 2005 tritt eine neue Hoelderlin-Formation mit den Original-Mitgliedern Hans Bäär und Michael Bruchmann wieder live auf. Eines der Konzerte wurde im Rahmen der Reihe WDR Rockpalast im Dezember 2005 vom Westdeutschen Rundfunk aufgezeichnet. Im Juli 2006 spielte Hoelderlin auf dem Burg Herzberg Festival vor 10.000 Konzertbesuchern. Die Band arbeitete von Juni bis Dezember 2006 zusammen mit Toningenieur und Co-Producer Dieter Krauthausen in Köln an einem neuen Studioalbum mit dem Titel „8“. (Quelle: wikipedia)

Hölderlin

Sehr ernsthaft hat sich ein Roy L. mit diesem Debütalbum von Hölderlin auseinandergesetzt:

In der Musik von HÖLDERLIN spielen Streicher, Klavier und Flöten eine ebenso wichtige Rolle wie Akustikgitarren und Schlagzeug. Eine gewisse Nähe zur klassischen Musik ist damit immer gegeben, wodurch „Hölderlins Traum“ auch markant sinfonische Qualitäten besitzt. Der wunderbare Einstieg „Waren Wir“ verzaubert vom ersten Moment an aufrichtig und poetisch, bis sich das Lied im eher italientypischen mellotronlastigen Prog-Folk-Wunderland verliert, in dem sich HÖLDERLIN jedoch immer nur vorübergehend aufhalten. Denn im Gegensatz zu ihren Label- und Studiokollegen haben sie in dieser frühen Phase nur wenig Ambitionen, Rock zu spielen und konzentrieren sich eher auf melodische, gefühlsbetonte Kompositionen.
Zu den heute bekanntesten frühen HÖLDERLIN-Stücken zählt sicher das epische „Requiem für einen Wicht“, dessen Liedtext eine schöne märchenartige Replik des Vormärz-Topos „Die Gedanken sind frei“ zeigt. Das ergreifende Streicher- und Snare-Zwischenspiel in der Mitte des Liedes ist einer jener denkwürdigen Momente der Platte, für den HÖLDERLIN ein Platz im internationalen Folk-Olymp gewiss ist. Und überhaupt scheinen es vor allem die ruhigen, musikalisch sehr strengen und nüchternen Passagen zu sein, die das Album so sehr von anderen deutschen Folkversuchen abgrenzen, wohingegen das mit PETER BURSCH und MIKE HELLBACH (BRÖSELMASCHINE) eingespielte, morgenländische und leicht psychedelische „Strohhalm“ qualitativ deutlich abfällt. Das sanft gestrichene „Erwachen“ und das nachdenklich stimmende klassische Gitarrenstück „Wetterbericht“ lassen sich schon nahezu einer Art folkloristischer Kammermusik zuordnen, die zu dieser Zeit im Grunde einmalig war.

Hölderlin4Mit diesen Liedern haben HÖLDERLIN damals tatsächlich etwas charakteristisch Deutsches einfangen können. Es sind dabei nicht so sehr die Texte, die eben noch stark vom Nachhall des 68er-Aufschreis geprägt waren und diesen nur etwas romantisch-verträumter wiedergaben, sondern eher die teilweise doch recht konservative Musik, die diesen ‚edlen Ernst‘, das Schwere, das Heilignüchterne, Geistige und Tiefsinnige im Saitenspiel transportiert und sich so mit großer Deutlichkeit von den Folktraditionen Englands, Frankreichs und Osteuropas abhebt, auch wenn die Gründe dafür kaum rational nachvollziehbar sind. Und auch wenn zu sagen es verwegen anmutet: aus diesen Kompositionen dringt ein wenig der Genius von Schubert, Schumann und Brahms und spricht die Gottverlassenheit  der beiden deutschen Griechen Hölderlin und Nietzsche. Der schwere purpurne Duft des bedeutungsschwangeren deutschen 19. Jahrhunderts durchströmt in manchen Augenblicken auch noch „Hölderlins Traum“.
Und doch sind die Wuppertaler Musiker ebenso Kinder ihrer Zeit, Kinder des PILZ-Labels und Dierks Studios und so gleicht ihr „Traum“ – der letzte Titel des Albums – einer schillernd phantasievollen Reise durch „progressive“ und kosmische Gärten und Paradiese, wenngleich die Folkgitarren auch hier immer die Oberhand behalten. Am Ende ist es genau dieser leichtfüßige Wechsel und ständige Rückfluss zwischen klassischer Strenge und moderner Träumerei, der dem Album seine Würze und seinen Wert verleiht. (Roy L. für nonpop.de )

Bis heute waren und sind mir die kosmischen Kuriere von diesem Rolf-Ulrich Kaiser eher suspekt; bei Hölderlin mach ich da gerne ne Ausnahme: zum einen weil sie musikalisch wahrlich keine Stümper waren und zum anderen, ja … man mag diese Musik, man mag diese Texte naiv nennen. Aber nachdem ich auch immer wieder mal so ein „Träumer und Spinner“ bin, gibt es es genau dafür weitere Pluspunkte.

BackCover1

Besetzung:
Michael Bruchmann (drums, percussion)
Christian von Grumbkow (guitar)
Joachim von Grumbkow (cello, flute, guitar, keyboards)
Peter „Kassim“ Käseberg (bass, guitar, vocals)
Nanny de Ruig (vocals)
Christoph „Nops“ Noppeney Nops (violin, viola, piano, flute)
+
Peter Bursch (sitar bei 03.)
Mike Hellbach (tabla bei o3.)
Walter Westrupp (recorder bei 05.)

Illustration

 

Titel:
01. Waren wir     4:53
02. Peter 2.52
03. Strohhalm
04. Requiem für einen Wicht 6.32
05. Erwachen 4.20
06. Wetterbericht 6.34
07. Traum 7.20

Texte und Musik: Christian v. Grumbkow

Label

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9 Gedanken zu “Hölderlin – Hölderlins Traum (1972)

  1. Etwas Offtopic: Das Füllen einer Cd nur um der Spielzeit wegen ärgert mich immer, wenn man an ein klassisches Album irgendwelche Outtakes oder Live-Aufnahmen in schlechter Bootleg-Qualität anhängt.

    • Womöglich „Offtopic“, aber sowas von korrekt, dieses „Bonus-Material“ hat mir schon des öfteren reichlich Nerven gekostet! Wobei ich in diesem Zusammenhang nichts gegen (originale, im Album-Kontext stehende) Single-B-Sides habe!

  2. Das ärgerliche an dem Album: Es ist viel zu kurz! Heutzutage wäre das gerade einmal EP-Länge. Dabei hätte die künstlerische Inspiration so viel mehr hergegeben…

    • 35 Minuten — gut, das ist am unteren Ende, aber noch normal. Ich kenne CCR-Platten, die nicht mal 30 erreichten.

      Im übrigen sind mir 35 Minuten, wenn sie wirklich hinhauen, lieber als die 79 Minuten, die mit dem Aufkommen der CD zur Verfügung standen, die dann aber mit Material gefüllt wurden, das man zu LP-Zeiten schlicht aussortiert hätte.

      • Auch hier stimme ich gerne zu. CCR waren bei weitem nicht die einzigen. Viele Westcoastbands und natürlich auch Zappa gehören dazu…

      • Jau. Zappa ist Weltmeister im Bescheißen seiner Fans, was seine „DLP-Laufzeiten“ angeht. Dicht gefölgt von Elvis, der aber die Zusammenstellung dem Colonel überließ.

      • …aber lieber 35 Minuten HÖLDERLIN als 30 Minuten von CCR…
        Die letzteren habe ich bestimmt seit meiner lang vergangenen Jugend in den 1970ern (Feten-Mucke!) nicht mehr gehört, HÖLDERLIN erst neulich wieder…
        Danke für die Erinnerung, die LP steht bei mir im Regal!
        (CCR dagegen nicht).
        😀

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