Verschiedene Interpreten – Mauerfall – Das legendäre Konzert für Berlin ´89 (2014)

FrontCover1Das war ganz, ganz sicher ein mächtiges Zeichen in jenen Tagen des Mauerfalls:

„Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich meinen Vater weinen sehen. Ich konnte ja selbst kaum glauben, was ich am 9. November 1989 miterleben durfte.

Aber da stand es wirklich, zuerst nur in nüchterner Laufschrift: „Die Mauer ist offen.“

Gebannt saßen wir mitten in Hessen vor der Glotze, bis nach und nach endlich die ersten Bilder aus Berlin eintrudelten. Unsere Familie, die über 28 Jahre durch 3,60 Meter hohen Beton und einem Todesstreifen getrennt war, war von einem Moment auf den nächsten wieder eins.

Wie es Politbüromitglied Günter Schabowski so nett ausdrückte: „Das tritt … nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich.“

Ganz Deutschland befand sich im Freudentaumel. Ein Gefühl, das sich später Geborenen kaum vermitteln lässt. Bereits drei Tage später, am 12. November 1989, organisierte der Sender Freies Berlin (SFB) das ‚Konzert Für Berlin‘. Jeder will bei diesem historischen

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Udo Lindenberg + Joe Cocker

Moment dabei sein. Entsprechend ließen sich innerhalb kürzester Zeit neben ost- und westdeutschen Stars sogar Joe Cocker und Melissa Etheridge für einen Auftritt auf der Bühne der Deutschlandhalle verpflichten. David Hasselhoff und die Scorpions hatten wohl keine Zeit. Die Prinzen gab es zum Glück noch nicht, und „Wind Of Change“, die pfeifende Geißel der Wiedervereinigung, war noch nicht geschrieben.

Schon damals sollte eine Doppel-LP des Events, durch den der Fußballkommentator Stefen Simon als Moderator führte, erscheinen. Das Unterfangen scheiterte jedoch an Lizenzstreitigkeiten. 25 Jahre später schaffen es die Aufnahmen doch noch auf die CD „Mauerfall – Das Legendäre Konzert Für Belin ’89“.

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Der Moderator Steffen Simon

Da der Zwist um die Rechte bisher jedoch noch nicht beigelegt wurde, schiebt man uns zu den Feierlichkeiten eben eine Mogelpackung unter. Der Einfachheit halber unterschlägt man uns Auftritte von Marius Müller-Westernhagen, den Toten Hosen, den Puhdys, Nena und anderen.

Die Stimmen verzerren, der Bass knarzt unschön aus den Boxen, der Sound ist eine einzige Matschepampe. Der ganze Mitschnitt versprüht den Charme einer Veranstaltung in der Aula der Gabriele-von-Bülow-Oberschule, auf der Steffen Simon ein Tischtennisturnier der Reinickendorfer Füchse moderiert. Dieses seltsame Ambiente durchfluten immer wieder die historischen Momente und Gefühle der damaligen Zeit, in denen der ehemalige Lockenkopf zum Beispiel bekannt gibt, dass soeben der Schießbefehl an der Mauer aufgehoben wurde.

Während Tamara Danz, Heinz Rudolf Kunze, Udo Lindenberg und Konstantin Wecker den Background-Chor zu „With A Little Help From My Friends“ liefern, lässt Joe Cocker seine Hände munter im Takt der Mauerspechte schlackern. BAP geben zu reichlich Feedback und Mikrofonfiepen ihren damals noch gar nicht so alten Klassiker „Verdamp Lang Her“ und vergessen vor lauter Euphorie das finale Gitarren-Solo. Nina Hagen erdolcht „My Way“, und Melissa Etheridge bedankt sich feierlich und wünscht uns für die Zukunft Alles Gute: „As an American, I am very proud to be here at this time in history. But as a human being I wish you both – east and west – freedom und Freiheit – jetzt und für immer!“

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Der damalige SFB Musikchef: Helmut Lehnert

Über die Chronologie des Abends setzt sich „Mauerfall – Das Legendäre Konzert Für Berlin ’89“ hinweg. Das wirkt spätestens in dem Moment skurril, wenn Udo Lindenbergs erster Auftritt nach seiner Krankheit angesagt wird, nachdem er vorher bereits „Horizont“ zum Besten gab. Mit einem „Hallöchen, Freunde, Hallöchen“ betritt er die Bühne. Hatte ihn während „Hör mich“ von den Zöllnern eine Mittelohrentzündung erwischt? Angesichts des Beitrags der Ost-Berliner wäre dies verständlich.

Die nachdenklichen Stimmen kamen ausgerechnet von den befreiten Ost-Rockern. Andre Herzberg, Sänger der Band Pankow, stand der kritiklosen Begeisterung des Tages mit gemischten Gefühlen gegenüber: „Ich wollte so ein Stück Souveränität zurück haben. Ich wollte nicht, dass der Osten zum Westen geht, sondern der Westen zum Osten kommt und sich da freut, und der Osten selber die Freude der eigenen Mündigkeit ausdrückt.“ War wohl nichts.

Vor Deutschland lag in den nächsten Jahrzehnten ein langer Kater und ein zögerliches Zusammenwachsen, die neuen Bundesländer bluteten währenddessen langsam aus. Besonders hart traf es Silly, die nach der Wiedervereinigung den Weg ihres Landes gingen und erst in den letzten Jahren wieder auf die Beine kamen. Passend singt die inzwischen verstorbene Tamara Danz zum Abschluss des Albums: „Alles wird besser, aber nichts wird gut.“ (Sven Kabelitz)

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Auch meine Erinnerung an jene Tage verbinde ich stark mit meinem Vater. Er war ein stramm konservativ-katholischer Mann, der als Heimatvertriebener mir immer wieder gebetsmühlenartig prophezeite, dass es bei der „Teilung“ auf Dauer nicht bleiben werde.  Ich hatte für diese Prophezeiung nur ein müdes, mildes Lächeln übrig.

Ich hätte ihm die Freude, dass er recht behalten hatte, sehr, sehr gerne gegönnt, leider verstarb er dann schon 1986 …

Es mag ja sein, dass die Aufnahmen  nicht optimal waren, aber das spielt hier eigentlich so gar keine Rolle … bedenkt man unter welcher Hektik dieses gigantische Konzert vorbereitet wurde. Im Begleitheft wird darüber ausführlich berichtet.

Der Silly Gitarrist erinnert sich:

»Das ganze Land war auf den Beinen. Die Grenzübergänge, durch die wir mit unserer Anlage mussten, waren total überfüllt. Wir hatten Probleme, pünktlich in die Deutschlandhalle zu kommen«, erinnert sich Uwe Hassbecker. »Alles kehrte sich von unten nach oben. Die Tage der Maueröffnung waren das Beeindruckendste, was ich erlebt habe.« Fast klingt es, als könne der Silly-Gitarrist auch heute noch nicht fassen, dass damals die Mauer fiel. »Schon die Zeit zuvor war aufregend! Jeden Tag passierte etwas Neues! Es geschahen Dinge, die wir uns im Traum nicht hätten vorstellen können. Wir waren wie im Ausnahmezustand.«

Die Veranstaltung wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) auf die Beine gestellt, der Eintritt war frei. »Die Organisation war mit heißer Nadel genäht. Es war alles total chaotisch, keiner wusste, wer wann dran war. Während des Tages strömten 50.000 Leute durch die Halle, es fühlte sich an wie auf ‘nem Bahnhof. Es war immer rappelvoll, die Leute wechselten ständig, die ganze Stadt war auf den Beinen.«

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Und ja, es ist ein pathetisches Konzert gewesen, aber wann verdammt noch mal, war diese Haltung jemals gerechtfertigter in den vergangenen Jahrzehnten, als bei so einem Konzert.

Und ich erwisch mich mit meinen feuchten Augen … aber hier hören wir einfach einen kleinen Ausschnitt von deutschen Klassikern der Rockmusik (Musik verbindet halt) und natürlich ist dieses „With A Little Help From My Friends“ (man stelle sich vor, dass bei den background vocals selbst ein Konstantin Wecker mit von der Partie war !) eine Hymne, die einfach nur passend war.

Und Udo Lindenberg nuschelt auf seine ganz eigene Art und stellt dabei u.a. folgendes fest:

„Dass wir jetzt so zusammen sind, verdanken wir ja wohl den Demonstranten und der Demokratie-Bewegung in der DDR.“

Und ja, das ist jetzt schon verdamp lang her …

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Titel:
01. Moderation 0.32
02. Joe Cocker: With A Little Help From My Friends (Lennon/McCartney) 8.46
03. Moderation 0.38
04. BAP: Verdamp lang her (Heuser/Niedecken) 7.47
05. Udo Lindenberg: Horizont (Lindenberg/Reszat/Applegate/Thatcher) 4.37
06. Die Zöllner: Hör mich (Zöllner) 4.52
07. Moderation (mit Udo Lindenberg) 2.55
08. Udo Lindenberg: Sonderzug nach Pankow (Mack/Warren/Lindenberg) 1.33
09. Udo Lindenberg: Wir wollen doch einfach nur zusammen sein (Mädchen aus Ost-Berlin) (Lindenberg) 2.31
10. Heinz Rudolf Kunze: Die offene See (Kunze) 4.55
11. Moderation 0.09
12. Nina Hagen: My Way (Francois/Revaux/Anka/Hagen/Niessen) 4.59
13. Moderation 0.30
14. Pannach und Kunert: Der Tag an dem die Mauer fiel (Kunnert/Pannach) 3.41
15. Moderation 1.08
16. Melissa Etheridge: Testify (Etheridge/McCormick) 4.35
17. Konstantin Wecker: Die weiße Rose (Wecker) 3.10
18. Moderation  0.11
19. Pankow: Gib mir’n Zeichen (Ehle/Herzberg) 4.28
20. Moderation (mit Tamara Danz ) 1.17
21. Silly: Alles wird besser (Danz/Hassbecker/Karma) 6.00

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Tagesschau

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